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Vaterschaftstest

Manche Forscher vermuten, dass zehn Prozent aller Kinder einen anderen Vater haben, als den, der glaubt, Vater zu sein. Mittlerweile lässt sich die Vaterschaft immerhin hieb- und stichfest nachweisen. Wie aber funktionieren Vaterschaftstests eigentlich?

Von Mirko Smiljanic | 28.11.2017
    Reagenzgläser in einem Labor.
    Reagenzgläser in einem Labor. (imago - Felix Jason)
    Er liebt ihn, keine Frage, jede freie Minute verbringt er mit seinem Sohn, er fährt mit ihm Rad, hat ihm Schwimmen beigebracht, und wenn Dortmund gegen Schalke spielt, geht er mit ihm ins Stadion.

    Alles könnte so schön sein, wenn sich da nicht vor zwei Jahren ein nagendes Misstrauen eingeschlichen hätte. Es begann damit, dass ein Nachbar die große Ähnlichkeit zur Mutter feststellte, ... von ihm war nie die Rede? Weder Gesicht, noch Körperbau, noch Charakter lassen vermuten, dass er Vater des heute Achtjährigen ist. Wie war das eigentlich damals? Hat seine Frau nicht hin und wieder bei einer Freundin übernachtet? Und die Fortbildung in Berlin? Immerhin eine Woche. Die Frage treibt ihn um: Ist er wirklich Vater des Jungen? Entrüstet weist seine Frau jeden Verdacht von sich. Würde er anders reagieren? Er braucht Gewissheit! Kein Problem, hat ihm ein Arbeitskollege erzählt, lass doch einen Vaterschaftstest machen.

    Er würde ja gerne, aber er hat Angst vor dem Ergebnis, denn heute sind Vaterschaftstests 100 Prozent sicher! Vor 100 Jahren sah das anders aus. Da wurden die Ohren des Kindes mit den Ohren des Vaters verglichen, Gesichtszüge und Körperbau und so weiter, wirklich aussagekräftig war das alles nicht. Gleiches galt, wenn die Oma entzückt "Ganz der Papa" rief oder – schlimmer – mit irritiertem Blick auf die Eltern fragte: "Von wem hat er das denn?" Etwas bessere Ergebnisse lieferte das Blutgruppen-System A, B, 0. Aussagen, wer der Vater ist, waren zwar immer noch nicht möglich, immerhin aber Aussagen darüber, wer der Vater nicht sein kann. Ein Beispiel:

    "Wenn beide Eltern Blutgruppe 0 hätten, dann kann das Kind nicht Blutgruppe A oder B haben, ..."

    ... abhängig von den Blutgruppen der Eltern, sagt Dr. Ulrich Finck, Facharzt für Humangenetik in Dortmund, kann das Kind nur ganz bestimmte Blutgruppen haben, ...

    " ... oder anders ausgedrückt: Die Mutter hat Blutgruppe A und der Vater hat Blutgruppe 0 und das Kind hätte das Merkmal AB, dann kann das nicht der Vater sein."

    ... ein Verfahren, das im letzten Jahrhundert viele Tausend Männer davor bewahrt hat, ungerechtfertigt Alimente zu zahlen.

    Der leibliche Vater ist aber immer noch unbekannt. Sein sicherer Nachweis erfordert eine andere Methode: Den genetischen Fingerabdruck. Jeder Mensch bekommt vom Vater und von der Mutter je einen Gensatz. Diese Gensätze verschmelzen bei der Empfängnis und sind von da an unabänderlich die genetische Ausstattung des heranreifenden Kindes. Nun hat das Genom Bereiche, die – wie Mediziner es ausdrücken – nicht für spezielle Funktionen codieren, also keine Bedeutung haben für die Farbe der Augen oder für den Aufbau des Gehirns und so weiter. In diesen Bereichen kommen in unregelmäßigen Abständen sogenannte Tandems vor.

    "Man kann sich das vorstellen wie eine immer wiederkehrende Buchstabenreihe, sagen wir mal TA, TA, TA, das kann bei der einen Person an dieser Stelle 16 Mal wiederholt werden, bei der nächsten Person 17 Mal, oder 18 Mal. Natürlich hat dann ein Kind, weil ja alles doppelt vorliegt, väterlich und mütterlich, auf der einen Kopie 18 Mal und auf der anderen Kopie 20 Mal, und bei dem Kind muss dann wenigstens eine dieser Kopien von einem Elternteil identisch sein, also entweder 18 Mal oder 20 Mal."

    Diese sogenannten nichtcodierenden Abschnitte des Genoms variieren von Mensch zu Menschen. Bei einigen Tausend oder gar Millionen möglicher Väter würden sie sich aber trotzdem irgendwann wiederholen. Aus diesem Grund – sagt Professor Peter-Matthias Schneider vom Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln – erfordern Vaterschaftstests immer mehrere untersuchte Abschnitte.

    "Die Merkmalssysteme, die wir heute untersuchen, von denen wir heute ungefähr 20 verschiedene im Repertoire haben, werden gezielt danach ausgesucht, dass sie besonders viele Unterschiede von Mensch zu Mensch aufweisen, sodass wir mit sehr wenigen Systemen ein hohes Unterscheidungspotenzial haben. Deswegen werden die gleichen Systeme zum Beispiel auch in der forensischen Spurenkunde eingesetzt, also um eine biologische Spur, eine Blutspur, einer Person als Spurenleger zuzuordnen oder diesen als Spurenleger auszuschließen."

    Die Verfahren für den Nachweis eines Vaters und eines Mörders sind weitgehend identisch. Damit ein Vaterschaftstest die erforderliche Sicherheit von fast 100 Prozent hat, schreibt die Bundesärztekammer vor, dass mindestens zwölf unterschiedliche Genorte untersucht werden, wobei diese zwölf Genorte auf mindesten zehn unterschiedlichen Chromosomen liegen. Je mehr Genorte, desto höher ist die Aussagekraft des Tests. Das Rechtsmedizinische Institut der Universität zu Köln arbeitet zum Beispiel mit 16 bis 18 unterschiedlichen Bereichen. Außerdem macht es Sinn, die Mutter in die Untersuchung einzubeziehen, ...

    " ... weil man auf der Ergebnisebene zunächst einmal Mutter und Kind vergleicht und sich alles anschaut, was Mutter und Kind gemeinsam haben, weil, das ist dann der mütterliche Anteil. Und alles, was das Kind besitzt an Merkmalen, was nicht bei der Mutter vorkommt, muss dann vom biologischen Vater kommen, das sind dann die unerlässlich väterlichen Merkmale. Und der untersuchte Mann, denn wir als Eventualvater oder Putativvater bezeichnen, ob er es ist, das wissen wir erst hinterher, der muss alle diese unerlässlich väterlichen Merkmale aufweisen, um als Vater in Betracht zu kommen."

    Würden auf dieser Ebene des Tests von den zwölf untersuchten Bereichen drei sich nicht beim Vater wiederfinden, entfällt der Mann als Vater des Kindes. Die Untersuchung selbst ist mittlerweile vergleichsweise einfach. Im Idealfall kommen Vater, Mutter und Kind in das Labor. Dort werden die Personalien überprüft, um sicherzugehen, dass die richtigen Personen den Test machen. Schlussendlich kommt es zum Mundhöhlenabstrich, ...

    "... und dazu reiben wir mit einem sterilen Wattetupfer an der Innenseite der Wangenschleimhaut drei, vier Mal entlang, es geht also nicht darum, eine Speichelprobe zu entnehmen, wie immer gesagt wird, der Speichel selbst ist eine Flüssigkeit, sondern wir wollen die Zellen der Wangenschleimhaut haben, die in ihrem Kern die menschliche DNA haben, und das bekommt man am besten durch Reiben an dieser Wangenschleimhaut, dann werden die Tupfer getrocknet und können aufbewahrt werden und natürlich auch gleich untersucht werden."

    Von jedem Abstrich nehmen die Ärzte zwei Proben: Eine wird untersucht, die andere – vergleichbar mit den Urinproben bei Dopingtests – als "stille Reserve" zurückgelegt.

    "Wenn sich herausstellt, dass der Mann als Vater in Betracht kommt, wird die Untersuchung an der Stelle abgeschlossen, wenn die Ergebnisse in ausreichender Qualität vorliegen. Wenn bei der ersten Untersuchung herauskommt, dass der Mann als Vater nicht in Betracht kommt, dann wird der zweite Tupfer untersucht."

    Ein hoher Aufwand, allerdings einer, der sich lohnt: Die Resultate stimmen. Das garantiert nicht jedes Labor. Vor allem im Internet macht sich seit geraumer Zeit ein grauer Markt breit, der Vaterschaftstests zu Dumpingpreisen anbietet. Peter-Matthias Schneider sieht diese Entwicklung mit großer Sorge:

    "Es gibt da leider sehr schlimme Auswüchse, die bis dahin gehen, dass sogenannte Briefkastenfirmen aufgemacht werden, von denen dann Entnahmesets ausgesandt werden, wo man sich selber die Proben nehmen und diese Entnahmesets werden dann wieder an die Adresse zurückgeschickt, und die Proben selbst werden dann ins Ausland geschickt, nach Übersee, nach Asien und dann an irgendeinem billigen Labor typisiert."

    Solche Anbieter haben Männer im Visier, die an ihrer Vaterschaft zweifeln und dies heimlich abklären wollen. Eigentlich müssen sie das nicht, immerhin hat der Gesetzgeber jedem Mann die Möglichkeit eröffnet, seine Vaterschaft zu klären – und zwar auch gegen den Willen der Mutter. Doch das ist in einigen Fällen pure Theorie. Man stelle sich folgende Situation vor: Ein Mann bezweifelt, dass er tatsächlich Vater seines jüngsten Kindes ist. Natürlich kann er einen Vaterschaftstest erzwingen, aber was bedeutet das für die Familie? Außerdem macht es bei nüchterner Betrachtung für den einen oder anderen durchaus Sinn, das Ergebnis des offiziellen Vaterschaftstests schon vorher zu kennen. Dr. Ulrich Finck:

    "Denn wenn ich als vermeintlicher Vater in die Pflicht genommen werde, und das nicht möchte, möchte ich natürlich vorher wissen, bevor ich eine teure juristische Auseinandersetzung, die ich womöglich noch selber bezahlen muss, beschreite, möchte ich vorher wissen, wie die Erfolgsaussichten sind."

    Er hat sich entschieden: Die Beziehung zu seiner Frau ist gut, zu seinem Sohn ohnehin. Er wird keinen Vaterschaftstest machen lassen, weder legal noch illegal. Er hat sich entschieden, dass sein Sohn sein Sohn ist.