Dienstag, 30. April 2024

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Verteidigungsministerin zu Waffenlieferungen
Lambrecht (SPD): „Immer in enger Abstimmung mit unseren Verbündeten"

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat den Vorwurf zurückgewiesen, die Bundesregierung beliefere die Ukraine mit Waffen nicht schnell genug. Der zugesagte Gepard-Panzer müsse noch aufbereitet werden, sagte sie im Dlf. Zudem werde es bei Waffenlieferungen nie einen deutschen Alleingang geben.

Christine Lambrecht im Gespräch mit Christoph Heinemann | 02.06.2022
Christine Lambrecht (SPD), Verteidigungsministerin
Christine Lambrecht (SPD), Verteidigungsministerin, sagt, sie stehe in enger Abstimmung mit ihrem ukrainischen Amtskollegen (picture alliance/dpa | Michael Kappeler)
Die Ukraine fordert seit Langem die Lieferung von Flugabwehrsystemen, um sich gegen Angriffe von russischen Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Raketen oder Drohnen schützen zu können. Weil Bundeskanzler Olaf Scholz bei Waffenlieferungen zu zögern scheint, muss er immer heftigere Kritik einstecken, besonders von der Opposition. Scholz wies die Vorwürfe zurück und verwies auf die geplante Abgabe von Gepard-Flugabwehrpanzern und der Panzerhaubitze 2000.
Zuletzt hatte er der Ukraine zudem die Lieferung eines modernen Flugabwehrsystems zugesagt. Mit dem System Iris-T werde man der Ukraine, das "modernste Flugabwehrsystem liefern, über das Deutschland verfügt", sagte Scholz am 1. Juni im Bundestag. Damit versetze man die Ukraine in die Lage, eine "ganze Großstadt" vor russischen Luftangriffen zu schützen. Außerdem werde den ukrainischen Streitkräften ein Ortungsradar zur Verfügung gestellt, das Artillerie aufklären könne.
Daher hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht die Vorwürfe zurückgewiesen, die Bundesregierung unterstütze die Ukraine militärisch nicht ausreichend und nicht schnell genug. Man nutze alle Möglichkeiten, sowohl aus den Beständen der Bundeswehr als auch aus der Industrie und über den sogenannten Ringtausch von Panzern beispielsweise mit Griechenland, sagte sie im Dlf.
Die zugesagten Gepard-Panzer beispielsweise müssten zunächst aufbereitet werden. Lambrecht betonte, der Blick müsse sich auch auf die mittel- und langfristige Unterstützung der Ukraine richten. Das Land müsse so ausgestattet werden, dass es in diesem Krieg bestehen und sich verteidigen könne.

Das Interview im Wortlaut:

Christoph Heinemann: Frau Ministerin, soll die Ukraine diesen Krieg gewinnen?
Christine Lambrecht: Wir müssen dafür sorgen, dass die Ukraine so ausgestattet ist, dass sie in diesem Krieg bestehen kann, dass sie sich verteidigen kann und dass sie für ihre Werte, für ihre Freiheit, für ihre territoriale Unabhängigkeit kämpfen kann, und genau diese Unterstützung leisten wir - das ist uns ganz wichtig -, immer abgestimmt mit unseren Alliierten, mit unseren Verbündeten.
Heinemann: Mit dem Ziel, dass die Ukraine gewinnt?
Lambrecht: Ich glaube, es geht darum, die Ukraine jetzt so zu unterstützen, dass sie in diesem Kampf bestehen kann, und nicht um einzelne Worte. Ich habe manchmal das Gefühl, es geht eher um Worte als um Taten. Wir unterstützen die Ukraine in diesem Kampf, das ist ganz wichtig, und dazu stehe ich in regelmäßigem Austausch mit meinem Verteidigungsministerkollegen.
Heinemann: Wieso bekommen SPD-Politikerinnen und Politiker das Wort „gewinnen“ nicht über die Lippen?
Lambrecht: Es geht uns darum, zu unterstützen und nicht irgendwelche Worte zu veröffentlichen. Es geht darum, zu unterstützen. Die Ukraine muss in diesem Kampf so unterstützt werden, dass sie sich verteidigen kann, dass sie ihre territoriale Unabhängigkeit verteidigen kann, dass sie aber auch für unsere Werte kämpfen kann. Das ist das Entscheidende.

"Die Ukraine muss sich verteidigen können"

Heinemann: Hören wir, was Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gestern im ZDF gesagt hat:
O-Ton von Annalena Baerbock: „Ich sage, das stimmt, was der Kanzler sagt. Das habe ich auch schon sehr, sehr oft selber gesagt. Natürlich darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen, sondern es muss ihn strategisch verlieren, weil sie brechen nicht nur mit allem, was die Ukraine hat, sondern mit dem internationalen Völkerrecht. Sie wollen den Frieden in der Ukraine zerstören. Deswegen darf die Ukraine auf keinen Fall verlieren. Das heißt, die Ukraine muss gewinnen.“
Heinemann: Die Ukraine muss gewinnen! – Geht doch!
Lambrecht: Ja, die Ukraine muss sich verteidigen können gegen diesen brutalen Angriffskrieg.
Heinemann: Sie muss gewinnen!
Lambrecht: Sie muss sich gegen diesen brutalen Angriffskrieg verteidigen können. Das ist unser Anliegen. Wir unterstützen sie in diesem mutigen Kampf, der mit einem Mut, mit einer Kraft geführt wird, die beispiellos ist und die unseren ganz großen Respekt verdient.
Heinemann: Dann schauen wir mal, wie weit diese Unterstützung geht. – Sie haben den Bedarf gehört, den Botschafter Melnyk aufgezählt hat. Wird die Bundesregierung die 88 Leopard-I-Panzer und die 100 Marder-Panzer von Rheinmetall, die rasch generalüberholt werden könnten, der Ukraine zur Verfügung stellen?
Lambrecht: Wir werden jetzt auf jeden Fall zur Verfügung stellen Panzerhaubitzen 2000. Das ist das modernste System.

"Das läuft alles immer in Absprache auch mit der Ukraine"

Heinemann: Entschuldigung! Danach hatte ich nicht gefragt.
Lambrecht: Gemeinsam mit den Niederlanden bilden wir daran gerade die ukrainischen Soldaten aus in Idar-Oberstein. Das läuft alles immer in Absprache auch mit der Ukraine und uns ist wichtig, dass die Soldaten, die ukrainischen Soldaten, die damit dann später auch kämpfen werden, entsprechend ausgebildet sind. Das gleiche gilt für den Gepard, ebenfalls hier die klare Vereinbarung mit der Ukraine. Auch da muss es eine Ausbildung geben. Auch da muss es noch die Aufbereitung durch die Industrie geben.

Und die Marder, die Sie angesprochen haben, die brauchen wir auch, um diesen Ringtausch durchführen zu können, denn wir nutzen ja alle Möglichkeiten aus den Beständen der Bundeswehr, aus der Industrie, aber auch den Ringtausch. Wenn Griechenland jetzt wie angekündigt liefern wird aus Sowjetzeiten, dann ist unsere Aufgabe, unsere Vereinbarung, dass wir dann Griechenland unterstützen werden in diesem Auffüllen. Ich habe darüber gestern mit meinem griechischen Kollegen gesprochen. Genau dafür brauchen wir die Marder, um dann Griechenland zu unterstützen, wenn diese abgeben.
Heinemann: Die Gepard-Panzer, von denen Sie gesprochen haben, können teils bis Mitte Juli, teils bis Ende August instandgesetzt werden. Frau Ministerin, wie sehr nutzt das Berliner Schneckentempo den mutmaßlichen Kriegsverbrechern in Moskau?
Lambrecht: Hier geht es nicht um Schneckentempo, sondern hier geht es darum, dass die Geparden, die angekündigt sind, aufbereitet werden müssen. Das hat ja auch die Industrie angekündigt und das läuft alles auch in Abstimmung mit der Ukraine. Und es geht auch nicht darum, die Ukraine nur jetzt zu unterstützen. Wir müssen den Blick auch auf die mittel- und langfristige Unterstützung lenken, denn wir müssen ja befürchten, dass dieser Krieg nicht in einigen wenigen Tagen beendet wird, leider, sondern wir müssen davon ausgehen, dass die Ukraine diesen Kampf länger führen muss und auch dafür muss sie ausgerüstet werden und ausgestattet sein.

"Es gibt große Zustimmung für unsere Arbeit"

Heinemann: Frau Lambrecht, die Europapolitikerin Viola von Cramon von den Grünen – das ist keine Oppositionspartei – sprach kürzlich bei uns im Deutschlandfunk von „Verachtung“, mit der die Menschen in der Ukraine inzwischen auf Deutschland blicken. Welche Verantwortung tragen Sie für den Ansehensverlust Deutschlands?
Lambrecht: Ich teile diese Einschätzung nicht, sondern da, wo ich in internationalen Zusammenhängen mit Kollegen, aber auch mit anderen Politikern spreche, bekomme ich große Zustimmung für die Unterstützung, die aus Deutschland kommt, zum Beispiel von meinem ukrainischen Verteidigungsministerkollegen, und das sind Aussagen, die sind wertvoll, weil er genau sieht, was geleistet wird, was wir einbringen, wie wir uns einbringen und auch in welchem Tempo.
Heinemann: Es gibt keine Kritik aus der Ukraine an den USA oder an Großbritannien, geschweige denn an den osteuropäischen Ländern, umso mehr an der Bundesregierung.
Lambrecht: Ja, ich sage es noch mal: Es gibt große Zustimmung für unsere Arbeit, insbesondere vom ukrainischen Verteidigungsminister. Mit dem arbeite ich zusammen. Er ist derjenige, der einschätzen kann, was gebraucht wird, was notwendig ist, was geliefert wird, und das ist für mich die Einschätzung, die ganz wichtig ist.

"Immer in enger Abstimmung mit den Verbündeten"

Heinemann: Aber die Einschätzung des Botschafters haben wir eben gehört und der hat gesagt, wir brauchen auch Schützen- und Kampfpanzer. Warum werden die nicht geliefert?
Lambrecht: Wir stimmen uns mit unseren Alliierten, mit unseren Verbündeten ab, zum Beispiel im sogenannten Ramstein-Format, und da geht es darum, wer kann was schnell liefern, wer kann was mittelfristig liefern. Das ist der Weg, den wir gehen, zum Beispiel über den Ringtausch, wenn schnell abgegeben werden muss, dann über den Ringtausch, weil dann kann sofort mit den abgegebenen Panzern, wie beispielsweise aus Griechenland gekämpft werden. Wenn es mittelfristige Unterstützung ist, dann eben so eine Unterstützung wie über die Panzerhaubitze 2000, die dann Ende Juni geliefert werden kann, aber da auch dann die Ausbildung erfolgt ist, damit die Soldaten, die damit kämpfen, auch entsprechend damit umgehen können.
Heinemann: Gibt es Absprachen innerhalb der NATO hinsichtlich der Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern westlicher Produktion?
Lambrecht: Wir stimmen uns immer regelmäßig ab mit all unseren Verbündeten, aber auch darüber hinaus, auch in der Europäischen Union oder auch im Ramstein-Format. Uns ist es wichtig, dass es keine deutschen Alleingänge gibt. Das haben wir gezeigt in der Slowakei, als wir mit den Niederlanden zusammen die Slowakei in Bezug auf die Luftabwehr unterstützt haben. Da sind wir mit Soldaten und Patriots dort. Wir unterstützen jetzt durch die Panzerhaubitzen mit den Niederlanden zusammen und das ist unser Weg, immer in enger Abstimmung mit den Verbündeten.
Heinemann: Können Sie sich auch die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern westlicher Produktion in die Ukraine vorstellen?
Lambrecht: Wir brauchen jetzt – das ist ja auch das, was der Botschafter sagt – ganz schnell diese Panzer und deswegen der Ringtausch. Deswegen haben wir den Ringtausch mit Tschechien organisiert.
Heinemann: Ich hatte jetzt nicht nach dem Ringtausch gefragt, sondern ob westliche Panzer direkt an die Ukraine geliefert werden können.
Lambrecht: Solche Entscheidungen werden immer mit unseren Verbündeten eng abgestimmt. So gehen wir vor. Es wird keine deutschen Alleingänge geben.

"Wir haben durchgesetzt, dass es jetzt die Bewaffnung von Drohnen gibt"

Heinemann: Frau Ministerin, der Zustand der Bundeswehr – das muss man immer wieder sagen – ist eine Hinterlassenschaft von Angela Merkels Kanzlerschaft. Die Bundesregierung möchte jetzt die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro ertüchtigen. Luftwaffe und Marine – das zählt heute die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zusammen – bekommen mit rund 60 Milliarden Euro mehr als dreimal so viel Geld wie das Heer. Dort dienen zwei Drittel aller Soldatinnen und Soldaten im Heer und das Heer hätte im Kriegsfall auch die Hauptlast der Kampfhandlungen zu tragen. Welcher Plan steckt hinter der Verteilung der Mittel?
Lambrecht: Wir haben uns genau angeschaut, welchen Bedrohungen sehen wir uns aktuell ausgesetzt, also nicht vor einigen Jahren, wo es ja auch schon Pläne gab, was notwendig ist für die Bundeswehr, sondern jetzt, und anhand dieser Notwendigkeiten haben wir entschieden, mit unseren Inspekteuren, insbesondere mit dem Generalinspekteur Zorn, mit unseren Inspekteuren, was denn für die Bundeswehr erforderlich ist, und so ist dieser Plan entstanden, also nicht das, was die Industrie liefern könnte oder gerne verkaufen würde, sondern der Plan, was brauchen wir, um die Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten zu können, und so ist dieser Plan entstanden.
Heinemann: Was haben Sie mit dem Beschaffungsamt in Koblenz vor?
Lambrecht: Ich habe vor allen Dingen vor, dass das Beschaffungsamt Regeln bekommt, um schneller arbeiten zu können. Da sind die ersten Entscheidungen ja auch schon gefallen worden, dass es entlastet wird dadurch, dass jetzt 20 Prozent aller Aufträge freihändig vergeben werden können. Das entlastet, das schafft Kapazitäten frei, um gerade in den großen Projekten dann auch schneller werden zu können. Wir haben uns entschieden, dass wir in Zukunft auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, vom europäischen Vergaberecht abzuweichen – immer dann, wenn es für die nationale Sicherheit wichtig ist und dringlich ist, und wenn das jetzt nicht der Fall ist, dann weiß ich nicht mehr wann. Auch das eine Erleichterung. – Das sind die Regeln, nach denen das Amt arbeiten muss, und da müssen wir deutlich einfacher werden, dass es schneller gehen kann. Wir müssen aber auch mehr auf Marktverfügbarkeit setzen. Das haben wir jetzt beispielsweise bei der Entscheidung über den schweren Transporthubschrauber gemacht, dass wir da gesagt haben, wir setzen auf den Chinook, damit schnell das Ganze auch beschafft werden kann. Es ist marktverfügbar und das wird es in vielen Bereichen in Zukunft auch geben.
Heinemann: Frau Ministerin, das Ganze ist eine Herkules-Aufgabe. Welche Anzeichen gibt es in Ihrer bisherigen Amtsführung dafür, dass Sie dieser Aufgabe gewachsen sind?
Lambrecht: Na ja. Da sind zum Beispiel Entscheidungen getroffen worden, die bei den Vorgängerinnen liegen geblieben sind, beispielsweise die Tornado-Nachfolge. Wir haben recht zügig entschieden, dass wir die F35 dafür vorsehen. Wir haben durchgesetzt, dass es jetzt endlich die Bewaffnung von Drohnen gibt zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten. Die Veränderungen im Beschaffungswesen habe ich eben schon beschrieben. Jetzt die Entscheidung über den schweren Transporthubschrauber, lange liegen geblieben, endlich entschieden. Das heißt Schluss mit Zögern und Zaudern. Das ist die Botschaft, die von den Monaten meiner Amtszeit ausgeht, und genauso werden wir auch weiterarbeiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.