Dienstag, 30. April 2024

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Studie zum Artenschutz
Schutzgebiete berücksichtigen die Lebensräume von Insekten zum Großteil nicht

Wenn Behörden Schutzgebiete ausweisen, achten sie dabei zu wenig auf Insekten. Davor warnt eine aktuelle Studie im Fachmagazin "One Earth". Der Biodiverisitätsforscher Christoph Scherber begrüßt die Arbeit, sieht jedoch auch Mängel und Lücken.

Von Joachim Budde | 02.02.2023
Eine Honigbiene (Apis mellifera) fliegt mit prallen "Höschen" voller Pollen die Blüten eines Mirabellenbaumes an.
Insekten spielen wichtige Rollen im Ökosystem, zum Beispiel als Bestäuber (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
Das Ergebnis ihrer eigenen Studie hat Shawan Chowdhury und seine Kollegen überrascht. Sie haben untersucht, wie Naturschutzgebiete auf der ganzen Welt die Lebensräume von Insekten umfassen, sagt der Biologe vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Jena, kurz iDiv:
„Wir haben eigentlich erwartet, dass die Schutzgebiete besonders gut mit den Lebensräumen von Insekten übereinstimmen - einfach weil die meisten Insektenforscher in solche Reservate gehen, um Insekten zu sammeln. Die Ergebnisse hätten also stark verzerrt sein müssen. Tatsächlich ist die Übereinstimmung im afrikanischen Regenwald und in Südamerika für manche Arten sehr hoch. In Nordamerika hingegen gibt es viele Insektenarten, die komplett außerhalb von Schutzgebieten leben.“
Insgesamt, so errechnete das Team, sind die Lebensräume von 76 Prozent der untersuchten Insektenarten unzureichend von Schutzgebieten abgedeckt. Große Teile ihrer Lebensräume könnten also zerstört werden - vielfach sind sie es bereits. Jedenfalls stehen sie nicht als Rückzugsfläche zur Verfügung. Bei zwei Prozent der Insekten lagen die Lebensräume komplett außerhalb von Schutzgebieten. Die Studie solle dazu beitragen, eine Wissenslücke zu schließen: „Die großen Erhebungen zum Artenschutz schließen nur selten Insekten ein. Dabei ist das wirklich wichtig. Zumal außerhalb Europas und Nordamerikas nur wenige Schutzgebiete auch die Verbreitung von Insekten berücksichtigen.“

Insekten erfüllen unersetzliche Biodiversitätsdienstleistungen

Dabei erfüllen diese Tiere unersetzliche sogenannte Biodiversitätsdienstleistungen: Insekten bestäuben Blüten, zersetzen abgestorbene Pflanzen, räumen Kadaver und Exkremente auf oder halten Schädlinge in Schach. Gerade erst hat sich die Staatengemeinschaft auf der Artenschutzkonferenz in Montreal dazu verpflichtet, 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen.
Diese Gelegenheit sollte sie nutzen, rät Shawan Chowdhury: „Wenn die Gesetzgeber und Planer auch an die Insekten denken, wird das ein großartiger Weg sein, den Insektenschwund weltweit einzudämmen.“ Shawan Chowdhurys Bemerkung zur Verzerrung deutet auf die Grenzen der Studie hin. Denn die iDiv-Forscher haben lediglich knapp 90.000 Insektenarten untersucht – dabei gibt es zwischen fünf und sechs Millionen.
Christoph Scherber vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels sieht auch Mängel und Lücken, begrüßt die Arbeit aber dennoch: „Es ist auf jeden Fall sehr wichtig, dass dieser erste Schritt jetzt gemacht wurde, dass die Autorinnen und Autoren auch den Mut hatten, so eine Aussage zu treffen. Gleichzeitig darf das nicht der letzte Schritt sein, es muss jetzt weitergehen. Wir brauchen eine bessere Datenbasis, um dann immer wieder schauen zu können: Geht es den Insekten jetzt besser oder schlechter im Vergleich zu diesen Zahlen, die jetzt hier publiziert worden sind.“

Zu wenig Daten für viele Insektenarten

Denn es gibt gleich mehrere Schwierigkeiten bei der Arbeit an Insekten: Für die allermeisten Arten fehlen noch immer Daten über ihre Verbreitung. Für viele Arten ist nicht einmal bekannt, wie sie genau leben und welche Bedürfnisse sie haben. Dem Experten für Monitoringprogramme Christoph Scherber ist der Fokus auf Schutzgebiete zudem zu eng:
„Wenn wir zum Beispiel uns ein Schutzgebiet vorstellen, was inmitten eines riesigen Maisfeldes liegt, dann können wir das Naturschutzgebiet noch so groß machen und noch so schön pflegen, es wird isoliert bleiben. Wir müssen also dafür sorgen, dass die Organismen, die eigentlich gerne im Naturschutzgebiet sind und gerne woanders hin wollen, dass die es auch schaffen.“ Also 30 Prozent Schutzgebiete, aber gleichzeitig die Landschaft dazwischen weniger lebensfeindlich gestalten als sie das momentan häufig noch ist.