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Kabarettist zu Politischer Korrektheit
"Begrifflichkeiten spielen für mich keine große Rolle"

Für den Kabarettisten Marius Jung bedeutet politische Korrektheit vor allem Respekt. Wenn jemand falsch formuliere, aber aus der richtigen Haltung heraus, sei ihm das lieber, als wenn Begriffe tabuisiert werden, sagte er im Dlf. Denn das berge die Gefahr, dass Probleme "weiter brodeln, aber nicht ausheilen" können.

Marius Jung im Gespräch mit Christine Heuer | 07.03.2019
Der Kabarettist und Schauspieler Marius Jung
Der Kabarettist Marius Jung sieht in der Tabuisierung von Begriffen eine Gefahr (imago / Rainer Unkel)
Christine Heuer: Der Karneval hatte es in sich dieses Jahr. Die CDU-Vorsitzende sorgte für Wirbel mit ihrem Witz über die Toiletten fürs dritte Geschlecht und die Elbkinder-Kita in Hamburg-Ottensen bat dringend darum, auf Indianerkostüme zu verzichten, überhaupt auf Kostüme, "die auf Rasse oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder anderen Minderheit Bezug nehmen, zusätzlich negativ konnotiert sind und damit für Teile unserer Elternschaft verletzend sein könnten." – Ganz schön viel politische Korrektheit für die tollen Tage.
Wir wollten darüber mit jemandem sprechen, den es betreffen kann, jemanden, den die politisch korrekte Sprech- und Verkleidungsgebote jedenfalls potenziell beschützen sollen, und wir haben uns deshalb mit Marius Jung zum Interview verabredet, Kabarettist, Schauspieler, Autor des Buches "Singen können die alle! Ein Handbuch für Negerfreunde". Guten Morgen, Herr Jung!
Marius Jung: Guten Morgen!
"Mir geht es weniger um die direkte Formulierung"
Heuer: Sie haben eine andere Hautfarbe als ich. Ich bin weiß. Darf ich das sagen, dass Sie eine andere Hautfarbe haben?
Jung: Warum sollten Sie das nicht. Das ist ja nun mal ein Fakt.
Heuer: Wie darf ich es sagen?
Jung: Ja, das ist eine nun oft gestellte Frage. Mir geht es weniger um die direkte Formulierung, sondern um die Haltung dahinter. Das heißt, wenn jemand falsch formuliert aus der richtigen Haltung heraus, ist mir das lieber, als wenn jemand richtig formuliert, weil Begriffe tabuisiert werden. Hier, finde ich, ist auch das Thema bei Frau Kramp-Karrenbauer. Es geht ja darum, was denn ihre Haltung ist, und da ist es egal, ob jetzt Humor mitspielt oder nicht: Die Haltung bleibt ja. Das wird hier, glaube ich, ein bisschen vergessen und auch gar nicht diskutiert.
Heuer: Dann handeln wir AKK mal zu Beginn ab. Das hatte ich mir eigentlich für später aufgehoben. Was meinen Sie, was für eine Haltung sie hat? Beweist sie mit ihren Bemerkungen über Karneval tatsächlich eine Geringschätzung für Intersexuelle?
Jung: Nee, ein Nicht- damit-Zurechtkommen oder ein Nicht-damit- so-gerne-Auseinandersetzen eher. Ihre Haltung zur Homoehe ist ja nun hinlänglich bekannt, dass sie da ihre Schwierigkeiten hat, und das ist meiner Ansicht nach auch eines der Hauptprobleme von so einem Joke, wenn wir über ein Thema reden, das in der Gesellschaft ja nun nicht hinlänglich diskutiert wurde. Das heißt, ein drittes Geschlecht.
Schauen wir Facebook an: Da gibt es 60 Möglichkeiten des Geschlechtes. So ein Genderthema ist ein schwieriges Thema. Deshalb sollte man da auch vorsichtig sein, damit Jokes zu machen. Wenn man es tut, dann sollte das immer einen Zusammenhang haben, der irgendetwas dann damit auch macht, etwas aufdeckt oder meine Haltung dazu zeigt. Da finde ich schon, dass auch eine CDU-Vorsitzende schauen sollte, was sie da sagt.
"Politisch korrekt heißt nicht tabuisieren"
Heuer: Kommen wir zurück auf Sie, Herr Jung.
Jung: Ja!
Heuer: Wenn ich sage, dass Sie eine dunkle Hautfarbe haben, dass Sie schwarz sind, ist das dann politisch korrekt?
Jung: Politisch korrekt, darüber müssen wir uns, glaube ich, ganz kurz unterhalten.
Heuer: Unbedingt!
Jung: Politisch korrekt heißt für mich, da geht es um den Respekt. Politisch korrekt ist eigentlich dafür da, dass ich respektvoll mit jemandem umgehe. Das heißt, wenn die Sexarbeiterin Hure genannt werden möchte und ich sie Hure nenne, dann ist das politisch korrekt, weil ich empathisch versuche, mein Gegenüber richtig zu beurteilen. Wer mich kennt weiß, dass Begrifflichkeiten für mich da nicht so eine große Rolle spielen.
Für mich persönlich: Wenn mich jemand aus Spaß als Neger bezeichnet, werde ich mit ihm darüber diskutieren unter Umständen, weil das natürlich Leute tun aufgrund meiner Bücher, aber wo ich dann sage: Moment, aber wisst ihr denn, woher der Begriff kommt und wie ihr den jetzt einsetzt?
Ich glaube, das ist das Wichtige. Wir müssen über die Dinge sprechen. Das ist das Ding. Politisch korrekt heißt nicht tabuisieren. Das ist aber das, was sehr viel passiert. Wir bleiben in der Form hängen und das heißt, wir unterhalten uns darüber, wie ich benannt werden darf, aber eigentlich geht es darum, wie stehen Sie zu mir.
Heuer: Woran erkennen Sie denn, wie Menschen zu Ihnen stehen, ob die respektvoll sind oder nicht?
Jung: Na ja, gut. Das merke ich an ganz vielen Verhaltensarten: ist jemand höflich zu mir, ist jemand ängstlich mir gegenüber. Ich arbeite seit sehr vielen Jahren ja als Coach und mache momentan sehr viele Vorträge in Schulen zum Thema Respekt. Das heißt, ich rede genau mit den Schülern genau über diese Themen. Und ich spüre ja an Formulierungen, an vor allen Dingen damit verbundenen Körperhaltungen, Stimme und so weiter, woher der Gedanke kommt.
"Das Verkleiden in verschiedenen Ethnien gehört für mich zum Karneval dazu"
Heuer: Die Fachstelle für vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung – das ist die Fachstelle, deren Empfehlungen die Kita in Hamburg-Ottensen gefolgt ist. Wenn die beschreibt, was politisch korrekt ist, und sagt, Indianerkostüme sind es zum Beispiel nicht, hilft das dann mehr, oder schadet es?
Jung: Zum einen ist, glaube ich, das Problem mit unterdrückten Indianern in Deutschland relativ gering.
Heuer: Es gibt nicht so viele, ja.
Jung: Es sind jetzt nicht so viele Original-Ureinwohner von Amerika hier.
Heuer: Aber da geht es ja ums Prinzip, Herr Jung.
Jung: Na ja, gut. Aber genau darum geht es mir. Bei politischer Korrektheit sollte es nicht ums Prinzip gehen, sondern es sollte um den Menschen gehen. Das Verkleiden in verschiedenen Ethnien zum Beispiel gehört für mich zum Karneval dazu. Das ist der Ursprung des Karnevals, dass ich als jemand anderes gehe. Dass der Bauer als Bischof durch die Kirche getragen wird, das ist der Ursprung, oder dass ich das Militär veräppele oder so. Deswegen finde ich den Ansatz hier falsch.
Heuer: Sie würde es nicht stören, wenn jemand im Karneval als Schwarzer verkleidet geht?
Jung: Na ja, nein. Es kommt ja darauf an, was er damit dann macht. Dass er das grundsätzlich tut, halte ich für völlig legitim, weil das ist wie gesagt die Grundidee des Karnevals.
Heuer: Was darf er dann nicht tun?
Jung: Na ja. Die Frage ist immer, wie weit deformiere ich etwas. Das Problem bei Blackfacing, was wir hier ja dann oft auch haben, ist ja nicht, dass sich jemand schwarz anmalt, sondern dass der Schwarze zum Beispiel im 40er-, 50er-Jahre-Film als dumm, als Affe im Grunde dargestellt wurde. Das heißt, wenn ich anfange, böse zu deformieren, da geht es dann ja drum. Deswegen sage ich: Haltung! Etwas spaßig zu umschreiben, ist was anderes, als etwas wirklich bitter niederzurichten.
"Im Bewusstsein gehen Inhalte verloren"
Heuer: Ihre These ist, Sprechver- oder auch Gebote, die sind der Situation oftmals nicht angepasst und deshalb nicht so hilfreich, wie sie es sein wollen.
Jung: Genau!
Heuer: Das verstehe ich richtig?
Jung: Genau. Tabuisierung, darum geht es eigentlich. Das Tabuisieren führt eigentlich tatsächlich nur dahin, dass wir über Sachen eben nicht mehr sprechen, und genauso ist es ja auch passiert, ob das jetzt in Kirchen ist, ob das Missbrauchsopfer sind, ob das Unterdrückung von Frauen ist, Gewalt zuhause und so weiter. Diese ganzen Sachen passieren nicht mehr oder weniger, weil da jemand einen Joke drüber macht, sondern dass wir nicht darüber sprechen, dass wir nicht wirklich darüber sprechen.
Heuer: Führen Sprech- dann auch zu Denkverboten?
Jung: Jein! Wenn ich ein Wort nicht ausdrücke, zum Beispiel das Wort Neger wird tabuisiert, das heißt es findet nicht mehr statt, auch nicht im Bericht oder in Bezug auf eine historische Geschichte, in dem Moment höre ich natürlich auch auf, über die Geschichte dieses Wortes nachzudenken und darüber zu sprechen und zu sehen, wann dieses Wort vergiftet wurde wie der sprichwörtliche Apfel.
Heuer: Es geht was verloren? Es gehen auch Inhalte verloren?
Jung: Inhalte – ja genau! Im Bewusstsein gehen die verloren, und das ist das Problem. Die Kirche ist für mich hier ein ganz gutes Beispiel. Das ist einfach über Jahrhunderte passiert, dass Sachen einfach tabuisiert wurden und nicht besprochen wurden.
"Die Probleme werden in eine untere Hautschicht getan"
Heuer: Das heißt, politisch korrekte Sprechweisen müssen nicht, aber können möglicherweise auch Schaden anrichten?
Jung: Politisch korrekte Ausdrucksweise, die aus einem Bewusstsein heraus kommt, ist ja wunderbar. Das heißt, wenn ich mir darüber Gedanken mache, wie Sie das eben getan haben, wie benenne ich jetzt den Marius Jung ob seiner Hautfarbe, in dem Moment gehe ich bewusst hin und arbeite damit. Das heißt, ich denke nach, ich reflektiere das, und in dem Moment, wo ich es reflektiert habe, geht da ja nichts verloren.
Das heißt, verloren geht es, wenn wir einfach sagen, auf keinen Fall dürfen Sie den, den, den, den und den Begriff nehmen. Das heißt, wenn wir diese Begriffe ausschließen aus unserer Diskussion, werden wir sie auch nicht besprechen. Das heißt, die Probleme werden in so eine untere Hautschicht getan, wo sie weiter brodeln, aber nicht ausheilen können, weil wir nicht darüber sprechen.
Heuer: Marius Jung, Kabarettist, Schauspieler, Buchautor, Coach ist er auch, hat er selber gerade erwähnt. Herr Jung, ich danke Ihnen für das Gespräch heute Früh.
Jung: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.