Bescheidene Bären-Gewinnerin

Von Christian Geuenich · 17.06.2009
Maren Ades viel umjubelter Film "Alle anderen" war aus deutscher Sicht der große Gewinner bei der diesjährigen Berlinale: einen Silbernen Bären (für den Film, einen weiteren für die Beste Hauptdarstellerin. Alle anderen" startet jetzt in den Kinos. Es ist der zweite Film der 32-jährigen Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin nach ihrem viel beachteten Debütfilm "Der Wald vor lauter Bäumen" (2005).
"An dem Montag, als ich dann rausgegangen bin und mein Foto auf der 'Süddeutschen Zeitung' gesehen habe, da bin ich schon kurz so erstarrt stehen geblieben (lacht) und habe mich natürlich gefreut. Aber am nächsten Tag war dann eigentlich alles wieder normal. Ich habe die Wohnung aufgeräumt, die während der Berlinale verwahrlost ist und fand es dann schön, dass das normale Leben wieder zurück ist."

... erzählt die schmale 32-jährige Berliner Regisseurin, deren Gesicht mit den strahlend blauen Augen etwas Puppenhaftes hat. Der überraschende Silberne Bär für ihren Film "Alle anderen" hat sich irgendwie unwirklich angefühlt, sie aber sehr zufrieden gemacht. Maren Ade - rötlicher Pagenkopf, in lilafarbener Strickjacke und Jeans - ist keine, die sich, ihren Film und die Auszeichnung auf der Berlinale gerne feiert oder danach erst einmal die Füße hochlegt.

"Ich arbeite gerne, ja. Mir wird schnell langweilig, habe ich gemerkt. So richtig Urlaub machen, so was kann ich irgendwie gar nicht. Ich glaube, es wäre eine große Herausforderung, so ohne Laptop mal drei Wochen wegzufahren, das würde mir schwer fallen."

Im Zentrum von Maren Ades kammerspielartigem, tragikomischen Film "Alle Anderen" steht mit Gitti und Chris ein ungleiches, modernes Paar Mitte 30, er nachdenklich, orientierungslos und sensibel, sie laut, bestimmend und selbstbewusst. Sie machen Urlaub auf Sardinien im Haus von Chris' Eltern. Dabei haben sie ihren eigenen Humor, gewisse Rituale und albern herum - anfangs zumindest.

Filmausschnitt "Alle anderen":
Gitti: "Darf ich dich mal was fragen?"
Chris: "Nö."
Gitti: "Hasst du mich manchmal?"
Chris: "Was soll denn die Frage jetzt?"
Gitti: "Ich hasse dich ja manchmal ... "
Chris: "Ich hab dich nicht gefragt!"
Gitti: "Aber ich hasse ... "
Chris: "Ich hab dich nicht gefragt!"

Maren Ade: "Ich wollte eigentlich die Machtverhältnisse in einer Beziehung untersuchen. Und das Machtverhältnis zwischen den beiden kehrt sich im Laufe des Films um. Die beiden sind noch nicht richtig gefestigt, was ihre Rollen angeht und was auch die Rollen in ihrer Beziehung angeht. Und ausgelöst durch die Begegnung mit einem anderen Paar gerät die Beziehung ins Wanken, und die beiden müssen sich ein paar unangenehmen, vielleicht auch existentiellen Fragen stellen."

Maren Ade ist 1976 in Karlsruhe geboren und wächst dort als einziges Kind zweier Lehrer auf. Schon während der Schulzeit schreibt sie gerne Aufsätze. Das habe sogar ihre Grundschullehrerin in einem Gratulationsschreiben zum Silbernen Bären noch einmal bestätigt, erzählt Maren Ade schmunzelnd.

"Ich habe mir irgendwann eine High-8-Kamera gewünscht und habe mit Freunden einen Film gedreht, bin gerne ins Kino gegangen und habe mich einfach für Filme interessiert, ohne dass ich jetzt eine 16-jährige Cinephile war, die schon alle Godard-Filme kannte, aber es war mir eigentlich schon vor dem Abitur irgendwie klar, dass ich irgendwas mit Film studieren wollte."

Nach dem Abitur zieht Maren Ade nach München, um Praktika bei verschiedenen Filmproduktionsfirmen zu machen. Mit 22 bewirbt sie sich an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, möchte dort eigentlich Regie studieren, glaubt aber, dass sie dafür noch nicht genug Erfahrung vorweisen kann und beginnt im Fachbereich Produktion und Medienwirtschaft.

"Ich habe es dann aber ein bisschen bereut, als ich dann gesehen habe, die sind im Regie-Jahrgang auch alle so alt wie ich, und es war gar nicht so, dass man vorher noch irgend etwas anderes studiert haben musste."

Während des Studiums gelingt es ihr, doch noch ins Regie-Fach zu wechseln. Sie bittet ihre Kommilitonin Janine Jackowski den für den Wechsel benötigten Kurzfilm außerhalb des Studiums zu produzieren. Zusammen gründen sie im Jahr 2000 die Firma "Komplizenfilm", die bis heute existiert und nicht nur den erfolgreichen Berlinale-Film "Alle Anderen", sondern auch Ades vielfach ausgezeichneten Debütfilm "Der Wald vor lauter Bäumen" produziert hat.

Darin kommt die junge, naive Lehrerin Melanie Pröschle aus der schwäbischen Provinz an eine Karlsruher Realschule und wird dort von Schülern und Kollegen systematisch fertig gemacht.

"Na ja, für mich ist das schon so ein bisschen - das hört sich jetzt kindisch an - wie ein Fantasie-Freunde-haben-Ding. Also es gab jetzt so vier Jahre, wo ich mit Melanie Pröschle unterwegs war, und jetzt habe ich vier Jahre mit Gitti und Chris verbracht, und irgendwie begleitet einen das ja über so einen langen Zeitraum so ein Projekt und so Figuren, und es verändert sich. Und irgendwie macht es mir Spaß, etwas zu haben, worüber ich nachdenken kann."

Noch fühlt sich Maren Ade nicht bereit, direkt ein neues Drehbuch zu schreiben. Aber die zielstrebige Regisseurin sammelt schon wieder Eindrücke, kleine Alltagsszenen, die ihr auffallen, die sie in den Computer schreibt oder in verschiedene Notizbücher, die sie immer bei sich hat. Eines davon liegt beispielsweise auf dem Nachttisch.

Aktuell organisiert Maren Ade mit ihrer Produktionsfirma den nächsten Film des Regisseurs Ulrich Köhler, der gleichzeitig ihr Freund ist, mit dem sie in Berlin-Mitte wohnt. Er hat sie bei "Alle anderen" nicht nur dramaturgisch beraten, die beiden sind auch sonst ein enges Team.

"Ich kann dazu nur sagen, dass es für mich 'ne Bereicherung ist, mit jemandem zusammen zu sein, der denselben Beruf hat, weil dann einfach ein Grundverständnis da ist, für das, was man macht und ein Verständnis dafür, dass es teilweise viel von einem abverlangt, zeitintensiv ist. Und wir tauschen uns bei vielen Sachen aus, geben uns unsere Drehbücher zu lesen, beraten uns. Für mich war das vor allem bei dem Film extrem wichtig."
Filmszene aus "Alle anderen" mit Birgit Minichmayr als Gitti und Lars Eidinger als Chris
Filmszene aus "Alle anderen" mit Birgit Minichmayr als Gitti und Lars Eidinger als Chris© 2009 PROKINO Filmverleih GmbH
Die Schauspielerin Birgit Minichmayr, Regisseurin Maren Ade und Schauspieler Lars Eidinger (v.l.n.r.)
Die Schauspielerin Birgit Minichmayr, Regisseurin Maren Ade und Schauspieler Lars Eidinger (v.l.n.r.)© AP
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