Mark Rothko-Retrospektive in Wien

New Yorker Avantgarde versus alte Meister

07:55 Minuten
Bilder in der Mark Rothko-Ausstellung, KHM Wien
Bilder in der Mark Rothko-Ausstellung, KHM Wien © ©1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Bildrecht, Wien, 2019, Foto: KHM-Museumsverband
Von Carsten Probst · 11.03.2019
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Marc Rothko ist der Begründer der Farbfeldmalerei und ein Meister der abstrakten Kunst. Wie ihn dennoch die figürliche Malerei beeinflusst hat, zeigt jetzt eine Retrospektive in Wien. Die kontrastiert seine Bilder mit Meisterwerken der Kunstgeschichte.
Mark Rothkos weniger bekanntes, figürliches Frühwerk bildet in dieser Retrospektive den Stoff für eine Art Herleitung der sogenannten "klassischen Werke", für die der Begründer der Farbfeldmalerei heute weltbekannt ist.
Ganz zu Beginn seiner Künstlerlaufbahn aber, in den frühen dreißiger Jahren, überwiegen Inspirationen durch die europäische Malerei: von Giotto und der Renaissance bis zu Manet, Matisse, Picasso. Auch die Antike spielt hier schon eine Rolle.
Nach und nach aber erobern die Hintergründe immer mehr den Bildraum. Rothko grenzt den Raum hinter den Figuren etwa mit breiten farbigen Linien ein oder formuliert ihn als eine ins Unendliche hinein reichende, von diffusen Farbtönen erleuchtete Tiefe.

Auflösung des Vordergrundes

Mitte der Vierziger Jahre schließlich löst sich der Vordergrund immer mehr zu komponierten Flecken auf, die immer noch ein wenig Gegenständlichkeit ausstrahlen. In einem nächsten Schritt sieht man Vordergrund und Hintergrund als gleichberechtigte, große Farbflächen, die den Betrachter nach Rothkos Vorstellung die Erfahrung eines gestaffelten Farbraumes mit einer transzendenten Sphäre führt.
Am stärksten wirkt das gerade bei großformatigen Ensembles von Arbeiten, wie den "Seagram Murals", die als Auftragswerke für bestimmte Räume entstanden sind, in diesem Fall für ein Luxusrestaurant im Seagram Building. Zwar hat Rothko diesen Auftrag später zurückgegeben, da ihm der Ort für die Bilder zu laut und zu pompös war. Gut erkennbar aber ist an ihnen, dass er, wie auch bei der berühmten Rothko Chapel, Räume durch Farbe erschaffen wollte, die die vorhandene Architektur überformen.

Abstraktion als Spitze des Fortschritts

Folgt man Clement Greenberg, dem entschiedenen Anwalt des Abstrakten Expressionismus in den USA der 1940er und 1950er Jahre, dann dann war die Abstraktion gleichsam die Spitze und historische Konsequenz künstlerischen Fortschritts. Der Reiz dieser Wiener Retrospektive besteht aber gerade darin, dass Rothkos Werk hier mit eben dieser Kunstgeschichte kontextualisiert, in einen Dialog gebracht wird.
Die Sammlung des KHM reicht vom 18. Jahrhundert zurück bis in das 5. Jahrtausend vor Christus; Kunst des 20. Jahrhunderts gibt es hier nicht. Bei Rothko aber überzeugt die Idee von Kurator Jasper Sharp, Rothko hier zu zeigen, weil er sich sein ganzes Künstlerleben lang mit alter Kunst beschäftigt und sie auch auf langen Reisen durch Europa immer wieder aufgesucht hat.
Bild in der Mark Rothko Ausstellung, KHM Wien, 2019
© © 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Bildrecht, Wien, 2019, Foto: KHM-Museumsverband
Anders als seinem Malerzeitgenossen Barnett Newman ging es Rothko nicht um einen Abschied von der europäischen und um eine Neubegründung amerikanischer Kunst, sondern offenkundig um eine umfassende Idee malerischer Transzendenz, die er gerade auch in der europäischen Kunst aller Zeiten wiederfand. Womöglich spielte auch die europäische Herkunft seiner Familie dabei eine Rolle: Rothko war als Sohn in eine jüdische Familie in Lettland geboren worden und mit zehn Jahren mit der Familie vor Pogromen in die USA geflohen.
In der Wiener Retrospektive hat man viel unternommen, um Rothkos Vorstellungen für die Präsentation seiner Bilder so nahe wie möglich zu kommen: vom gedimmten Licht, um das kontemplative Lohen seiner Farben zu unterstützen, bis hin zur Hängung von einzelnen Bildern in kapellenartigen Nischen, in denen die Betrachter sich vor dem einzelnen Gemälde versenken sollen.

Die umstrittenen Aspekte sind allgegenwärtig

Die emotionale, spirituelle Erfahrung, die Rothko anstrebte, gehört aber auch zu den in Fachkreisen umstrittensten Aspekten seiner Malerei. Diese werden in der Ausstellung in Wien zwar nicht diskutiert, aber sie sind indirekt dennoch allgegenwärtig. Denn was sieht man auf diesen Bildern tatsächlich? Ist ihre Wirkung tatsächlich so emotional, so transzendent? Oder ist diese Unmittelbarkeit, die Rothko erzielen möchte, nicht eher suggestiv?
Seine Farbwolken mit ihren diffusen Grenzen reflektieren eigentlich sehr konventionelle Tafelbildformate. Ein Kritiker verglich Rothkos Verwendung von sehr dünnflüssiger Farbe, mit der er seine Leinwände tränkte, mit dem Färben von Textilien. Ist es also am Ende doch nur eine spirituell gedachte Effektmalerei? Zweifellos leben Rothkos Bilder von der inneren Spannung, dass sie das Erkenn- und Erfahrbare in einer ungewissen Schwebe halten.

Betrogen vom Nachlassverwalter

Mark Rothko starb 1970. Seine Kinder Kate und Christopher haben wichtige Teile des Nachlasses zusammengehalten und zahlreiche Arbeiten für die Ausstellung beigesteuert. Gegen Ende seines Lebens war Mark Rothko von seinem ursprünglichen Nachlassverwalter über den Tisch gezogen worden.
Nach Rothkos Tod lancierte jener zahlreiche Malereien zu extrem niedrigen Preisen an die Marlborough Gallery. Erst durch diverse Gerichtsprozesse glang es damals den Kindern Rothkos, die Hälfte der Bilder wieder in Familienbesitz zu holen. Die National Gallery in Washington D.C. verfügt heute über den weltweit größten Rothko-Bestand aus eben dieser Familiensammlung, der viele Leihgaben für die Wiener Ausstellung entstammen.

Mark Rothko
Kunsthistorisches Museum Wien
12. März bis 30. Juli 2019

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