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"Ein wunderbarer Jahresanfang"

"Ein wenig Sorge" habe die SPD ihr bei der Landtagswahl in Niedersachsen bereitet, sie habe keinen wirklichen Rückenwind aus Berlin erhalten, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Sie ist überzeugt, dass Rot-Grün auch mit der knappen Mehrheit stabile Verhältnisse im Landtag schaffen kann.

Renate Künast im Gespräch mit Dirk Müller | 21.01.2013
    O-Ton Landeswahlleiterin Niedersachsen: "Danach ergibt sich die zu verteilenden Sitze wie folgt: 54 auf die CDU, 49 auf die SPD, 14 auf die FDP und 20 auf die Grünen."

    Dirk Müller: Die Landeswahlleiterin kurz vor Mitternacht, und damit siegt Rot-Grün bei den Wahlen in Niedersachsen mit einer Stimme Vorsprung. Fast sechs Stunden Zittern, Bangen, Hoffen. Erst hat Schwarz-Gelb in den Hochrechnungen die Nase vorn, dann kippt das Ganze zugunsten der Sozialdemokraten und der Grünen. Die Grünen feiern mit über 13 Prozent ein Rekordergebnis. Aber auch die Liberalen starten durch mit zehn Prozent der Stimmen. – Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk 6:51 Uhr. Am Telefon begrüße ich nun die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Guten Morgen!

    Renate Künast: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Frau Künast, wussten Sie, dass Ihre Partei so gut ist?

    Künast: Ich hab’s geahnt und wir haben’s ja auch drauf angelegt: ein sehr intensiver Wahlkampf. Und wir haben eins gemerkt, auch in Hannover: Um unsere Konzepte geht’s nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land, was ja beachtlich ist in solch einem agrarisch geprägten Flächenland, geahnt und gehofft, und jetzt sind wir natürlich glücklich. Das heißt, ein wunderbarer Jahresanfang für das entscheidende Bundestagswahljahr.

    Müller: Wie viel Magenschmerzen hatten Sie mit Blick auf die SPD?

    Künast: Na ich lass’ es mir normalerweise nicht sofort auf den Magen gehen. Ich sage mal, ein wenig Sorge, weil die SPD in Niedersachsen hatte nun nicht gerade Rückenwind aus Berlin und Unterstützung. Aber sie haben sich unabhängig gemacht, sie haben es geschafft. Das ist ja mal gut!

    Müller: Sie meinen also, trotz Peer Steinbrück hat die SPD ganz gut abgeschnitten?

    Künast: Ja. Vielleicht hätten sie noch den einen oder anderen Punkt zulegen können. Sie haben sich scheinbar davon unabhängig gemacht. Aber wie gesagt, Rückenwind wäre schöner gewesen, damit es so richtig in die Segel bläst und vielleicht nicht ganz so eine Zitterpartei, Partie – Entschuldigung! -, Zitterpartie wird. Aber gut, es hat ja gereicht.

    Müller: Zitterpartei geht auch!

    Künast: Ja komisch, so macht man Fehlleistungen um kurz vor sieben.

    Müller: Nein, war ja kein Fehler! – Frau Künast, ich muss Ihnen diese Frage stellen beziehungsweise kann sie Ihnen nicht ersparen. Jetzt haben wir nicht gerade stabile Regierungsverhältnisse, eine Stimme Vorsprung. Sie haben sich immer für klare Verhältnisse ausgesprochen. David McAllister würde vermutlich mit Ihnen zusammenarbeiten. Hat er schon sich gemeldet?

    Künast: Ja bei mir sowieso nicht, sondern wenn, dann bei Anja Piel oder Stefan Wenzel. Der Fakt ist aber trotzdem eines: Man kann auch mit einer Stimme Mehrheit sehr stabile Verhältnisse schaffen, vielleicht manchmal sogar stabiler, als wenn es ein bisschen dicker ist mit der Mehrheit, weil es einfach alle an ihre Verantwortung jeweils erinnert. Aber jenseits dieser Rechenkünste, Herr Müller: Wie sollte das denn gehen? Wir haben einen Wahlkampf gemacht, der klar gesagt hat, starke Grüne und wir wollen Schwarz-Gelb in Niedersachsen ablösen, um eine Regierung mit der SPD gemeinsam zu bilden. Wir hatten ein klares inhaltliches Programm. Und sehen Sie mal: Das hat es ja vielleicht selten gegeben, dass auch in einer Landeswahl der Agrarbereich, die Tierhaltung eine solche Rolle gespielt hat, herausgehoben an der Stelle in einem Land, das sozusagen der Fleischermeister Europas fast ist. Und an der Stelle hat sich das immer weiter auseinanderentwickelt. Am Ende ist sogar Angela Merkel noch zum Eröffnungsrundgang der Grünen Woche gestiegen letzten Freitag, um klarzumachen, ja, es soll so weitergehen wie bisher, wo die Tiere sich den Ställen anpassen, wo eine ungeheuere Boden- und Gewässerbelastung ist beim Herstellen, also bei der Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren und bei der Herstellung von Fleisch. Das ist ein zusätzlicher Punkt, wo es wirklich weit auseinandergeht. Nein, wir haben eine Mehrheit und ich denke, wir werden ein gutes Koalitionsergebnis für Niedersachsen mit der SPD hinkriegen.

    Müller: Wundert jetzt einige, Frau Künast, dass Sie ganz klar sagen, die SPD – das war ja implizit in diese Frage mit eingeschlossen – hat demnach auch ein Herz für Tiere.

    Künast: Na ja, zumindest hat sie auch das Thema mit aufgegriffen und andere Vorstellungen an dem Punkt, das muss man schon sagen. Die CDU sagt, so wie es jetzt ist, ist es richtig und alles ist gut, und die SPD stellt an der Stelle auch Fragen und stellt infrage.

    Müller: Also Sie kommen da zusammen, das ist gar keine Diskussion?

    Künast: Das ist keine Diskussion, wenn nicht noch irgendwas Besonderes passiert, aber das wird so nicht sein.

    Müller: Blicken wir über den Tellerrand: die Geschlagenen. Die CDU hat deutlich verloren, die FDP hat deutlich gewonnen, und viele haben damit gar nicht gerechnet, dass die FDP reinkommt, obwohl die Zahlen, die kurz vorher erhoben wurden, also in der Vorwoche, doch in diese Richtung gingen. Dennoch: fast zehn Prozent für die FDP. Haben Sie damit gerechnet?

    Künast: Nein, und diese zehn Prozent nimmt natürlich inhaltlich wahr. Die FDP hat ja in allen Umfragen, was Kompetenz anbetrifft, miserabelste Werte. Selbst da, wo sie immer sagt und behauptet, sie habe die große Wirtschaftskompetenz, glauben ihr das nicht mal drei Prozent der Leute. Es sind alles geliehene Stimmen. Aus eigener Kraft wären sie nicht über die fünf Prozent gekommen. Und jetzt wird ja eins kurios sein: Das ist ja eigentlich das Alberne an diesem Abend, dass ein Herr Rösler mit der erfolgreichen Zweitstimmen-Kampagne, die auch Herr McAllister mit angezettelt hat, dass Herr Rösler damit weiter Parteivorsitzender bleibt. Da werden manche staunen in der FDP und nicht glücklich sein. Und auf der anderen Seite, glaube ich, wird das jetzt auch in der CDU Fragen aufwerfen, ob das eigentlich so klug war, zwecks Machterhalt so scharf auf eine Zweitstimmen-Kampagne zu gehen, dass sie es am Ende doppelt verlieren, nämlich die Macht und eine Vielzahl von Mandaten.

    Müller: Frau Künast, das müssen Sie uns aber noch mal erklären. Das ist gestern schon häufig gefallen, das Stichwort Leihstimme. Wie sieht das aus im Wahllokal in Niedersachsen? Gibt es da extra Zettel für die Leihstimme, oder wie kann man Stimmen verleihen?

    Künast: Na ja, Sie haben eine Erst- und eine Zweitstimme. Da, wo Direktwahlkreise für die CDU recht sicher sind, wird dann am Ende FDP gewählt, Die Stimme geliehen – schlicht und einfach dadurch: Wenn Sie jetzt bei Umfragen mitkriegen, dass 80 Prozent, mindestens 80 Prozent der Leute, die FDP gewählt haben, eigentlich sagen, wir wollten eigentlich CDU wählen, haben aber, damit McAllister weiter Ministerpräsident ist, jetzt die Zweitstimme an die FDP gegeben, dann ist das eben eine Leihstimme.

    Müller: Aber völlig legitim demokratisch?

    Künast: Ja natürlich! Ich kritisiere das auch nicht. Die Menschen dürfen so entscheiden. Es ändert trotzdem nichts daran, dass die FDP sich darauf inhaltlich nicht verlassen kann. Das ist eben nicht Kraft eigener Kompetenz und daraus ergibt sich, dass diese Stimmen sofort wieder woanders sind. Sie haben null Bindung für die FDP und drücken auch nichts über die FDP aus, sondern das Interesse des Machterhalts CDU. Deshalb kann die FDP aus diesem Ergebnis für die Bundestagswahl nichts schließen, außer dass es wacklig, genauso wacklig ist und dass sicherlich in der CDU jetzt die Debatte beginnen wird, warum sie eigentlich faktisch auf Mandate verzichtet, wenn es doch nicht reicht. Aber ich muss mir nicht den Kopf der FDP und CDU zerbrechen. Ich sage mal, es hat jetzt gereicht, rechnerisch, aus gesellschaftlichen Auffassungen auch eine politische Mehrheit in Niedersachsen zu machen, und genau das haben wir für den Bund auch. In vielen politischen Bereichen haben Merkel und FDP auf der Bundesebene schon lange nicht mehr gesellschaftliche Mehrheit getroffen, und wir, wir können’s dann machen. Wir haben, ich glaube, starke Konzepte für mehr Gerechtigkeit, zum Beispiel durch Bildung, für gesellschaftliche Modernisierung, zum Beispiel bei der steuerlichen Gleichstellung von Schwulen und Lesben.

    Müller: Vielen Dank! – 6:58 Uhr im Deutschlandfunk. Renate Künast, die Grünen-Fraktionschefin, war das. In einer halben Minute geht es hier gleich weiter im Programm. Danke für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag.

    Künast: Ich danke auch – der Tag ist schön!


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