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Russland und Griechenland
"Beziehungen sind an ihre Grenzen gestoßen"

Beim Besuch von Präsindent Putin in Griechenland stehen vor allem Investitionen und der Ausbau der politischen Beziehungen im Vordergrund, sagte der Ökonom Jens Bastian im Deutschlandfunk. In der aktuellen Situation sei aber von dem Treffen nicht viel zu erwarten. Primär schaue Russland nach Serbien und anderen Ländern auf dem Westbalkan.

Jens Bastian im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 28.05.2016
    Der Ökonom Jens Bastian
    Der Ökonom Jens Bastian (imago stock&people)
    Die griechische Regierung habe mittlerweile erkannt, dass Russland keine Alternative zur EU als Finanzinvestor darstellen könne. In den vergangenen Jahren habe man versucht, mit dem Ausbau der Beziehungen zu Russland ein Zeichen zu setzen - diese seien aber in der Praxis an ihre Grenzen gestoßen.
    Im Juli beschließt die EU die Sanktionsbestimmungen gegen Russland neu. Präsident Putin sei deswegen auf der Suche nach neuen Partnern.
    Der Besuch des russischen Präsidenten im Kloster Athos sei auch "handfeste Innenpolitik". Putin habe in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, sein Verhältnis zur russisch-orthodoxen Kirche zu verbessern.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns fragen, was bedeutet das eigentlich, die Wirtschaftsbeziehungen, aber auch die politischen Beziehungen zwischen Griechenland und Russland, was hat sich da getan. Darüber wollen wir reden mit Jens Bastian, unserem Experten in Athen, den ich begrüße. Guten Morgen, Herr Bastian!
    Jens Bastian: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Bastian, beginnen wir mal mit einem ganz kritischen Thema, zum Beispiel Krim: Wie positioniert sich Griechenland, wie positioniert sich Tsipras inzwischen bei diesem Thema, was ja für die europäisch-russischen Beziehungen nicht ganz unwichtig ist?
    Bastian: Da haben Sie Recht. Premierminister Tsipras hat bisher das EU-Sanktionsregime gegen Russland mit Blick auf dessen Vorgehen in der Ukraine und die Annexierung der Krim immer mitgetragen, allerdings mit einer gewissen öffentlichen Kommentierung, dass er dieses Sanktionsregime gerne auch verändert haben möchte. Das betrifft zum Beispiel griechische Agrarexporte nach Russland, die natürlich auch unter Mitleidenschaft gezogen worden sind.
    Zurheide: Ist das ein Thema, was im Mittelpunkt steht oder haben beide eher versucht, bei diesem Besuch das ein Stück in den Hintergrund zu schieben, was haben Sie da beobachtet?
    Bastian: Was ich beobachtet habe, ist eher, dass, was Sie gerade andeuten, dass es in den Hintergrund getreten ist. Im Vordergrund steht eher, dem Besuch den Blickwinkel zu geben, es geht um Investitionen, es geht um die Ausbaufähigkeit der politischen Beziehungen. Da haben wir eine gewisse religiöse Symbolik des Besuches, aber insgesamt aber auch deutlich zu machen, dass mehr Gelassenheit und Realitätssinn überwiegen, damit nicht, wie im vergangenen Jahr, als der griechische Premierminister zweimal nach Moskau gereist ist, im Grunde genommen in Berlin und in Brüssel Alarmstufe Eins eingetreten war.
    Zurheide: Sie haben gerade gesagt, da gibt es einen neuen Realismus. Der Kollege Landmesser hat es, glaube ich, auch so ähnlich formuliert - woher kommt dieser Realismus? Ist es einfach das Anerkennen einer Situation, das Russland nicht kann oder ist es aus griechischer Sicht eher die Rücksichtnahme auf die Europäische Union und das Bewusstsein, na ja, wir gehören eher in den Westen?
    Bastian: Zum einen ist es mehr Nüchternheit, zum anderen ist es die klare Anerkennung auch durch die Erfahrung der vergangenen 18 Monate der Tsipras-Regierung, dass Russland keine Alternative darstellen kann, nicht als Finanzinvestor, der zum Beispiel der griechischen Regierung unter die Arme greifen könnte, da waren voriges Jahr Versuche unternommen worden, die waren nicht erfolgreich. In den vergangenen Jahren haben unterschiedliche griechische Regierungen immer wieder versucht, mit dem Ausbau der Beziehungen zu Russland ein Zeichen zu setzen, dass man Alternativen hätte. Diese Alternativen sind in der Praxis wirklich an seine Grenzen gestoßen.
    Zurheide: Was kann denn Russland realistisch leisten, oder was will Russland leisten, worüber hat man gesprochen? Natürlich, die berühmten Privatisierungen, wobei aus westlicher Sicht dann immer die Frage im Vordergrund steht, na ja, da werden dann Häfen an China verkauft, jetzt werden sie an möglicherweise Russland verkauft. Was sehen Sie da, was könnte konkret herauskommen zunächst einmal?
    Russland sieht Griechenland nicht als primären Investitionsstandort
    Bastian: Die Praxis zeigt, dass in der konkreten Situation recht wenig herauskommt. Ihr Kollege Landmesser sagte bereits, der Kooperationsvertrag mit Blick auf Turkish Stream, was Energielieferung, Stromerzeugung angeht, liegt auf Eis. Hinzu kommt, dass Russland eigentlich Griechenland nicht primär als Investitionsstandort anschaut, auch wenn es jetzt ein gewisses Interesse für die griechische Eisenbahn oder einen Hafen in Nordgriechenland in Saloniki gibt. Primär schaut Russland eher nach Serbien, auf andere Länder auf dem westlichen Balkan. Ich glaube eher, die gesamte Symbolik liegt darin, dass Präsident Putin auch versuchen möchte, durch diese Reise nach Griechenland - und das ist seine erste Auslandsreise in ein EU-Mitgliedsland in diesem Jahr - herauszufinden, was ist eigentlich die Tonlage des Sanktionsregimes gegenüber Russland. Es müssen im Juli die bestehenden EU-Sanktionen neu beschlossen werden, da gibt es Diskussionen auch in Deutschland, dass die vielleicht abgemildert werden, und ich glaube, Putin sucht nach Partnern, versucht im Grunde herauszufinden, welchen Spielraum gibt es da in der EU.
    Zurheide: Welche Hoffnung hat ihm Tsipras gemacht, denn, in der Tat, Sie haben es gerade angesprochen, auch Bundesaußenminister Steinmeier ist in diesen Tagen ja unterwegs gewesen in den baltischen Staaten und hat dort zumindest dafür geworben, dass es eine Lockerung geben könne, wenn denn in der Ukraine bestimmte Dinge eingehalten werden. Ist dann Tsipras auf diese Linie nicht nur eingeschwenkt, sondern wird er das aktiv befördern?
    Bastian: Ich denke ja, da ist er politisch konsequent. Das hat er schon voriges Jahr gefordert. Er konnte sich damals nicht durchsetzen. Er hat sich dann dem Mehrheitsbeschluss gefügt, und jetzt versucht man einfach, nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen EU-Mitgliedsländern herauszufinden, gibt es da Flexibilität, kann man da in der Tat auch einzelnen Ländern der EU entgegenkommen, wie zum Beispiel durch die Sanktionen, was den Export von Agrarprodukten angeht? Das betrifft vor allen Dingen auch Griechenland. Es ist einer der wenigen Exportbereiche, wo Griechenland konkurrenzfähig ist, und das ist ihm weggebrochen in Russland. Das hat dann auch wirtschaftliche Konsequenzen in diesem Land, und ich denke, hier will Premierminister Tsipras deutlich machen, dass diese Sanktionen gemildert werden müssen. Und da gibt es mehrere Premierminister oder Außenminister, die einer Meinung sind in der EU.
    Zurheide: Sie haben gerade angesprochen South Stream, dieses Projekt der Energieversorgung und auch einigermaßen skeptisch dabei geklungen – warum, oder welche realistischen Chancen gibt es für so ein Projekt oder eben auch nicht?
    Bastian: Zum einen zeigt sich, dass solche Großprojekte zwar dann immer wieder mal eine Unterschrift bekommen, was Absichtserklärungen betrifft, aber dann kommen die gegenseitigen Beziehungen ins Spiel und machen einen Strich durch die Rechnung. Das betrifft vor allen Dingen die Art und Weise, wie die Türkei und Russland seit dem Abschuss des russischen Flugzeugs im vergangenen Jahr miteinander umgehen, und dann werden Kooperationsprojekte entsprechend auf Eis gelegt. Ich möchte einfach auch betonen, dass bei solchen Großprojekten immer wieder zu beachten ist, was ist eigentlich ihre Realisierungschance. Die kosten eine enorme Summe an Geld. Russland musste in den vergangenen Jahren kürzertreten, was seine Investitionen betrifft, vor allen Dingen auch im Ausland, wenn der Ölpreis entsprechend zurückgegangen ist. Hier musste dann auch entsprechend sparsam investiert werden. Deswegen sind solche Großprojekte wie Turkish Stream auch an ihre Realisierungsgrenzen gestoßen.
    Zurheide: Es wird heute - Sie haben das auch vorhin schon angesprochen - den Besuch auf dem Heiligen Berg Athos geben. Welche Bedeutung hat das? Ich glaube, das müssen Sie vielen Menschen erklären, weil das nicht ganz deutlich ist hier bei uns. Also erst mal die Bedeutung dieses Klosters?
    Bastian: Dieses Kloster liegt auf dem Berg Athos, das ist in Nordgriechenland. Das ist ein russisches Kloster, und Präsident Putin hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mal Griechenland privat besucht als Bürger, der diese russisch-orthodoxen Klöster besuchen möchte. Dieser religiöse Symbolismus, glaube ich, ist auch von den Bildern, die dann ausgestrahlt werden, für Putin in Moskau wichtig, denn da gibt es natürlich auch einen Streit zwischen dem entsprechenden Erzbischof in Moskau und dem in Konstantinopel beziehungsweise in Istanbul. Hier möchte Präsident Putin ein Zeichen setzen, auf welcher Seite er da steht. Beidseitig gibt es da auch immer wieder finanzielle Unterstützung, seitens der russischen Regierung für solche Klöster auf diesem Heiligen Berg Athos.
    Zurheide: Also wird das etwas mehr sein als nur - in Anführungsstrichen - "schöne Bilde zu produzieren", was da heute passieren wird.
    Bastian: In der Tat, das ist auch handfeste Innenpolitik für Russland. Putin hat immer wieder in den vergangenen Jahren versucht, auch sein Verhältnis zur russisch-orthodoxen Kirche zu verbessern. Dafür ist dann die Symbolik eines solchen Besuches in dem Kloster umso wichtiger.
    Zurheide: Danke an Jens Bastian, der uns Einschätzungen und Informationen zum Besuch von Präsident Putin in Griechenland gegeben hat. Herr Bastian, ich bedanke mich ganz herzlich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.