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Jung und europakritisch: Frankreichs neue Regierung

Neben François Hollande, dem neuen Hausherrn im Élysée-Palast, gab es bei der ersten Kabinettssitzung nach der Wahl in Frankreich viele weitere neue Gesichter zu sehen. Nur fünf der 18 Minister und 16 beigeordneten Minister hatten schon früher das Amt eines Ministers oder Staatssekretärs inne. Wichtige Posten sind mit Politikern besetzt, die sich beim EU-Verfassungsreferendum vor sieben Jahren für ein Nein ausgesprochen hatten.

Von Hans Woller | 18.05.2012
    "Die Ansprachen des Präsidenten und des Premierministers waren sehr feierlich und beide haben sie uns drei Worte eingehämmert: Sparsamkeit, Pflichtbewusstsein und Ehrenhaftigkeit."

    Worte nach der ersten Kabinettssitzung aus dem Mund von Najad Vallaud-Belkacem - einer von sechs Ministerinnen und Ministern mit Migrationshintergrund, gerade 34 Jahre alt und damit die Jüngste in Frankreichs neuer Regierungsmannschaft, deren Sprecherin sie nun ist und zugleich, als Tochter marokkanischer Einwanderer, Ministerin für Frauenfragen - und damit eines von vielen Symbolen und Signalen, mit denen in Frankreich eine Regierungsbildung stets eng verbunden ist. Ein weiteres Symbol: die versprochene und strikt gewahrte Parität: 17 Frauen und 17 Männer. Jean Marc Ayrault, der Premierminister betonte:

    "Das ist in der Geschichte der Französischen Republik eine Premiere: eine vollständig paritätische Regierung . Dazu kommt: Die Vielfalt der Herkunft, die Abschaffung der Ämterhäufung, und wir zeigen Verantwortung insofern, als keiner, der bei den kommenden Parlamentswahlen nicht gewählt wird, Minister bleiben kann."

    Eine neue, frische und in den meisten Ressorts ausgesprochen kompetente Regierung mit dem Anspruch, beispielhaft und moralisch integer zu sein, hat Präsident Hollande gestern den Franzosen präsentiert, allerdings - wie auch die wichtigste französische Tageszeitung Le Monde in ihrem Leitartikel schreibt - mit einem Außenminister Laurent Fabius als "paradoxem Europäer", der auch gleich gestern Morgen, noch vor der Amtsübergabe am Quai d'Orsay betonte, er sei ein überzeugter Europäer, wir bräuchten aber ein anderes Europa , ein Europa, das viel stärker auf Arbeitsplätze ausgerichtet sei.

    Und sagte anschließend, nach der Amtsübergabe an der Seite seines Vorgängers, Alain Juppé:

    "Ich werde versuchen , die Aufgabe, die sich mir stellt, gut zu lösen. Eine Aufgabe, die darin besteht, den Einfluss auszuüben, den Frankreich haben muss und diesem Einfluss eine Kohärenz zu verleihen, ohne die nichts möglich ist."

    Laurent Fabius hatte 2005 als Gegner des Verfassungsvertrags eine sozialere, humanere und solidarischere Verfassung gefordert, die vorgeschlagene als zu wirtschaftsliberal und nur dem Marktgedanken verbunden, kritisiert.
    Noch Ende 2007, wenige Monate bevor Frankreich dann unter Präsident Sarkozy den Lissabon-Vetrag durch das Parlament, letztlich mit Unterstützung der Mehrheit der Sozialisten, ratifizieren ließ, hatte der heutige französische Außenminister gesagt:

    "Meine Position ist einfach: Der EU-Vertrag war einem Referendum durch die Franzosen unterzogen und abgelehnt worden, und ich denke, es bedarf auch jetzt wieder eines Referendums, das ist die einzige demokratische Prozedur und ich hoffe, dass die Sozialisten sich darüber einig werden. Ich denke, man muss bei dieser Position bleiben . Nur weil Herr Sarkozy das anders sieht, muss ich mich nicht seiner Haltung unterwerfen. Ich sage: Das Volk muss entscheiden und man muss an dieser Position festhalten."

    Frankreichs neuer Wirtschafts- und Sozialminister Pierre Moscovici, den man eher zum wirtschaftsliberalen Flügel der französischen Sozialisten zählen darf, sprach gestern von einer nötigen Neuorientierung Europas und sagte:

    "Wir sagen klar: Der Fiskalpakt wird im gegenwärtigen Zustand nicht ratifiziert und man muss eine Wachstumskomponente hinzufügen . Und wir wollen eine ambitiöse Wachstumsstrategie."

    Zwei Gegner des EU-Verfassungsvertrags von 2005 im Außenamt und im Europaministerium - dies könnte zunächst ein innenpolitisches Signal von François Hollande sein. Er vereint damit im Schoss seiner Regierung das in der EU-Verfassungsfrage seit sieben Jahren tief gespaltene Frankreich, dessen eine Hälfte die parlamentarische Ratifizierung des Lissabonvertrags 2008 bis heute nicht verdaut hat. Und Präsident Hollande, wie Regierungschef Ayrault und Finanzminister Moscovici 2005 aktiver Befürworter des EU-Vertrags, signalisiert auch nach außen , dass sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise kaum mehr verschweigen lässt, dass die französischen Kritiker des EU-Vertrags damals durch die Entwicklungen der letzten Jahre in vielen Punkten recht bekommen haben.