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Spektakuläre Bilder vom unspektakulären Leben

Der französische Maler Edouard Vuillard wurde 1868 geboren. Sein malerisches, zeichnerisches und druckgrafisches Werk wies der Kunst um 1900 neue Wege. Eine Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe stellt nun den Künstler mit 120 Werken aus allen Schaffensphasen vor: Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen und Farblithografien sind zu sehen.

Von Christian Gampert | 21.10.2008
    Das Bild ist Programm, auch für diese Ausstellung. "Au lit", im Bett, 1891 gemalt, zeigt eine von Laken fast völlig bedeckte, nur mit dem Kopf sichtbare Frau. Aber nicht die Person ist zentral, sondern die wie Flächen aufgefassten Bettdecken: zwischen Weiß, Gelb und Ocker changierend, die Farbe fast wie Kalk aufgespachtelt. Feine schwarze Linien strukturieren diese Laken- und Kissenberge, dahinter eine ebenso trostlose graue Wand (oder ist es ein Vorhang?) - jedenfalls wieder nur Fläche, in die, über dem Kopf der liegenden Frau, ein rotes, T-förmiges Zeichen eingebrannt ist, wie eine züngelnde Flamme oder ein Schwert; vielleicht ist es aber auch nur, ganz simpel, eine Vorhang-Halterung.

    Alles nur andeuten, im Schwebezustand lassen, verschlüsseln: Das ist die Philosophie des Edouard Vuillard, der neben Bonnard und Denis zu den "Propheten" gehörte, den "Nabis", die im Paris der 1890iger Jahre mit der akademischen Malerei brachen. Ein Bild ist eben nur: Material auf Leinwand, eine Komposition, die ein Eigenleben führt und eine Stimmung erzeugt. In Vuillards kalkigen Betten herrscht lautlose Stille, aseptische Hoffnungslosigkeit. Das Ungreifbare, Hermetische und Vieldeutige teilt er mit dem Dichter Stéphane Mallarmé, den er bewunderte, den Hang zur Düsternis mit Maeterlinck, Ibsen oder Hauptmann, für deren Stücke er Theaterplakate entwarf.

    Die Karlsruher Ausstellung führt den in Deutschland kaum wahrgenommenen Vuillard nun in allen Werkphasen vor, stellt den Ölbildern sublime Zeichnungen und Drucke zur Seite - und zeigt vor allem eines: den ewigen Sohn. Fast zeitlebens wohnte der Junggeselle Vuillard bei seiner Mutter, der treusorgenden, und Schauplatz der Intérieurs, die Vuillard bevorzugt fertigte, ist zu einem hohen Prozentsatz ihr Schneider-Atelier. Dort ist die Alte stets geschäftig anzutreffen, bisweilen hockt sie aber auch wie ein symbolistischer Rabe nachtschwarz auf einem Stuhl, während oben eine Lampe die klaustrophobisch-bedrohliche Stimmung nur unwesentlich aufhellt.

    Wie es in Vuillards eigenem Intérieur, seinem Innenleben aussah, ist weitgehend unbekannt - immerhin hatte er Kontakt zur Bohème der Musik- und Theaterszene; die Pianistin und Salondame Misia Natanson, eine Journalisten-Gattin, wird ihm zur häufig dargestellten Muse. Während Vuillard die eigene Mutter meist im tapetenhaften Hintergrund verschwinden lässt (so malte später auch Matisse), sind die ab 1900 gefertigten Portraits aus dem Pariser Großbürgern konziser. Virtuos die Pastelle und vor allem die stark flächigen Drucke - da gehörte Vuillard zu den Pionieren. Die Druckgraphik wird in Karlsruhe ganz kontemplativ im Vorlegesaal präsentiert, da kann man sich vertiefen; die Ölbilder sind in einer langen Flucht kleiner Kabinette thematisch, aber auch chronologisch geordnet. Der Kurator Holger Jacob-Friesen hat vieles aus Privatbesitz losgeeist und nebenbei großartige Recherche-Arbeit zu einzelnen Bildmotiven geleistet.

    In der Werkentwicklung ist schön zu sehen, dass Vuillard anfangs, zu Beginn der 1890iger Jahre, noch sehr stark mit Toulouse-Lautrec und dem Jugendstil sympathisierte, in den Drucken auch auf die Mittel des japanischen Holzschnitts zurückgriff; lange vertikale oder horizontale Linien strukturieren dann die Gemälde. Als Zeichner war er später viel freier, da umspielte er die Person. Manchmal klingt die Dunkelheit von Munch an, bisweilen sieht man Vallottons kalte Flächigkeit. Das vom Kurator ins Zentrum gestellte Betten-Bild "Au lit" wirkt wie eine Vorwegnahme von Hodler, der seine sterbende Geliebte ganz ähnlich darstellte.

    Diese vielen Anklänge und Assoziationsmöglichkeiten zeigen aber auch ein Manko auf: der erst 1940 gestorbene Edouard Vuillard mischte mit im Aufbruch der jetzt schon klassischen Moderne, aber seine eigene Position war vielleicht nicht konturiert genug. Gegen Abstraktion, Kubismus, Surrealismus war er immun. Eine Pariser Ausstellung versuchte schon 2003, Vuillard als Maler dekorativer Großleinwände zu feiern; die Karlsruher Ausstellung stellt nun die intimen Formate vor. Als Höhepunkt bietet sie einige großartige, grün flirrende Varianten, Aufsichten, Stimmungs-Studien der Pariser Place Vintimille, an der Vuillard lange Jahre wohnte - der in Deutschland immer noch Unbekannte von der Seine.