Ukrainische Musiker im Krieg

"Wir hören nur noch Schüsse und Schreie"

06:31 Minuten
Die ukrainische Sängerin Jamala, steht bei der Show "Germany 12 Points - der deutsche ESC-Vorentscheid" auf der Bühne
Die ukrainische Sängerin Jamala gewann 2016 den ESC und ist mit ihren Kindern aus der Ukraine geflohen. © picture alliance/dpa/dpa-POOL
Von Helene Nikita Schreier · 15.03.2022
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Auch die Musikwelt reagiert auf den Ukraine-Krieg: mit Songs für den Frieden, die Rapper Olexesh und Massiv schicken Hilfslieferungen. Die ukrainischen Musiker zeigen den Krieg derweil auf ihren Instagram-Accounts und versuchen, ihre Familien in Sicherheit zu bringen.
Die Geschichte wiederholt sich, wir dürfen nicht schweigen, sagt Jamala. Ich habe die ukrainische Sängerin per Sprachnachricht erreicht. 2016 hat sie mit ihrem Song „1994“ den Eurovision Song Contest gewonnen. Ein politischer Song, der ihre Familiengeschichte verarbeitet.

When strangers are coming
They come to your house
They kill you all
and say
We’re not guilty
not guilty

Where is your mind?
Humanity cries
You think you are gods
But everyone dies
Don't swallow my soul
Our souls

Jamalas Songtext zu "1994"

Die Geschichte wiederholt sich

Im Jahr 1944 wurden Jamalas Urgroßeltern vom russischen Diktator Josef Stalin nach Kirgistan deportiert. Der Grund: Jamalas Familie gehörte zur ethnischen Minderheit der Krimtataren - türkischsprachige Menschen, die auf der Krim leben. In Jamalas Song geht es darum, Heimat und Kindheit zu verlieren. Die Geschichte, die sich jetzt wiederholt: Krieg, Vertreibung, Flucht, Tod.
“Meine Nachricht an die Welt lautet: das ist nicht nur eine Krise! Das ist ein Akt des Terrors gegen die Ukraine, das ist ein Akt des Terrors gegen ganz Europa. Wir müssen zusammenhalten und uns wehren! Ich fordere alle auf zu handeln!”
1944, 2016, 2022 – mit dem Angriffskrieg der Regierung Putins auf die Ukraine hat der Song der ausgebildeten Opernsängerin eine bittere und schmerzhafte Aktualität bekommen. Jamala sagt: Wir müssen handeln, wir dürfen nicht schweigen.

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Doch welchen Handlungsspielraum haben Musikerinnen wie Jamala? Wie kann handeln, nicht weggucken, Unterstützung aussehen -  jenseits von Politik?

Mit Social Media gegen den Krieg

Seitdem die russische Armee am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert ist, stehen Jamalas Social-Media-Accounts nicht still. Sie postet rund um die Uhr Infografiken, Videos von Bombenangriffen oder Fotos von zerstörten Häusern. Der Ort, an dem einst die Musik im Fokus stand, wurde zu einer Art Russland-Ukraine-Krieg-Liveticker.

Unsere Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Ähnlich ist es auch bei einer anderen ukrainischen Musikerin, der Rapperin Alyona. Drei Tage nachdem Russland die Ukraine angriff, veröffentlichte sie auf ihrem Instagram-Account ein kurzes Video: Kriegsbilder, Luftangriffe, Zerstörung. Über diese Clips rappt sie auf Ukrainisch. Der Text ist kurz, er wiederholt sich:

Russland und Belarus töten unsere Kinder, sie töten die Jugend, sie töten den Willen der Ukraine.

“Die Musikszene kann sich nicht mehr aus der Politik raushalten – Musikerinnen und Musiker haben Fans und Leute, die ihnen zuhören. Sie können das nutzen, um die Leute zu informieren, sie können Europa und die USA um Hilfe bitten. Wir brauchen humanitäre, militärische und medizinische Unterstützung. Außerdem muss die NATO den Luftraum sperren, weil es sonst einen Atomkrieg geben wird.”

Vom Popstar zur Aktivistin

2018 wurde Alyona in der Ukraine zum Popstar und in Deutschland zum Newcomer-Geheimtipp. In ihren Texten rappte sie über Themen wie Selbstliebe und Body Positivity – aber auch über die Verbundenheit zu ihrem Heimatland. Heute kann sie ans Musikmachen nicht mehr denken. Im Gegenteil:
“Mein Alltag sieht so aus: Ich arbeite. Ich mache Charity, engagiere mich für die Leute, die versuchen, unsere Leben zu retten. Ich unterstütze territoriale Verteidigungsgruppen und die ukrainische Armee.”
Aus der sicheren deutschen Blase heraus ist es schwer vorstellbar: Die Musikerin, die 2020 vom Forbes-Magazin zu einer der wichtigsten „30 unter 30“ gewählt wurde, die die internationale Musikpresse einstimmig mit „Wow!“ bewertete, unterstützt jetzt die Armee ihres Landes bei der Verteidigung gegen Russland.
Und damit ist sie – natürlich – nicht allein. Viele ukrainische Musiker*innen haben jetzt andere Dinge zu tun, als Musik zu machen. Manche haben sich bewaffnet oder sich territorialen Verteidigungsgruppen angeschlossen, engagieren sich als Freiwillige, helfen Flüchtenden, evakuieren ihre eigenen Familien.
Alyona sagt: "In diesen Tagen hört in der Ukraine keiner mehr Musik. Stattdessen hören wir Explosionen, Schüsse und Schreie."
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