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Der Bäcker von Sarajevo
Eine bosnische Erfolgsgeschichte

Bosnien-Herzegowina ist "sicheres Herkunftsland". Die positive Grundstimmung in der Gesellschaft kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse überaus schwierig sind. Korruption und Vetternwirtschaft sind Gift für den unternehmerischen Geist im Land. Doch es gibt auch Ausnahmen, die Hoffnung machen.

Von Daniel Heinrich | 17.06.2016
    Blick auf Sarajevo, aufgenommen am 14.11.2006.
    Viele Unternehmen in Bosnien-Herzegowina scheint die Mischung aus Korruption und Vetternwirtschaft zu lähmen. Transparency International listet das Land im aktuellen Korruptionsindex weltweit auf Platz 76. (picture alliance / dpa / Matthias Schrader)
    An Bäckermeister Mirsad Zuyd ist alles breit: Schultern breit, der Bauch breit, die Hände breit. Es ist fünf Uhr morgens, es ist viel zu früh und trotzdem ist auch das Lächeln breit als er mir seine – natürlich – breite Hand zur Begrüßung entgegenstreckt. Er empfängt mich in der riesigen Produktionshalle der Großbäckerei im Industriegebiet am Rande Sarajevos. Im Akkord rollen hinter uns die frischen Brote auf blauen Bändern vorbei. Produktionsleiter Suitsch ist sehr zufrieden.
    "Es läuft richtig gut. Gerade ist Ramadan, das bedeutet, die Leute kaufen unsere Produkte wie verrückt. Das war nicht immer so. In den letzten drei Jahren haben wir unseren Umsatz um fast ein Drittel auf knapp 40 Millionen Euro gesteigert. Mich freut es vor allem für unsere Mitarbeiter. Viele von denen sind überhaupt froh, dass sie Arbeit haben."
    Zuyds‘ Arbeitgeber, die Bäckerei Klas, ist eine der wenigen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten in Bosnien-Herzegowina. Karsten Dümmel leitet die Konrad-Adenauer-Stiftung im Land. Dümmel hat in der DDR als Bürgerrechtler gegen den Unrechtsstaat opponiert, hat jahrelang in Afrika im Umfeld korrupter politischer Systeme gearbeitet. Mit schwierigen Rahmenbedingungen kennt er sich also aus. Für ihn braucht es in Bosnien Herzegowina einen ganz bestimmten "Typ" um als Unternehmer Erfolg zu haben.
    "Die meisten von denen waren jahrelang im Ausland. Haben sich dort ausleben können mit Kreativität. Die kommen zurück und schaffen es mit dicken Ellenbogen, sich hier durchzusetzen. Aber das ist nicht in der Gewohnheit der Menschen drin."
    Hoffnung auf Besserung durch EU-Beitritt
    Einer, der diese unternehmerische Durchsetzungskraft, aber auch die ständigen Kämpfe mit verkrusteten politischen Strukturen verkörpert, ist Rusmir Hrvic. Er ist der Geschäftsführer von AS-Group, einem Firmenkonglomerat, das in Bosnien über 3.000 Mitarbeiter beschäftigt. Die Produktpalette reicht von Lebensmitteln bis Textilien. Trotz seines jugendhaften Auftretens sieht er müde aus im hauseigenen Maßanzug. Er spricht aus, was viele Unternehmer im Land denken:
    "Ich sehe die größten Schwierigkeiten in der Gesetzeslage. Da muss viel mehr gemacht werden. Es gibt keine Transparenz auf dem Markt. Kein Mensch weiß, wie innerhalb der Administration Entscheidungen getroffen werden. Vor allem, wenn es um Exporte in die EU geht, verschläft unsere Politik eine Gelegenheit nach der anderen, die bosnischen Gesetze an EU-Normen anzupassen."
    Viele im Land scheint die Mischung aus Korruption und Vetternwirtschaft zu lähmen. Charlotte Hermelink ist die Leiterin des Goethe Instituts in Sarajevo. Die Mutter zweier Kinder ist eine offene, lebensfrohe Frau: Sommerschal, viel Leinen, rote Haare, abwägende Sätze. Als das Thema auf die Politik in Bosnien kommt ist ihr Urteil allerdings klar:
    "Die Beobachtung ist, dass Politiker für sich und ihre Freunde und ihre Verwandte, ihre Seilschaften und für ihre Ethnien arbeiten: Das gilt für Bosniaken, Kroaten oder Serben gleichermaßen. Es gibt einfach keinen Begriff für das, was wir in Deutschland unter 'Allgemeinwohl' verstehen und dem, was man als Politiker verpflichtet ist - ganz unabhängig von der politischen Parteizugehörigkeit."
    Im aktuellen Korruptionsindex weltweit auf Platz 76
    Die Zahlen geben Hermelink Recht. Transparency International listet Bosnien-Herzegowina im aktuellen Korruptionsindex weltweit auf Platz 76. Damit liegt das Land hinter Jamaika oder El Salvador. Für Karsten Dümmel gibt es einen klaren Frontverlauf zwischen Wirtschaft und Politik. Gegen - statt Miteinander scheint das Motto:
    "Wenn ich mit Firmenchefs zusammentreffe, das sind dann meistens auch gleich Hunderte Firmenchefs, dann haben die einen Satz für mich: ‚Haltet uns die Politik vom Leib, damit wir arbeiten können.‘ Das sagt eigentlich schon alles aus."
    Einen "Anker der Hoffnung" bietet die Europäische Union. Bosnien-Herzegowina hat im Februar einen Mitgliedsantrag in der Staatengemeinschaft eingereicht. Olaf Deussen arbeitet für die EU-Delegation in Sarajevo. In seiner Wahrnehmung kann alleine schon die Aussicht auf einen Beitritt eine gewaltige Wirkung erzielen:
    "Gerade der wirtschaftliche Bereich brennt den Leuten extrem unter den Nägeln. Die Arbeitslosigkeit im Land ist extrem hoch, das heißt, dass die Leute erst einmal Jobs haben wollen. Wenn man sich anschaut, was die EU in den letzten Jahren gerade in Südosteuropa geleistet hat, kann das auch Vorbild für Bosnien sein."
    Signal an die Landsleute
    Zurück in der Morgendämmerung, zurück in der Großbäckerei Klas am Rande Sarajevos. Mirsad Zuyd zuckt über die Zustände in seinem Land nur leicht mit den Schultern. Er kennt die Zahlen, er kennt die Verhältnisse. Er ist damit groß geworden, sie bestimmen seinen Alltag. Gerade aber auch mit Blick auf Europa will er sich seine gute Laune nicht verderben lassen. Die Erfolgsgeschichte von Klas. Sie ist für ihn noch lange nicht vorbei:
    "Zum einen wollen wir noch mehr exportieren. Europa ist so ein großer Markt, der uns so viele Chancen bietet. Zum anderen wollen wir mit unserer Geschichte auch ein Signal an unsere eigenen Landsleute senden. Seht her: Wir als Bosniaken haben es geschafft – trotz dieser ganzen Schwierigkeiten in unserem Land. Und wenn wir es schaffen, heißt das, dass auch im Rest des Landes Erfolgsgeschichten möglich sind."
    Es sind nicht nur die Muskeln rund um seine Ellenbogen, die einen an diesem Morgen glauben lassen, dass die Geschichte von Klas zu einem Symbol für die wirtschaftliche Entwicklung in ganz Bosnien werden könnte.