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Van Gogh bei der Arbeit

Vor 40 Jahren wurde das Van Gogh Museum in Amsterdam gegründet. Zum Jubiläum zeigt das Haus die Ausstellung "Van Gogh at work". Zu sehen sind rund 200 Arbeiten des niederländischen Malers, die Mythen und falsche Darstellungen des Genies revidieren sollen.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Christoph Schmitz | 03.05.2013
    Christoph Schmitz: In keinem anderen Museum der Welt gibt es so viele Bilder von Vincent van Gogh zu sehen wie im Van Gogh Museum in Amsterdam. Über 200 Bilder sind es. Vor 40 Jahren wurde das Museum gegründet. Zum Jubiläum hat das Haus jetzt eine besondere Ausstellung aus eigenem und internationalem Bestand zusammengetragen unter dem Titel "Van Gogh at work", der Mann bei der Arbeit. Wir sollen dem Autodidakten, dem Genie und zum Leidensmythos stilisierten, exzentrischen Maler beim Lernen, beim Arbeiten, Planen und Malen zuschauen. Mythen sollen zugleich revidiert und falsche Darstellungen seiner Person und Malweise revidiert werden. Zu sehen sind 200 Gemälde, Papierarbeiten, Skizzenbücher, Briefe, Malmaterialen. Stefan Koldehoff, Sie haben die Ausstellung gesehen. Van Gogh gilt als genialer Autodidakt, der spontan und heftig Farben auf der Leinwand verteilt – mit großem Gestus. Was sagt die Ausstellung zu diesem Bild?

    Stefan Koldehoff: Die großen Gegner sind tatsächlich immer noch Julius Meier-Gräfe, der ab 1904 in zahlreichen Büchern, die Bestseller waren, genau dieses Bild propagiert hat, das Sie gerade beschrieben haben. Er hat unter anderem geschrieben, "die Sonne von Südfrankreich hat ihm das Hirn aus dem Schädel gebrannt" und "Farbe spritzte wild wie Blut auf die Leinwand". Nichts davon ist wahr. Der zweite große Gegner, Vincente Minelli, der in dem Spielfilm 1956 mit Kirk Douglas genau dieses Bild perpetuiert hat. Die Wissenschaft hat längst ein völlig anderes Bild von Van Gogh, nämlich das eines sehr durchdacht handelnden Künstlers, der immer auf der Höhe des künstlerischen Diskurses war, der sich informiert hat, worüber andere gerade nachdachten, der immer versucht hat, mitzuhalten. Man sieht es beispielsweise in der Ausstellung, wenn dort die Bilder wechseln von der dunklen, tonigen Zeit, die er in seiner holländischen Heimat kennengelernt hatte, unter anderem durch seinen Vetter, den bekannten Maler Anton Mauve. Und dann kommt er nach Paris und lernt die Impressionisten kennen, und plötzlich wird es hell, plötzlich wird er wagemutig, plötzlich werden die Striche länger. Er hat die Impressionisten kennengelernt und malt mit ihnen auch zusammen.

    Schmitz: Aber er macht das sehr planvoll. Nicht im spontanen Gestus, sondern er ist akribisch in der Nachempfindung, in der Erkenntnis der Stile seiner Zeit.

    Koldehoff: Und das wird sehr schön in der Ausstellung gezeigt, indem beispielsweise wissenschaftliche Bücher ausgebreitet werden, die er nachweislich damals gelesen hat zum Thema Farblehre. Indem aber auch beispielsweise gezeigt wird, welche Materialien ihm zur Verfügung standen. Das muss man sich immer mal klar machen. Bis kurz vor Beginn von Van Goghs Malertätigkeit mussten Pigmente mit Bindemittel mühsam angerührt werden, dann aber, Mitte, Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Tubenfarbe erfunden, die konnte man direkt auf die Palette drücken oder direkt auf die Leinwand und konnte viel spontaner damit agieren. Auch dieses Hintergrundwissen wird vermittelt. Und, ein Drittes: Man hat viele der Bilder, die dort zu sehen sind, übrigens nicht nur eigene Bestände aus dem Van Gogh Museum, sondern auch zahlreiche wunderbare, sehr selten zu sehende Leihgaben, zarte Aquarelle, Federzeichnungen. Man hat vieles davon naturwissenschaftlich untersucht und festgestellt, dass die Farben, die wir heute zum Teil für so typisch Van Gogh halten, dieses leuchtende Blau, ursprünglich mal ganz anders ausgesehen haben, dass das deutlich violetter beispielsweise gewesen ist. Das stellt man fest, wenn man die Rahmen mal abnimmt und schaut, wo die Farbe ist, die nicht dem Sonnenlicht ausgesetzt war, weil sie eben unter dem Rahmen gelegen hat. Und da ist auch einiges für diese Ausstellung wieder restauriert worden.

    Schmitz: Was wird noch revidiert?

    Koldehoff: Beispielsweise die Idee, Van Gogh sei ein einsamer Wolf gewesen, der eigentlich nie Interesse am Erfolg gehabt hätte. Das ist ja auch so dieses Bild, ihm genügte seine Kunst, hat Julius Meier-Gräfe vor über 100 Jahren dazu geschrieben. Nein, ganz und gar nicht. Es gibt wütende Briefe an den Bruder Theo, der Kunsthändler in Paris ist. Du tust nicht genug für meine Kunst, wie kommst du dazu, immer noch keine Bilder von mir verkauft zu haben. Also all das, der Verrückte, der sich angeblich das Ohr abgeschnitten hat, der nie Interesse an Erfolg gehabt hat – davon bleibt nicht mehr viel übrig.

    Schmitz: Das waren aber Erkenntnisse, die in der Literatur schon aufgearbeitet sind, was zeigt die Ausstellung neu, was man bisher nicht wusste?

    Koldehoff: Na ja, das sind eben Sachen, die man noch nicht visualisiert hatte. Also in der Literatur ist das alles durchaus State of the Art und seit Langem Kenntnisstand, aber man hat es halt noch nicht versucht, auch zu visualisieren.

    Schmitz: Und wie wird das hier getan, das Visualisieren?

    Koldehoff: Na ja, zum Teil ein bisschen übertrieben, muss ich sagen. In diesem sehr engen, sehr gut besuchten Museum haben Sie dann plötzlich Stände, an denen ein Perspektivrahmen, mit dem Van Gogh versucht hat, aus drei Dimensionen zwei auf der Leinwand zu machen, ist dort aufgebaut und man soll damit arbeiten und soll auf einem Touchscreen selbst malen. Oder man soll auf einem iPad plötzlich Bilder wegrubbeln, sodass die Unterzeichnung sichtbar wird. Das hätte diese Ausstellung eigentlich gar nicht gebraucht. Was sie will, wird eigentlich auch so klar.

    Schmitz: Und sonst? Ein Fazit dieser Ausstellung?

    Koldehoff: Absolut sehenswert, aber bitte nicht nur die Bilder angucken, sondern auch schauen, was dazu geschrieben steht.

    Schmitz: Stefan Koldehoff, vielen Dank für diese Einblicke in die Ausstellung "Van Gogh at work" im Van Gogh Museum in Amsterdam.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.