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Swoboda: Wir können die afghanische Gesellschaft nicht total verändern

Der österreichische Europaabgeordnete Hannes Swoboda (SPÖ) hält eine Lösung in Afghanistan für schwierig. Wichtig sei es, noch mehr Augenmerk auf den zivilen Aufbau zu legen. Eine Lösung brauche außerdem die Einbeziehung von Pakistan und dem Iran.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Stefan Heinlein | 08.09.2009
    Stefan Heinlein: Die Bomben von Kundus hinterlassen Spuren in der deutschen Innenpolitik. Knapp drei Wochen vor der Wahl ist das Thema endgültig im deutschen Wahlkampf angekommen. Heute Vormittag dazu im Parlament eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. Noch immer fehlen die genauen Details über den Verlauf der Luftangriffe und die Zahl der Opfer.
    Massive Kritik weiter auch aus dem Ausland. Mein Kollege Jürgen Liminski hat darüber mit dem österreichischen Europaabgeordneten Hannes Swoboda von der SPÖ gesprochen und ihn zunächst gefragt, wie er die Diskussion um den Luftangriff verfolgt.

    Hannes Swoboda: Natürlich mit großer Sorge, weil ich einerseits verstehe, dass man nach so einem unglücklichen Zwischenfall, wo einiges vielleicht schief gelaufen ist, sich Sorgen macht. Was sind die Konsequenzen? Und auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, dass es nicht einfach so gehen kann zu sagen, raus aus Afghanistan, die Sache ist nicht erledigt, aber trotzdem verschwinden wir von Afghanistan. Zwischen diesen Polen einen Weg zu finden, ist nicht leicht, aber ich hoffe, dass Deutschland die Diskussionen gut übersteht.

    Jürgen Liminski: Ist Europa denn neutral, kann es neutral bleiben?

    Swoboda: Es kann nicht neutral bleiben. Es ist nicht neutral und darf nicht neutral sein. Die Schwierigkeit ist, zu unterscheiden zwischen dem guten Zweck, der Absicht, der rechtlichen Grundlage, die gegeben ist durch die Beschlüsse der Vereinten Nationen, und der Frage, führen die Aktivitäten zum Ziel, kommt man dem Ziel näher. Es gibt ja viele, die meinen (bis zu den hohen Militärs), man kommt dem Ziel einfach nicht näher, und das wäre natürlich katastrophal. Daher muss man mit aller Vorsicht diese Diskussion führen, muss aber noch mehr als bisher die Kräfte in Afghanistan selbst mobilisieren. Ich glaube, ohne diese Mobilisierung der Kräfte in Afghanistan (übrigens auch in Pakistan) und eventuell auch eine Verständigung mit dem Iran über diese Frage, wird man nicht zurande kommen. Eine Situation wie in Vietnam steht immer vor uns und das müssen wir natürlich vermeiden, dass man lange Kriege führt und am Schluss nichts wirklich dabei herauskommt, außer viele Tote.

    Liminski: Meinen Sie mit "Kräfte in Afghanistan mobilisieren", dass man auch mit den Taliban reden sollte?

    Swoboda: Ich persönlich glaube, dass wahrscheinlich wie überall, bei Hamas, bei Hisbollah so auch bei den Taliban es wahrscheinlich Leute gibt, die man unter Druck setzen kann, auf der einen Seite aber doch zu einer gewissen Minimalakzeptanz bringen kann. Minimalakzeptanz, dass Sicherheitsinteressen des Westens, von Europa, von den Vereinigten Staaten von Amerika, diese Art Containments, berücksichtigt werden. Das durchzuführen und das zu erreichen, muss wahrscheinlich das Ziel sein. Es ist bescheidener, als eine Gesellschaft total zu verändern, wie das immer wieder versucht wird in Afghanistan, aber vielleicht muss man mit bescheideneren Möglichkeiten arbeiten und mehr auf ein Containment setzen als auf eine total Revolutionierung der afghanischen Gesellschaft.

    Liminski: Herr Swoboda, Sie sind auch Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments. Was ist denn die Rolle der Europäer? Wird hier wieder schmerzhaft deutlich, dass Europa keine eigene Außen- und Sicherheitspolitik hat?

    Swoboda: Jemand hat in einer Debatte im Europäischen Parlament gesagt, die Amerikaner sagen "yes, we can" und die Europäer sagen "yes, we should". Im Falle Afghanistan können auch die Amerikaner nicht sagen "yes, we can". Das ist ein so komplexes Problem, dass man nicht wirklich hier vorankommt, ohne sich noch einmal zu überlegen, was sind die wirklichen Ziele und die Möglichkeiten. Man hat ja überlegt, das sind die Ziele und da hat man Amerika zugestimmt, aber man hat nicht genug überlegt, welche Möglichkeiten wir überhaupt haben, den Zielen näher zu kommen. Europa muss hier eigenständiger agieren, nicht im Sinne von "Wir machen das allein", aber im Sinne auch der Definition der Ziele und der Definition der Möglichkeiten und mit Amerika darüber reden und dann gemeinsamer handeln. Das hat sicherlich Europa hier unterlassen.

    Liminski: Nun handelt es sich bei dem Konflikt in Afghanistan um einen jener berühmten asymmetrischen Kriege, bei denen man die feindliche Armee nur schwer ausmachen kann. In diesem Fall heißt es, man kann einen Taliban von einem Zivilisten kaum oder gar nicht unterscheiden. Im Zweifelsfalle oder in der Regel sogar sind beide bewaffnet. Wie soll man sich da militärisch und politisch verhalten?

    Swoboda: Das ist immer schwierig nachher. Ich kann mich noch erinnern, als ich Massoud getroffen habe, der ja dann auch durch ein Attentat umgekommen ist, wie er sich beschwert hat, dass er nicht unterstützt worden ist gegen die Taliban, und das ist ja der größte Fehler gewesen. Einerseits, dass man gegen die Russen jeden als Partner und Alliierten genommen hat, dass man dann, wie die Taliban da waren, die anderen Kräfte insbesondere Ahmed Massoud nicht unterstützt hat. Und jetzt nochmals: Der Ansatz, der da ist, aber den wahrscheinlich Europa noch stärker unterstützen muss, nämlich mit der Zivilbevölkerung zu reden, dort Schulen aufzubauen, Sportplätze zu bauen, Straßen zu bauen, das ist die einzige Chance, parallel natürlich zu den militärischen Eindämmungsaktivitäten, hier voranzukommen. Das Zweite ist, ohne in Pakistan stärker Fuß zu fassen, militärisch, aber wahrscheinlich auch zivil, ist es nicht möglich, zu einer Lösung zu kommen. Das heißt, dass man natürlich auch die pakistanische Armee und die pakistanischen politischen Behörden zu einer Vorgehensweise drängt, die auch wieder die Bevölkerung integriert und nicht zurückstößt, denn vieles, was in Pakistan passiert, ist ja auch wieder etwas, was die Taliban stärkt, indem einfach Regionen bombardiert werden, militärisch eingegriffen wird, dort wo man vielleicht auch durch zivile Aktivitäten den Leuten Unterstützung geben muss.

    Liminski: Das heißt, wir müssen noch lange in Afghanistan bleiben?

    Swoboda: Das heißt entweder relativ rasch hinaus und sagen, es ist gescheitert, oder sich dazu entscheiden zu sagen, uns ist die ganze Region so wichtig, dass wir lange bleiben müssen mit vielen Opfern, die natürlich auch kommen werden, aber auch klar sagen, dass man Leuten, die in Afghanistan arbeiten und die korrupt sind und die nicht Interessen der Bevölkerung haben und die einfach nur für den Machterhalt sind, dass man auch denen klar zeigt, dass man sie in dieser Politik nicht unterstützt, sondern im Gegenteil, dass das eine Politik ist, die nicht nur den Interessen des Westens entgegensteht, sondern auch den Interessen der eigenen afghanischen Bevölkerung.

    Heinlein: Der österreichische Europaabgeordnete Hannes Swoboda im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.