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Austro-Pop 4.0
Bilderbuch schlagen das nächste Kapitel auf

Bilderbuch aus Österreich haben bisher eine wahre Bilderbuchkarriere hingelegt. Innerhalb der zwölfjährigen Bandgeschichte ein langsames aber stetiges Wachstum, das ihnen schließlich vor zwei Jahren Verkaufserfolge und Preise en Masse einbrachte. Mit ihrem vierten Album "Magic Life" befreien sie sich vom Erfolgsdruck.

Von Andreas Zimmer | 18.02.2017
    Die österreichische Band Bilderbuch steht am 17.07.2015 in Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) während des Melt-Festivals auf der Bühne.
    Die österreichische Band Bilderbuch steht am 17.07.2015 in Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) während des Melt-Festivals auf der Bühne. (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Kaum waren Bilderbuch aus Österreich am Ende der Tour zum Erfolgsalbum "Schick Schock" angelangt, verkündeten sie letztes Jahr im Januar eine kreative Pause. Die Fans und die Industrie reagierten schockiert. Mastermind Maurice Ernst weiß genau warum:
    "Es klingt immer ein bisschen bedrohlich, die kreative Pause. Es ist vielleicht auch ein Stilmittel der Dramatik in einer Bandgeschichte. Aber in dem Fall hätte es auch länger sein können. Uns hat es nicht an Ideen gefehlt. Wir haben wahrscheinlich – musikalisch gesehen – weit über 20 Demos auf einmal gehabt. So nach 2 Monaten Musik machen, gab es dann die Vision ein Album fertig zu stellen."
    Freche Texte und entspannte Beats
    Unglaubliche Erleichterung aller Orten: Das neue Album ließ dann doch nicht lang auf sich warten. Kurze Verschnaufpause. Dann der nächste Schock: Beim ersten Hören entpuppt sich die neue CD "Magic Life" zunächst als ein bisschen spröde und störrisch. Irgendwie ist der Zugang zum Album steinig und beschwerlich, verlangt nach Aufmerksamkeit, fast landet der Finger schon auf der Stopp-Taste. Das weiß auch Maurice.
    "Es war auch eine bewusste Entscheidung. Ich weiß, dass man die ersten Nummern, bis man da mal reinfindet, es ist wirklich so, dieses Vorspiel, dann 'I love stress', eigentlich eine schwere Nummer, die sehr lang, die ein Koloss von einem Lied ist, dann in das zerbrechliche 'Sweet love' dann wieder ein Übergangslied und dann erst das Lied 'Bungalow'. Also es wird einem nicht leicht gemacht"
    Aber spätestens nach der Hälfte der Stücke ist er wieder da, der ganz eigene Bilderbuch-flow, der die Band zum Vorreiter des neuen Austro-Pop gemacht hat. Freche, manchmal fast dadaistische Texte treffen auf entspannte Beats. Relaxte Grooves paaren sich schamlos mit eingängigen Melodien und reiben sich lüstern an anspruchsvollen Songstrukturen. Das ist alles andere als billiger Sound-Porno sondern echte Kunst. Im wahrsten Sinn: Pop-Art. Anspruch als Fluchtpunkt vor dem Erfolgsdruck?
    "Es hat eine Rolle gespielt. Aber wir haben dieser Rolle von vornherein nicht entsprechen wollen. Das heißt, es war schon von Anfang an klar, OK, wenn wir das nochmal gemacht hätten, dann wären wir nur mehr eine Ulk-band gewesen. Dann wären wir nur mehr ein Witz gewesen. Und das heißt, es hat uns von Anfang an in eine andere Seite getrieben, in eine privatere. Und diesem Gefühl sind wir nachgegangen."
    In den Erfolg hineinwachsen
    Trotz des Erfolges sind Bilderbuch absolut bodenständig geblieben. Möglicherweise, weil die Entwicklung keinesfalls über Nacht kam und das Quartett gemeinsam in den Erfolg reinwachsen konnte. Immerhin ist "Magic Life" bereits das vierte Album der Mittzwanziger.
    "Wir haben die Platte unter denselben Umständen wie die Schick Schock geschrieben. Das heißt: Wir haben uns in einen Keller gesetzt, da waren Ratten und das war nicht schön – vielleicht für die Zukunft würde ich mir einen Keller aussuchen ohne Ratten – Aber am Schluss vom Tag, wenn wir Vier nicht funktionieren, dann ist alles nur irgendwie heiße Luft. Und da merkst du, dass kein Erfolg von draußen das Problem ist sondern du eigentlich da sitzt, wo du immer da sitzt."
    Da eine Neuauflage des erfolgreichen Vorgängeralbums von der Band ausgeschlossen wurde, mussten sich Bilderbuch also zwangsläufig weiterentwickeln. Zumindest inhaltlich gibt es aber eine Art Zusammenhang zwischen beiden CDs. War "Schick Schock" eine Überhöhung und Verzerrung des damaligen Status Quo, zeigt "Magic Life" die Zeit nach dem Platzen der Wohlfühlblase, das heute. Was ist dabei wichtiger? Musik oder Texte?
    "Das Eine wie das Andere. Weil wären die Texte zum Fremdschämen, würdest du die Texte nicht so hören, wie du sie hörst. Wäre die Musik unglaublich komisch, dann könnte ich die supersten Texte schreiben. Trotzdem: Die größeren Stars auf dem Album würde ich gefühlt eher Richtung Gitarrenarbeit und Richtung dieser Momente, die wir uns getraut haben, setzen."
    Über die Rolle der Gitarre
    Und so wird aus Bilderbuchs neuer CD "Magic life" etwas für Hinhörer, Durchdenker, Musikliebhaber, Textversteher und nicht zuletzt Gitarrenfans, die ihre Freude am banalen aber genialen Ansatz der Aufnahmen haben werden. Denn tatsächlich wird hier Kunstgeschichte geschrieben.
    "Wie kann man die Gitarre 2017 am Leben erhalten und ihr gleichzeitig eine Classiness geben? Und was ganz Modernes. Nämlich der Ansatz, wie man es aufgenommen hat ist unglaublich 2016: Man hat einfach die Gitarre in den Laptop eingesteckt. Man hat einfach nichts, kein Mikro hingestellt. Man hat gesagt: Man lügt sich doch nicht in die Tasche und mikrofoniert jetzt so wie die letzten 50 Jahre das jeder gemacht hat. Nein, man steckt ein. Und dann schaut man mal, wo man hinkommt."