Schulden trotz Arbeit

"Ich fühlte mich schäbig und unfähig"

07:13 Minuten
In einer Illustration springt ein Mensch über das Wasser von Sparschwein zu Sparschwein.
Voll berufstätig, aber die Schulden werden immer größer: So ergeht es nicht wenigen Arbeitnehmern. © Getty Images/ Digital Vision Vectors
Lydia Herms im Gespräch mit Katja Bigalke · 17.10.2020
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Keine Spielsucht, kein dickes Auto, keine sonstigen großen Anschaffungen. Trotzdem machte Lydia Herms immer mehr Schulden. Und das bei durchschnittlichem Verdienst. Irgendwann stellte sie sich dem Problem und lernte dabei auch viel über sich selbst.
Lydia Herms ist freie Journalistin und Sprecherin, sie verdient durchschnittlich viel Geld, hat keine Kinder und auch keine größeren Ausgaben.
Trotzdem machte sie eine Zeit lang immer mehr Schulden: für einen Umzug, eine Reise nach Island, Klamotten, Bücher, Tattoos. Das Geld sei "fürs Leben" draufgegangen. "Ich habe nicht gespielt, keine großen Anschaffungen gekauft, die ich nicht brauchte, es stand kein Auto vor meiner Tür." Sie habe sich auch nicht wirklich darum gekümmert zu wissen, wie viel Geld sie wirklich zur Verfügung habe. "Ich hatte immer das Gefühl, ich arbeite viel, also kann ich mir auch was gönnen."

Angst vor dem Abstieg

Lydia Herms lieh sich dafür Geld bei ihren Brüdern, bei ihrem Freund und der Bank. Doch irgendwann geriet sie an die Grenze ihres Dispos, den ihr die Bank gewährt hatte. Sie war rund 7500 Euro im Minus, das war vor drei Jahren.
"Für mich war nicht klar, was danach passiert", sagt sie heute. "Aber mir war klar: Danach geht es richtig bergab, mit Miete nicht mehr bezahlen können, Krankenkasse nicht mehr bedienen können, Finanzamt steigt mir auf das Dach." Da habe sie gewusst, "das geht so nicht weiter".
Dann ging Lydia Herms zu einer Schuldnerberatung. "Das war schrecklich", sagt sie noch heute. "Ich war da 36, ich war berufstätig, ich fühlte mich frei, emanzipiert und erwachsen und ich rief da an wegen Minusgeld. Ich fühlte mich schäbig und unfähig."

Problemanalyse bei der Schuldnerberatung

Vor Ort sei es dann ganz nüchtern zugegangen. Die Beraterin notierte erst mal ihre Fixkosten, um mögliche Einsparungen aufzuspüren. "Das war gut. Du sitzt da, du offenbarst einen Bereich, der immer noch ein Tabuthema ist, du offenbarst Probleme im Umgang mit Geld und diese Frau zuckt nicht mal mit der Augenbraue."
Was ihr letztlich half: Ein Haushaltsbuch führen, um die Ausgaben außerhalb der Fixkosten zu kontrollieren. Dann strich sie das Geld für Blumen, Kleidung, Essen gehen, viele Hygieneartikel. Auch ihr Selbstwertempfinden habe sich verändert. "Selbstfürsorge, wie viel bin ich mir wert, bin ich wertvoller, wenn ich eine neue Bluse habe? Oder reicht auch der olle Pulli von vor drei Jahren? Ich bin ja gleich wertvoll, und das habe ich erst spät gecheckt." Ihr wurde klar, "dass ich auch eingekauft habe, um mich aufzuwerten".
(cwu)
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