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Miserabler Stil mit System und Funktion

David Foster Wallace hat, seitdem 2001 seine Erzählungen "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" auf deutsch erschienen, auch bei uns einen großen Ruf: Er gilt als jüngster der amerikanischen Postmodernisten. In der deutschen Sprache ist er vor allem als Autor von Kurzgeschichten präsent. Jetzt ist der Erzählband "Vergessenheit" erschienen.

Von Eberhard Falcke | 18.08.2008
    Seltsame Begebenheiten sind es, die David Foster Wallace in seiner eigentümlichen Manier durchleuchtet. Da müssen ein Sohn und seine Mutter aufpassen, dass sie im Bus andere Fahrgäste nicht zu Tode erschrecken. Das Gesicht der Mutter ist nämlich zu einer schaurigen "Maske blanken Entsetzens" erstarrt, seitdem Schönheitschirurgen an ihr statt kleiner Korrekturen großen Pfusch vollbracht haben. Andererseits findet der Sohn auf den Busfahrten Anlaß, darüber nachzudenken, ob die Schreckensmiene seiner Mutter nicht mit seinem Faible für die hochgiftigen Spinnen zu tun hat, von denen er immer einige in einer Aktentasche bei sich trägt.

    Als der Bus neulich den Victory Boulevard überquerte und ich zum Zwecke der Statusprüfung hinabsah, ragte aus einem Lüftungslöchlein die schlanke Spitze eines schwarzen, mit einem Gelenk versehenen Vorderbeins und tastete zaghaft hierhin und dorthin. Unsichtbar für Mutter, deren Miene sich, wie ich unbeschwert sagen möchte, aber auch kein bisschen verändert hätte; hat man sich erst daran gewöhnt, ist es quasi ein Pokerface.

    "Der Spiegel der Natur - Eine Kritik der Philosophie" - ja, tatsächlich, so lautet der Titel dieser Story, der ersten und kürzesten im neuen Erzählband von David Foster Wallace. Und genauso exzentrisch geht es weiter, wie üblich bei diesem Autor. Nicht selten verursachen ja seine Kurzgeschichten ein heftiges Grübeln, ob es sich dabei noch um formal kühne Erzählkunst oder doch eher um literarische Laborexperimente handelt. Aber das ist auch das Fesselnde daran. Wallace malt schließlich das Bild einer Gegenwart, deren Zeitgenossen es leicht passieren kann, dass sie auf außerordentlich hohem Reflexionsniveau den Verstand verlieren. Seine Figuren sind ungeheuer versiert in allen möglichen selbstreflexiven, medialen, therapeutischen, theoretischen oder fachlichen Diskursen, sie sind geübt darin, jeden Irrwitz im Handumdrehen clever zu rationalisieren. Gerade deshalb aber verirren und verheddern sie sich umso leichter in den trügerischen Gespinsten ihrer Zeichenwelten.

    Der Monolog des Spinnenfreundes über die Busfahrten mit seiner Mutter klingt nach größter Bewusstseinsklarheit und ist zugleich völlig neben der Spur. Auch mit Randall stimmt etwas nicht. Er figuriert als Ich-Erzähler in "Vergessenheit", der Titel-Geschichte des Bandes.

    Randall erlebt gerade eine umfassende Lebenskrise, weil ihn seine Frau jede Nacht beschuldigt, er würde ihr mit seinem Schnarchen den letzten Frieden rauben. Zur diagnostischen Klärung beschließt das Paar eine Schlafklinik aufzusuchen.

    Neben mir und Hope saßen am Tisch >aufgereiht< der Somnologe und in weißer >Labor<-Soutane oder -Kittel, zwei jüngere Techniker oder MTAs, die ebenfalls dem >Schlafteam< unseres Falles angehörten, sowie ein proper aufgereihter hispanischer, ethnisch vielleicht auch kubanischer medizinischer Verwaltungsbeamter, der als Repräsentant der in regelmäßigen Abständen stattfindenen >Überprüfung< oder Evaluation der diagnostischen Verfahrensabläufe und Prozeduren der Darling-Gedenkklinik durch die Rutgers-Brunswick-Gedenkklinik vorgestellt wurde.

    Keine Frage: Das ist eine schreckliche Schreibe. Aber Wallace weiß, was er tut. Der miserable Stil hat System und Funktion. Die Sprache der Zeitgenossen, die in diesen fiktiven Fallstudien auftreten, ist von angespannter, manchmal fast panischer Nervosität. Trotz einer Fülle von fachsprachlichen Begriffen, verrät ihre Rede anstatt Kompetenz nur Unsicherheit. Sie finden weder das rechte Wort noch den richtigen Gedanken. Kurz: Sie quatschen sich, trotz ihrer enorm ausdifferenzierten Sprache, nur immer weiter in eine abgründige Verwirrung hinein. Das ist die gleichermaßen satirische wie analytische Diagnose, die Wallace dem Denken und Reden im Banne allumfassender Medialisierung ausstellt. Die dritte Erzählung liefert ein Beispiel, was daraus an grotesken Möglichkeiten resultieren kann. Sie beginnt mit einem ziemlich abgeschmackten Knalleffekt.

    "Aber sie sind scheiße."
    "Ja, aber gleichzeitig Kunst. Sogar große Kunst. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend."
    "Nein, im wahrsten Sinne des Wortes sind sie Scheiße."
    Atwater sprach mit seinem Ressortchef bei Style.
    "Du müßtest sie nur mal sehen."
    "Ich will sie gar nicht sehen", erwiderte der Ressortchef. "Niemand will Scheiße sehen. Selbst gestaltete Scheiße oder Formscheiße oder wie immer sie diese Skulpturen nennen ..."


    "TV der Leiden - The Suffering Channel" heißt diese 130 Seiten lange Story, tatsächlich steht allerdings im Mittelpunkt eine Lifestyle-Zeitschrift. In deren Redaktion arbeitet die Blüte der weiblichen akademischen Jugend, von den besten Unis, aus den feinsten Familien, ausgestattet mit den prestigeträchtigsten Modemarken. Trotzdem bringt - das ist die böse und lustige Pointe - niemand die Widerstandskraft auf, zu verhindern, was anfangs ausgeschlossen erschien: Dass der besagte, mit analer Gestaltungskraft hergestellte Nippes dem Publikum als Kunst präsentiert wird. Zwar wissen wir es längst, dass es ganz besonders erlesene Eliten sind, die im Mediengeschäft den größten Trash produzieren. Aber so gut, komisch und ätzend wie David Foster Wallace erzählt davon kein anderer.


    David Foster Wallace: Vergessenheit. Storys.
    Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingendaay.
    Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 222 Seiten, 18,95 Euro.