Dienstag, 30. April 2024

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Neue Bücher von Ferdinand von Schirach und Matthias Nawrat
Melancholische Blicke auf die deutsche Geschichte

Zwei eher traurige Sichtweisen auf Vergangenheit und Gegenwart: Ferdinand von Schirach wird in seinem neuen Buch "Kaffee und Zigaretten" persönlich. Der Protagonist: Er selbst. Matthias Nawrat hingegen widmet sich in "Der traurige Gast" den Geschichten Fremder. Sein Ich-Erzähler ist Gast im Leben anderer.

Katharina Teutsch und Tobias Lehmkuhl im Gespräch mit Hubert Winkels | 01.05.2019
Buchcover links: Ferdinand von Schirach: „Kaffee und Zigaretten“, Buchcover rechts: Matthias Nawrat: „Der traurige Gast“
Literarischer Fatalismus (Buchcover links: Luchterhand Verlag, Buchcover rechts: Rowohlt Verlag, Hintergrund: picture alliance/dpa/Martin Gerten)
Insgesamt sind Katharina Teutsch und Tobias Lehmkuhl nicht begeistert von den beiden erzählenden Büchern mit persönlichem Hintergrund der Autoren.
Ferdinand von Schirachs "Kaffee und Zigaretten" beginnt mit einem autobiographischen Abriss der ersten zwanzig Lebensjahre des Autors. Die Neugier ist groß, schließlich hat der Mann viel erlebt als Anwalt in Strafprozessen, als Teil einer im Guten wie im Bösen namhaften Familie, als einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart, der sich zudem gerne zur praktischen Philosophie, zu Recht und Ethik und Politik äußert. Dieser erste von achtundvierzig lediglich mit Nummern versehenen Texten des Bandes ist ein kursorischer Schnelldurchgang durch Kindheit und Jugend.
Fatalistischen Vanitasgefühl
Die meisten der folgenden mit schnellem Strich hingeworfenen Szenen und Betrachtungen sind kleine Addenda zur Lebensgeschichte, die sich gelegentlich zu Parallelgeschichten von Bekannten oder Mandanten auswachsen. Der Umfang der Geschichten reicht von einer Seite bis zu zehn. Es kann eine kuriose Statistik darunter sein, ein kurzer Kriminalfall sogar, oder auch eine kleine persönlich gefärbte Laudatio auf den Filmemacher Michael Haneke. Sehr disparat wirke das, getragen von einem fatalistischen Vanitas-Lebensgefühl.
"Der traurige Gast" von Matthias Nawrat ist eine ganz anders geartete Selbst- und Weltbefragung. Der Ich-Erzähler lebt ganz und gar von den Geschichten, die er hört und sieht, wenn er durch das Berlin von heute streift. Ihm gehen die unmittelbaren Eigenschaften ab, er ist Gast im Leben der anderen.
Konturlose Erzählung
Es ist der Winter des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Der Mann ohne Namen begegnet Dariusz, dem Tankwart, der einmal Chirurg war und einen Sohn hatte, der in Südamerika verschwand. Eli, dem polternden Überlebenskünstler. Oder Dorota, der alten polnischen Architektin, deren intellektuelle Energie auf ihn genauso verwirrend wie ansteckend wirkt. Sie erzählen ihm aus ihrem Leben, das wiederum tief in die Geschichte Mittel- und Osteuropas im 20. Jahrhunderts zurückführt. Doch die beiden Kritiker bemängeln die dünne, verwischte Art zu erzählen. Es bleibe irritierend konturlos, fade gar.
Ferdinand von Schirach: "Kaffee und Zigaretten"
Luchterhand Verlag, München 2019. 193 Seiten, 20 Euro.
Matthias Nawrat: "Der traurige Gast"
Rowohlt Verlag, Reinbek 2019. 301 Seiten, 22 Euro.