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Marine Hitzewellen
Studie belegt Massensterben im Mittelmeer

Eine neue Studie zeigt: Marine Hitzewellen führen inzwischen regelmäßig zu Massensterben im Mittelmeer. Millionen von Korallen, Moos- und Nesseltieren verenden jedes Jahr. In diesem Sommer steht die Unterwasserwelt schon seit drei Monaten unter Thermostress.

Von Volker Mrasek | 16.08.2022
Vor Anker liegende Yachten im La-Maddalena-Archipel. La Maddalena gehört zur italienischen Mittelmeerinsel Sardinien.
Idyllischer Blick auf eine Bucht in Sardinien - das Massensterben unter Wasser geschieht ungesehen. (dpa / picture alliance / Bodo Müller)
Der Studie liegen Tauchgänge an über 350 Standorten im ganzen Mittelmeer zugrunde. Fast 70 Forscherinnen und Forscher aus elf Ländern lieferten Daten oder werteten sie aus. Die Ergebnisse decken die Jahre 2014 bis 2019 ab - und sie sind erschreckend: Marine Hitzewellen führen demnach immer wieder zu regelrechten Sterbewellen in den Unterwasser-Ökosystemen des Mittelmeeres. Am stärksten treffe es Hornkorallen, koloniebildende Moos- und Nesseltiere sowie Rotalgen-Wälder, sagt der Ozeanograph Nathaniel Bensoussan.
Der Ozeanograph ist einer der wissenschaftlichen Leiter des mediterranen Klima-Beobachtungsnetzes T-MEDNet: “Leider ist Massensterben hier der vollkommen richtige Begriff. Während der Hitzewellen im Meer haben wir es an tausenden Kilometern Mittelmeer-Küste und in sämtlichen Habitaten beobachtet. An manchen Stellen lagen die Verluste über 90 Prozent - Millionen Korallen sind verendet. Das hat gravierende Veränderungen in den marinen Ökosystemen zur Folge.“

Millionen verendete Korallen

Was den betroffenen Arten gemein ist: Sie sitzen fest auf dem Meeresgrund und damit in der Falle. Das erklärt Diego Kersting, deutsch-spanischer Meeresökologe von der Universität Barcelona: „Das heißt, sie können dann nicht fliehen, wenn das Wasser im Sommer zu warm wird."
"Irgendwann wird es zu viel, und dann sterben all diese Arten. Und das Schlimmste daran ist, dass viele von diesen Arten auch sehr wichtig für das Ökosystem sind, weil sie anderen Arten Schutz bieten. Und hier spreche ich zum Beispiel von Korallen und Schwämmen. Insgesamt verlieren wir dann nicht nur diese Arten, sondern auch viele, viele andere.“

Mittelmeer wird Klima-Hot-Spot

Was sich zuletzt im Mittelmeer abgespielt habe, sei beispiellos, und das sogar weltweit. Laut der Studie waren es „fünf aufeinanderfolgende Jahre mit großräumigen Massensterbe-Ereignissen bei zahllosen Arten“. Das Mittelmeer werde offenbar zu einem Klima-Hot-Spot. Ozeanograph Bensoussan fürchtet, dass der steigende Hitzestress die marinen Ökosysteme dauerhaft schädigt: 
“Im Rekord-Hitzesommer 2003 ist es zum bisher größten Massensterben im Mittelmeer gekommen. In manchen der betroffenen Ökosysteme sehen wir auch 20 Jahre später noch keine Anzeichen für eine Erholung.“ Zurzeit wird 2003 sogar noch übertroffen! Das mediterrane Messnetz registriert fortlaufend neue Temperaturrekorde an der Meeresoberfläche.

30 Grad Wassertemperatur vor Nizza oder Korsika

Menschen am 31. Juli in Nizza
Promenade von Nizza im Sommer 2022. Vor der Küste war das Wasser teils über 30 Grad warm. (www.imago-images.de)
“Seit Mai sind manche Bereiche des westlichen Mittelmeers extrem warm, also jetzt schon drei Monate lang! Im Juli und im August haben wir sogar neue Rekordtemperaturen von über 30 Grad an der Meeresoberfläche gemessen - vor Nizza und auch vor den Küsten Korsikas und Sardiniens. Dass die Hitzewelle in diesem Jahr so lange andauert, setzt das Ökosystem erst recht unter außergewöhnlichen thermischen Stress.“ 
Meeresökologe Diego Kersting rechnet damit, dass die Hitze im Mittelmeer noch eine ganze Weile anhält – und damit auch die Leidenszeit für Korallenstöcke, Nesseltier-Kolonien und Seegras-Gärten: „Es kommen noch zwei Monate mit hohen Temperaturen, weil August und September im Mittelmeer auch sehr warm sind. Das heißt, dass nochmal viele Arten diese Hitzewelle nicht aushalten werden und dass wir dann nochmal mit einem Massensterben rechnen müssen.“