Innig gehasster Kritikerpapst

Von Christian Linder · 08.01.2011
Der Ruhm des Verlagsbuchhändlers, Schriftstellers und Kritikers Christoph Friedrich Nicolai beruhte zu seinen Lebzeiten auf der Macht seiner Gegner Goethe, Schiller und Fichte.
Schiller, dessen Zeitschrift "Die Horen" Nicolai wegen ihrer "dunklen Schreibart" angegriffen hatte, antwortete mit zwei Gedichtzeilen:

"Rührt sonst einen der Schlag, so stockt die Zunge gewöhnlich: Dieser, so lange gelähmt, schwatzt nur geläufiger fort."

Goethe, auf dessen Leiden des jungen Werthers Nicolai mit der Parodie "Freuden des jungen Werthers" geantwortet hatte, revanchierte sich mit einem – nie zum Druck freigegebenen – Fäkaliengedicht. Und Fichte bedauerte, dass Nicolai wegen seiner Unverschämtheiten nicht aufgehängt worden sei. Wie konnte jemand so sehr den Vernichtungswillen der philosophischen und schriftstellerischen Intelligenz seiner Zeit auf sich ziehen?

Christoph Friedrich Nicolai: "Ich schrieb, um den schlechten Schriftstellern den Verdruss empfinden zu lassen, den sie mir im Lesen machten."

Der junge Friedrich Nicolai, 1733 als Sohn eines Buchhändlers in Berlin geboren, war ein früher Leser. Er ging in Berlin und Halle zur Schule, absolvierte in Frankfurt an der Oder eine Buchhandelslehre und übernahm 1758 nach dem Tod des Vaters die elterliche Buchhandlung. Darauf bedacht, der Literatur in Deutschland eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen, wurde er selber Kritiker und predigte eine protestantisch-preußische Aufklärung, die gegen den Sturm-und-Drang und die Romantik gerichtet war. Die deutschen Schriftsteller, befand er,

"kennen nichts als ihr Cabinet, ihr Collegium, ihre Universität, auf der sie schreiben. Die Welt, für die sie schreiben, ist ihnen unbekannt."

"Briefe über den itzigen Zustand der schönen Wissenschaften in Deutschland" nannte Nicolai 1754, im Alter von 21 Jahren, seine erste literaturkritische Veröffentlichung. Kurz darauf erschienen "Briefe, die neueste Literatur betreffend", die er gemeinsam mit Gotthold Ephraim Lessing herausgab, der – neben Moses Mendelssohn – zu Nicolais kleinem Freundeskreis gehörte. Den in seinen Augen schlechten, weil zu esoterischen Zustand der Literatur führte er auch auf das Fehlen einer systematischen Literaturkritik in Deutschland zurück. Und so gründete er 1765 die Zeitschrift Allgemeine Deutsche Bibliothek und ließ alle in Deutschland gedruckten Bücher darin rezensieren.

So wurde er, wie Friedrich Schiller 1782 feststellte, "der Souverän in der Literatur", der "einen ungeheuren Einfluss beinah im ganzen deutschen Reich der Gegenwart" habe. Nicolai wusste durch seine polemische Schärfe immer wieder zu provozieren. Lobte jemand Fichtes Wissenschaftslehre, Goethes Wilhelm Meister und die französische Revolution als "größte Tendenzen des Zeitalters", antwortete er mit dem Hinweis, wichtiger seien Friedrich der Große, die amerikanische Revolution – und der Anbau der Kartoffeln. Für seine Kritiker verbarg sich hinter dem sogenannten "gesunden Menschenverstand", den Nicolai stets ins Feld führte, nichts als "platter", bornierter Rationalismus, dem jede Poesie der Wahrnehmung fremd bleibe. Er hielt dagegen – in dem Porträt eines Freundes, hinter dem sich ein Selbstporträt verbarg:

"Er gehörte nicht zu den theoretischen Politikern, welche sich mit Träumen über ein leicht zu entwerfendes, nie aber auszuführendes Ideal einer vollkommenen Staatsverfassung herumtreiben, sondern er lebte in der wirklichen Welt und suchte darin zu wirken."

So sehr die Zahl und die Macht seiner Feinde in Deutschland wuchs – Nicolai ließ sich nicht beirren, auch nicht in seinen eigenen schriftstellerischen Versuchen. Er schrieb vieles und Verschiedenartiges: neben seinen Kritiken und Pamphleten auch Romane und historische Bücher, so eine 1786 erschienene "Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam" – ein noch heute lesenswertes 600-Seiten-Standardwerk. Ein reiches, buntes, oft turbulentes Leben. Fünf Jahre vor seinem Tod am 8. Januar 1811 in Berlin musste Friedrich Nicolai allerdings eine nüchterne Bilanz ziehen. Die von ihm gegründete Zeitschrift Allgemeine Deutsche Bibliothek hatte sich überlebt.

"Ich habe diesem Werke mit frohem Mute den größten und besten Teil meines Lebens gewidmet. Ich habe demselben verschiedene Pläne mancher Art, wozu ich Kraft in mir fühlte, und die mir vielleicht wohlrühmlich gewesen wären, willig aufgeopfert. Doch glaube ich nicht, umsonst gelebt zu haben."