Ende einer Epoche

27.03.2012
Vor einhundert Jahren sank die Titanic: 1955 erschien dazu ein Buch, das als das beste über den Untergang der Titanic gilt. Es stammt von Walter Lord. Er rekonstruiert anhand von Augenzeugen-Berichten die "letzte Nacht der Titanic" - unter diesem Titel ist das Buch jetzt wiedererschienen.
Am 14. April 1912 sank die "Titanic" auf ihrer Jungfernfahrt nach einer Kollision mit einem Eisberg. 1500 Menschen verloren ihr Leben. Schon 1955 veröffentlichte Walter Lord sein Buch "A Night to Remember" - "Die letzte Nacht der Titanic", in dem er akribisch das Geschehen auf dem Schiff rekonstruiert. Nun liegt es in einer neuen Ausgabe vor und beweist einmal mehr: Niemand hat besser über dieses Unglück geschrieben.

Als "Bibel der Titanic-Fans" bezeichnete die US-amerikanische Zeitschrift "Entertainment Weekly" dieses Buch und das zu Recht: Kein anderer Autor hat bis heute so viel über das Schiff und das Schicksal der Menschen an Bord zusammengetragen wie der 2002 verstorbene Walter Lord, der auch James Cameron bei den Dreharbeiten zu dessen "Titanic"-Film beriet.

Sein Geheimnis: intensive Recherche. Walter Lord sprach mit mehr als 60 Überlebenden des Untergangs. Zusammen mit ihren Aussagen, den Untersuchungsberichten der Briten und Amerikaner gelingt ihm so eine minutiöse Darstellung des Unglücks: vom Rammen des Eisbergs um 23.40 Uhr bis zur Rettung der Überlebenden durch die eilige herbeigeeilte "Carpathia" in den frühen Morgenstunden des 15. April. Walter Lord setzt aus den vielen Fakten eine spannende Geschichte zusammen.

Er berichtet aus vielerlei Perspektiven, darunter lobenswerterweise auch aus der der Dritte-Klasse-Passagiere. Er erzählt, wie zunächst kaum jemand den Zusammenstoß wahrnimmt, dann alle glauben, er habe keine Konsequenzen. Schließlich gilt das Schiff dank seiner Konstruktion als unsinkbar. Deshalb lässt man auch die Rettungsboote nur pro forma und halb voll zu Wasser - es war in den Booten sowieso nur Platz für die Hälfte aller Menschen an Bord.

Lords lebhafter, aber dennoch straffer und stringenter Stil zieht den Leser ins Geschehen herein, man realisiert ähnlich zu den Reisenden ganz allmählich, dass der Untergang unausweichlich ist. Am Ende kämpfen manche Passagiere um ihren Platz auf den Rettungsflößen, während andere dem Untergang mit einem Drink in der Hand entgegen sehen. Der Leser erfährt aber auch, dass die Rettung so nah war: Das Schiff "Californian" liegt nur zehn Meilen entfernt. Man kann von ihr aus sogar die Lichter der "Titanic" sehen. Doch niemand an Bord der "Californian" ahnt etwas von dem Unglück. Walter Lord berichtet auch von Gesprächen dort.

Schnell wird klar, dass der Untergang der "Titanic" in vielerlei Hinsicht das Ende einer Epoche markiert. Nie wieder gab es ein Schiff, das seinen Reisenden solch einen Luxus bot, und nie wieder danach gab es Reisende, die diesen Luxus so selbstverständlich annahmen und zahlten. 4350 Dollar kostete die Suite auf dem Schiff (was nach heutigem Wert knappe 100.000 Dollar sind), und alle Suiten waren ausgebucht.

Mit der "Titanic" ging der Lebensstil der ersten Klasse unter, diese lässige Boheme, die sich vor allem durch unangefeindete Zurschaustellung von ererbtem Reichtum, von Exklusivität und uneingeschränktem Lebensgenuss auszeichnete. Geld gab keine Sicherheit mehr, Technik auch nicht, was blieb? Für Amerika hatte das beunruhigende 20. Jahrhundert begonnen.

Besprochen von Günther Wessel

Walter Lord: Die letzte Nacht der Titanic
Aus dem Amerikanischen von Erwin Duncker
Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2012
272 Seiten, 9,99 Euro
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