Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Senatorenwahlen in Georgia
Der Kampf der Demokraten um jede Stimme

Nach den Präsidentschaftswahlen und dem Wahlsieg Joe Bidens blicken die USA nun auf die Stichwahlen für zwei Senatorensitze am 5. Januar im südlichen Bundesstaat Georgia. Hier entscheiden sich die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Senat. Gewinnen die Republikaner, droht eine politische Totalblockade.

Von Thilo Kößler | 02.01.2021
Wahlplakate der demokratischen Bewerber um die beiden Senatssitze, Jon Ossoff und Raphael Warnock, in Marietta, Georgia
Wahlplakate der demokratischen Bewerber um die beiden Senatssitze, Jon Ossoff und Raphael Warnock, in Marietta, Georgia (dpa / Robin Rayne / ZUMA Wire)
Ein Parkplatz hinter einem rot verklinkerten Verwaltungsgebäude in Clarkston in DeKalb County, Georgia. Rund 50 Autos stehen vor einer kleinen Bühne. Hinter vielen Windschutzscheiben liegt ein Wahlplakat im Dunkelblau der Demokraten: "Randolph Warnock for Senate". Randolph Warnock ist einer der beiden Kandidaten für die zwei Senatorensitze, die Georgia am 5. Januar zu vergeben hat.
Auch in Georgia tobt die Pandemie. Deshalb laden die Demokraten von Clarkston zum Drive-in ein – zum Wahlkampf vor parkenden Autos. Das sei zwar etwas gewöhnungsbedürftig, sagt Beverley Burks, die afroamerikanische Bürgermeisterin der Gemeinde, aber sicher für das Publikum.

Wahlkampf in der "vielfältigsten Quadratmeile in den USA"

Es regnet, es ist kalt. Ungewöhnlich kalt für den Südstaat Georgia. Tapfer versucht Beverley Burks, die Stimmung auf Wahlkampftemperatur zu heben. 36.000 potenzielle Wähler haben die Wahlhelfer der Demokraten in den letzten 14 Tagen angerufen, an 25.000 Türen geklopft: Es geht um jede Stimme, ruft die Bürgermeisterin ins Publikum hinter den beschlagenen Windschutzscheiben der hupenden Autos.
Die Gemeinde Clarkston, ein paar Meilen nordöstlich von Atlanta, ist ein besonderes Pflaster. Einwanderer aus über 50 Nationen haben sich hier niedergelassen. Clarkston nennt sich "die vielfältigste Quadratmeile in den USA".
Der demokratische Kandidat für einen Senatssitz in Georgia, Jon Ossoff, auf einer Kundgebung mit Anhängern der lateinamerikanischen Community in Marietta, Georgia, USA
Der demokratische Kandidat für einen Senatssitz in Georgia, Jon Ossoff, auf einer Kundgebung mit Anhängern der lateinamerikanischen Community in Marietta (dpa / Robin Rayne / ZUMA Wire)
Eine Frau aus Eritrea, die für die Demokraten im Stadtrat sitzt, begrüßt das gemischte Publikum – und fragt nach dessen internationaler Herkunft. Dann betritt Randolph Warnock die Bühne, im faltenfreien Anzug und in Schlips und Kragen.
Randolph Warnock ist Afroamerikaner. Er will der erste schwarze Senator werden, den Georgia jemals nach Washington entsandte. Die USA seien nicht großartig trotz ihrer Vielfalt, sagt Warnock, sondern wegen ihrer Vielfalt.

Die amerikanische Gesellschaft wird immer heterogener

So gesehen steht die Gemeinde Clarkston für einen generellen Trend in den USA: Die amerikanische Gesellschaft wird immer bunter, heterogener. Die Städte wachsen, die Bevölkerung auf dem Land nimmt ab. Das kommt den Demokraten zugute. Und das hat Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen am 3. November in Georgia die hauchdünne Mehrheit von 12.000 Stimmen beschert, sagt der Politologe Allen Abramowitz von der Emory University in Atlanta. Die Hälfte der Bevölkerung von Georgia kommt mittlerweile aus der schnell wachsenden Metropolregion der Hauptstadt Atlanta oder lebt in ihren Vorstädten - eine dramatische Entwicklung.
"Atlanta metropolitan area now constitutes about half of the population of the state of Georgia".
So gesehen steht auch der Kandidat Randolph Warnock für einen Trend im konservativen Süden der USA: Die politische Bedeutung der Minderheiten nimmt immer weiter zu. Die Rede ist bereits vom "neuen Süden" – Georgia befinde sich auf dem Weg zu einer neuen Identität, heißt es.

Senatorenwahl wird zur "2. Präsidentschaftswahl"

Das allein wäre schon Grund genug, sich die Aufmerksamkeit des ganzen Landes bei diesen Senatorenwahlen zu sichern. Doch die Präsidentschaftswahl am 3. November und das Stimmenverhältnis zwischen Demokraten und Republikanern im Senat haben Georgia gewissermaßen über Nacht ins Scheinwerferlicht katapultiert. Es geht um die künftige politische Kontrolle im Senat.
Das macht die Senatorenwahl in Georgia am 5. Januar zur "2. Präsidentschaftswahl", wie es bereits heißt. Das ist der Grund, warum noch nie derart viel Geld in einen Senatorenwahlkampf geflossen ist: insgesamt 500 Millionen Dollar.
Der Pastor Raphael Warnock bei einer Drive-in-Kundgebung östlich von Atlanta. Er bewirbt sich für die Demokraten um einen Sitz als Senator in Georgia
Raphael Warnock bei einer Drive-in-Kundgebung östlich von Atlanta. (dpa / Robin Rayne / ZUMA Wire)
Deshalb versuchen beide Seiten, ihre Wählerschaft mit allen Mitteln zu mobilisieren. Da ist David Perdue, seit 2015 republikanischer Senator für Georgia – er ist unlängst in den Verdacht geraten, vertrauliche Informationen über die Pandemie für Aktiengeschäfte genutzt zu haben. Er tritt gegen den 33-jährigen Shootingstar der Demokraten an – gegen Jon Ossof, der noch nie ein offizielles Amt innehatte. Und da ist Kelly Loeffler, republikanische Milliardärin und Trump-Bewunderin, die sich als Verfechterin äußerst rechter Thesen einen Namen machte. Loeffler kämpft mit harten Bandagen gegen ihren Herausforderer Randolph Warnock, der zum Gesicht der Demokraten in diesem Wahlkampf geworden ist.
Loeffler verunglimpft Warnock als "radikalen Liberalen", was im Sprachgebrauch der Republikaner so viel bedeutet wie: als radikalen Linken. 13 Mal benutzte Loeffler diese Phrase im TV-Duell gegen Warnock – Georgia drohe ein Absturz in finsteren Sozialismus, behauptete sie.

Sorgen um die Wahlbeteiligung

Doch Randolph Warnock entspricht weder inhaltlich noch im Auftreten gängigen politischen Klischees: Er ist Pastor an der berühmten Ebenezer Baptist Church in Atlanta – jener Kirche, in der auch Martin Luther King bis zu seiner Ermordung 1968 Prediger war. Warnock ist tief in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung verwurzelt. Loefflers Denunzierungen verfangen weder in der afroamerikanischen Gemeinschaft, sagt Robert Franklin, Moraltheologe an der Emory University in Atlanta – noch in moderaten weißen Kreisen.
Gleichwohl machen sich die Demokraten Sorgen um die Wahlbeteiligung: Sie befürchten, dass nach der Rekordmobilisierung vom 3. November die Luft bei ihren Wählern raus ist. Besonders in afroamerikanischen Stadtteilen und Gemeinden machen Wählerinitiativen mobil, um erneut für Stimmen zu werben. Ein Drittel der Wähler in Georgia ist schwarz. In Clayton County sind es sogar 70 Prozent. Die Stimmen der Schwarzen werden wieder von entscheidender Bedeutung sein, sagt Felicia Davis von der Freiwilligen-Organisation Clayton Countys Black Womens Roundtable:
"For many years, we´ve been saying we matter and this election brought it to light."
Deshalb will auch die Gruppe von Felicia Davis in Forest Park, Clayton County, Georgia bis zur letzten Minute von Haustür zu Haustür ziehen, um für Stimmen zu werben: der Pandemie, den Feiertagen und dem schlechten Wetter zum Trotz.
"Clayton does know all eyes are on us and the eyes are there because of the work we´ve already done, not to mention the work we´re going to get done between now and January 5th."