Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Aus Fukushima lernen

Im finnischen Onkalo soll in Zukunft die gefährlichste Altlast menschlicher Energiegewinnung für immer lagern: stark strahlende Brennelemente, deren Halbwertzeit bei 10.000 Jahren liegt. Das Atommüllendlager entsteht im Innern der Halbinsel Olkiluoto.

Von Alexander Budde | 07.01.2013
    In steilen Kurven windet sich der Tunnel neun Kilometer lang ins Granitgestein unter der Halbinsel Olkiluoto an Finnlands Westküste. Bis in 430 Meter Tiefe sind die Bohrtrupps vorgestoßen. Ausgehend von zwei bereits fertiggestellten Versuchsstollen wollen die Ingenieure später kilometerlange Seitenarme in alle Richtungen treiben. In diese werden senkrechte Schächte gebohrt, die einmal bis zu 25 Tonnen schweren Kapseln mit verbrauchten Brennelementen aufnehmen sollen, erläutert Sanna Mustonen. Die gelernte Geologin ist Projektleiterin bei Posiva. Die der Atomfirma ist mit der Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus den finnischen Atomkraftwerken betraut ist.

    "Zuerst werden die verbrauchten Brennstäbe in eine eiserne Kapsel gefüllt. Diese ist zum Schutz vor Korrosion mit einem Mantel aus Kupfer überzogen. Der Zwischenraum zur Felswand wird mit Bentonit aufgefüllt. Die Tiefe gibt uns zusätzliche Sicherheit."

    Mindestens 100.000 Jahre müssen die verbrauchten Brennstäbe im Untergrund ruhen. Erst dann hat ihre Strahlung so weit abgenommen, dass sie nicht mehr gefährlich ist. Noch ist Onkalo ein reines Forschungslabor. Die von Posiva angeheuerten Wissenschaftler lauschen mit Mikrofonen und seismischen Geräten ins Gestein. Praktische Simulation, garantiert ohne Restrisiko.

    Es gibt Länder, wo die Bevölkerung schon bei der geologischen Erkundung des Standorts protestiert. Ganz anders ist die Haltung in der Gemeinde Eurajoki. In Eurajoki laufen bereits zwei Reaktoren, ein Dritter wird gebaut und ein Vierter ist in Planung. Die Regierung hat Eurajoki den Zuschlag gegeben, weil sich die Bewohner der Region auch mit dem Bau des Endlagers in unmittelbarer Nähe der Atomanlagen abfinden wollen. Seine Rechnung sei aufgegangen, frohlockt Gemeindedirektor Harri Hiitiö.

    "Mit dem Endlager können wir für uns als Standort für neue Nuklearanlagen werben. Wir dürfen hier die vierte und fünfte Einheit bauen. Zugleich sind wir uns unserer Verantwortung bewusst. Wenn wir von der Kernkraft profitieren, dann müssen wir uns auch um die Entsorgung kümmern. Zumal die Ein- und Ausfuhr von Atommüll seit 1994 gesetzlich verboten ist."

    Mit dem Bau kann frühestens 2015 begonnen werden. Ab 2020 soll das Endlager die ersten der rund 6000 benötigten Kupferkapseln aufnehmen. Finnland wäre dann weltweit das erste Land mit einem Endlager für hoch-radioaktiven Atomabfall. Doch so sicher ist die gewählte Endlagermethode nicht, sagt Lauri Myllyvirta. Der Energieexperte von Greenpeace verweist auf Studien unabhängiger Materialforscher, die nahelegen, dass sich Kupfer ohne Sauerstoff im Grundwasser auflöst.

    "Der Plan beruht darauf, enorme Mengen des gefährlichen Abfalls unter der Ostsee zu bunkern. Hunderte Standorte wurden erkundet – doch am Ende wählte die Industrie den Standort, wo der geringste Bürgerwiderstand zu erwarten war, weil dort bereits Atomreaktoren laufen. Dabei ist das Risiko groß, das eventuell freigesetzte radioaktive Spaltprodukte in kürzester Zeit an die Oberfläche und in die Ostsee gelangen."

    Immerhin hätten Finnland und das Nachbarland Schweden ihre Hausaufgaben gemacht und konkrete Pläne vorangetrieben, hält Nils Bøhmer dagegen. Der Atomphysiker erforscht für die norwegische Umweltorganisation Bellona den Zustand russischer Atomanlagen.

    "Ein jedes Land ist für den Atommüll verantwortlich, den es angehäuft hat. Insofern ist es gut, dass hier im Norden konkrete Pläne vorangetrieben werden. Und es könnte sinnvoll sein, dass ärmere Staaten in Europa und anderswo es vorziehen, für die Nutzung eines bestehenden Endlagers zu zahlen. Auch die russische Regierung hat ihr Land als Standort für die Endlagerung ins Spiel gebracht. Doch dort hätten wir es mit einer ganz anderen Sicherheitskultur zu tun. Eine solche Lösung wäre für alle Beteiligten eine Katastrophe."