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"Kein guter Unternehmer"

Udo Steffens von der der Frankfurt School of Finance and Management fordert weniger Staat in der Wirtschaftspolitik. Nach Abwrackprämie und Konjunkturpaketen sei es an der Zeit, dass der Staat sich wieder zurückziehe aus Bereichen, "wo er unmittelbar mit privaten Institutionen konkurriert".

Udo Steffens im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.06.2010
    Christoph Heinemann: Angela Merkel ist entschieden. Obwohl der Bund mehr Geld einnehmen wird, als bislang erwartet, möchte die Bundeskanzlerin sparen. Vor ihrer Abreise zu den G8- und G20-Gipfeln in Kanada betonte sie, dass der deutsche Sparkurs trotz der Kritik von US-Präsident Barack Obama, der mehr Staatsausgaben zur Belebung der Wirtschaft fordert, das Wachstum nicht behindere. Am Telefon ist Professor Udo Steffens, der Präsident der Frankfurt School of Finance and Management. Guten Tag!

    Udo Steffens: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Steffens, ist die Kanzlerin gut beraten, jetzt vor allem zu sparen?

    Steffens: Wir glauben, dass sie gut beraten ist, zumindest ein wenig zu sparen, denn man darf ja nicht vergessen, dass der Haushalt ungefähr 320 Milliarden ist. Wenn man jetzt zehn bis elf Milliarden spart, sind das drei Prozent. Das heißt also, das ist ja, gemessen an dem Gesamthaushalt, nicht wirklich viel, und ich finde, dass die Politik damit auch Handlungsfähigkeit beweisen sollte.

    Heinemann: Also Modell schwäbische Hausfrau?

    Steffens: Schon! Es geht schon darum, und die aktuellen Auseinandersetzungen gehen ja dahin, welche Rolle soll eigentlich der Staat spielen. Soll er weiterhin ein sehr, sehr aktiver, wirtschaftlich aktiver Staat sein, oder soll er doch mehr in die Richtung Neutralität hineingehen? Wir neigen eher dazu zu sagen, lasst ihn etwas neutraler werden, ohne sich ganz zurückzuziehen. Es kommt wirklich jetzt sehr darauf an: Wo wird gespart, wo wird gleichzeitig weiterhin investiert, um unser Innovationspotenzial, um unsere Zukunftsfähigkeit letztlich zu erhalten.

    Heinemann: Aus welchen Bereichen sollte sich der Staat zurückziehen?

    Steffens: Er sollte schon sich zurückziehen aus den vielen Dingen, wo er unmittelbar mit privaten Institutionen konkurriert. Wir wissen einfach aufgrund langer Erfahrungen, dass der Staat kein wirklich guter Wirtschaftsfaktor letztlich ist, oder kein guter Unternehmer ist, und er sollte durchaus neue Wege versuchen, um hier eben, wenn Sie so wollen, durchaus in eine kurze Form einer Katharsis hineinzugehen, um den ausufernden Staat zurückzunehmen, damit die Strukturen heilen können und die Dynamik, die sich jetzt ja in einigen Bereichen, insbesondere im Maschinenbau, aber auch in der Automobilindustrie wieder eingestellt hat, dass wir da wirklich international wettbewerbsfähig bleiben.

    Heinemann: Herr Professor Steffens, welche Folgen hätte es für die Sparanstrengungen in der Euro-Zone, wenn Deutschland weniger strikt als geplant sparte?

    Steffens: Die Grundfragestellung ist natürlich, wie finanziert man das, und wir haben ja im Augenblick durchaus eine große Förderung der Staatsverschuldung, dadurch, dass diese Staatsverschuldung insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland sehr preiswert ist. Das heißt, er kann so preiswert wie noch nie, das heißt zu geringsten Zinsen Geld am Kapitalmarkt aufnehmen. Und man sollte sich nicht darauf verlassen, dass diese Niedrigzinspolitik in dieser sehr, sehr niedrigen Weise nachhaltig sich wirklich auch fortsetzt, sondern er muss einfach handlungsfähig bleiben. Das heißt, wenn das einmal zu einem Prozent weiter teuerer werden sollte, dass uns das nicht sozusagen alles um die Ohren fliegt, der Staatshaushalt. Das heißt, hier muss weiterhin vorsichtig agiert werden, und er muss sich weiterhin Handlungsräume, Aktionsmöglichkeiten erhalten.

    Heinemann: Wieso lehnt Präsident Obama einen harten Sparkurs ab?

    Steffens: Na ja, weil dort sehr pragmatisch der Staat hier durchaus im Sinne des "New Deal" sagt, wir müssen jetzt sozusagen dafür sorgen, dass die Pferde saufen, das muss durch staatliche Konjunkturprogramme weiter angeheizt werden. Ich finde, das haben wir gemacht. Wir haben die Abwrackprämie gemacht, wir haben eine zusätzliche, wenn Sie so wollen, Konjunkturspritze durch verschiedenste Dinge letztlich angeleitet, und es zeigt sich, dass insbesondere unsere Produktionsstrukturen, insbesondere unser international aktiver Mittelstand wirklich voranschreitet, und wir müssen einfach wissen, dass die Abhängigkeitsstrukturen in den USA deutlich größer vom Binnenmarkt sind und wir deutlich höhere Abhängigkeiten vom Auslandsmarkt haben. Von daher kann man hier auch nicht mit ähnlichen Maßnahmen das Gleiche erreichen.

    Heinemann: Stellt der deutsche Exportüberschuss ein Problem dar? Sie sprachen gerade von der Abhängigkeit.

    Steffens: Es ist letztlich natürlich ein weltweites Problem und Sie sehen ja: in verschiedenen Diskussionen (mehr oder weniger kontrovers) werden wir, die Deutschen, ja auch angeklagt durch insbesondere durch die Regierung Schröder durchgeführte Austeritätspolitik, also 2010-Programm, Hartz IV und Ähnliches mehr, was dazu geführt hat, dass unsere Lohn-Stück-Kosten beispielsweise durchaus international konkurrenzfähig sind und wir damit andere Länder auskonkurrenzieren würden. Das ist eine sehr delikate Debatte, wer passt sich wem an, was die Produktivität zum Beispiel angeht, und ich denke, wir sollten dafür sorgen, dass die anderen europäischen Länder sich auf unser Niveau hinaufarbeiten sollten, damit wir hier nicht eine Anpassung nach unten vornehmen müssen.

    Heinemann: Das heißt, Deutschland sollte seine Wettbewerbsfähigkeit nicht durch höhere Löhne zum Beispiel einschränken?

    Steffens: Ich glaube, wir sollten das nicht tun. Das ist, glaube ich, ein gefährlicher Weg, denn wir konkurrieren ja nicht nur im europäischen Raum – das tun wir auch; da sind ja auch die höchsten Abhängigkeiten -, aber wir konkurrenzieren eben auch mit den dynamischen Ländern in Ostasien, die natürlich auch ihren fairen Teil vom Kuchen ab haben wollen. Und wenn wir unser Lebensniveau, unsere Transfermöglichkeiten insbesondere zum sozialen Ausgleich, zum sozialen Frieden weiter erhalten wollen, müssen wir auch international insbesondere auf Märkten wie Lateinamerika, Asien, vermehrt eben aber auch in Fragestellungen Afrika, insbesondere in Fragestellung der erneuerbaren Energien und die damit zusammenhängenden Technologien weiter versuchen, wirklich vorne mitzulaufen und die anderen animieren, uns es gleich zu tun.

    Heinemann: Kann die Politik überhaupt Ausfuhren und Einfuhren steuern?

    Steffens: Nein, kann sie nicht. Sie hat höchstens die Möglichkeit, über indirekte Wechselkursmaßnahmen die Dinge zu beeinflussen, und wir sehen ja, dass die mit unserem Selbstbewusstsein vielleicht nicht ganz in Einklang stehende Abwertung des Euros natürlich wie ein Riesen, wenn Sie so wollen, Beschleuniger wirkt hinsichtlich unserer Exportmöglichkeiten. Das heißt, wenn der Euro jetzt fast um 20 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar verloren hat, ist es natürlich auch viel leichter zu exportieren, weil alle großen Rechnungen werden nach wie vor in Dollar abgerechnet.

    Heinemann: Stichwort Wechselkurse. Sehen Sie die Gefahr, dass die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank mittelfristig in Frage gestellt werden könnte?

    Steffens: Na ja, die Unabhängigkeit ist ja schon etwas angekratzt durch die starke und massive Intervention insbesondere am Anleihemarkt. Da ist ein Rubikon überschritten worden. Man sieht ja auch in den Diskussionen, insbesondere um die Person unseres Bundesbankpräsidenten Axel Weber, der das ja sehr kritisch beleuchtet hat und das in einem engen Zeitfenster nur sehen möchte, dass hier durchaus eher französische Modelle im Sinne, dass eben die Nationalbank Element und Gestaltungselement der politischen Richtung ist, etwas mehr gemacht worden ist, als das in der Tradition unserer Deutschen Bundesbank steht. Also da ist schon Gefährdungspotenzial und wir sollten darauf achten, dass das nicht weitergeht.

    Heinemann: Die Spekulation gegen den Euro, Herr Steffens, hat mit den gewaltigen Haushaltsdefiziten in der Europäischen Union zu tun. Wesentlich höher fällt der Fehlbetrag in den USA aus. Besteht die Gefahr, dass demnächst auch gegen die US-Währung spekuliert wird?

    Steffens: Das glaube ich nicht. Man kann ja nur in den großen Währungen spekulieren, und das ist einfach nur der Euro. Der Yen hat dort durchaus an Bedeutung verloren. Ich glaube, das mit der Spekulation ist eine Fehlinterpretation. Man hat Meinungen zu Märkten und sagt, die Märkte werden sich in diese und jene Richtung entwickeln. Das heißt, man sagt, im Augenblick gehen wir davon aus, dass in den nächsten Wochen zum Beispiel der Euro stabil bliebe, aber viele Analysten durchaus sagen, man könnte auch die 1,15 zum Beispiel sehen, und wenn Sie so wollen richten sie danach ihre Währungspolitik aus, und das ist wie ein Fluidum, die verschiedenen, wenn Sie so wollen, Währungsgeschäfte, die dort laufen, die letztlich auch Marktrichtungen weisen. Aber es bleiben natürlich darunter auch noch reale Handelsströme, die eben finanziert werden müssen. Von daher glaube ich nicht, dass wir von "Spekulation-Spekulation" sprechen sollten, sondern es gibt eben hier Währungshändler, die handeln mit Währungen, die ganz bestimmte Meinungen haben und zum Beispiel jetzt eine Währung einkaufen, weil sie glauben, sie würde teurer werden, und ich finde, das ist ein angemessenes marktwirtschaftliches Verhalten.

    Heinemann: Herr Steffens, die Automobilbranche und andere Wirtschaftszweige brummen, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Krise ist offenbar oder scheinbar – das wissen wir noch nicht genau – überwunden, nach Jahrzehnten wird gespart. Lena ist Europameisterin, die Fußball-Nationalmannschaft schlägt sich wacker in Südafrika, trotzdem sind die Menschen mit der Bundesregierung unzufrieden. Wie erklären Sie sich das?

    Steffens: Eigentlich ist es ja wunderbar. Man sieht an den Erholungsdaten, dass die Vitalität sich wieder eingestellt hat. Gleichwohl bringt in der Tat die Bundesregierung, wenn Sie so wollen, kein gutes Image herüber. Es gibt eine gewisse Uneinigkeit, es gibt eine Vielstimmigkeit. Ich glaube, die Menschen haben angemessenen Anspruch, wenn Sie so wollen, auf klares Leadership in der Politik, klare Richtungsweisung, und ich glaube, man ist nicht interessiert, jede Wendung und jede interne Querele dann wirklich nachzuvollziehen, sondern es ist hier wirklich die Bundeskanzlerin gefragt, hier eine klare Richtungsweisung in der politischen Orientierung zu geben, und daran mangelt es hier und da einfach.

    Heinemann: Professor Udo Steffens, der Präsident der Frankfurt School of Finance. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Steffens: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.