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Zum Tod der Schriftstellerin Brigitte Kronauer
Hohe Schule der Ambivalenz

Brigitte Kronauers Fantasie wurde schon früh genährt. Ihre Mutter erzählte ihr viele Geschichten. Während ihres gesamten Schriftstellerinnenlebens sollten ihre Kindheitserinnerungen ein wertvoller literarischer Schatz bleiben. Jetzt ist die Büchner-Preisträgerin im Alter von 78 Jahren gestorben.

Maike Albath im Gespräch mit Antje Allroggen | 23.07.2019
Im Alter von 78 Jahren ist die Schriftstellerin Brigitte Kronauer gestorben. Im Bild: Kronauer auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2007.
Im Alter von 78 Jahren ist die Schriftstellerin Brigitte Kronauer gestorben. Im Bild: Kronauer auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2007. (SVEN SIMON / Anke Fleig)
Antje Allroggen: Brigitte Kronauers erster Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" erschien 1980. Mit ihrem dritten Roman "Berittener Bogenschütze" schaffte sie schließlich den Durchbruch: Kronauer wurde Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und erhielt zahlreiche Preise, unter anderem 2005 den Büchner-Preis.
Über den Wert zu schreiben sagte sie anlässlich ihres 70. Geburtstags im Deutschlandfunk Kultur:
"Die Lust zu schreiben, das war für mich kein Problem. Die war da. Es war mehr als eine Lust. Es war fast so etwas wie ein Überlebensprinzip. Wenn ich nicht geschrieben hätte, hätte ich, glaube ich, die Lust am Leben verloren. Es hätte mir etwas ganz Entscheidendes gefehlt. Es war also offensichtlich ein Antrieb oder sogar Trieb, eine Energie da, die unbedingt jetzt nicht darüber schreiben wollte, was in mir steckt, sondern wie ich die Welt mir darstellen will."
Schreiben, um zu leben. Auch, um zu überleben. Dieser Antrieb, einfach schreiben zu müssen, ist sicherlich auch gespeist worden aus frühen biografischen Erlebnissen: Als Dreijährige fiel Kronauer in den Wolfgangsee und drohte zu sterben. Als Vierjährige erlebte sie das Beben der Erde so, als wenn Ungeheuer auf sie träten. Dabei waren es die Panzer der amerikanischen Befreier.
Über Leben und Werk von Brigitte Kronauer habe ich mich vor der Sendung mit der Literaturkritikerin Maike Albath unterhalten.
"Eine eigene Stimme gewinnen"
Welche Rolle spielten die Erinnerungen - vor allem auch die Kindheits-Erinnerungen - im Werk von Brigitte Kronauer?
Maike Albath: Für Brigitte Kronauer war die Wirklichkeit immer nur Material, das sie dann gebrochen hat in ihrer sehr reichen Innenwelt. Es gab immer auch etwas Fantastisches. Es gab etwas, was das Ganze zu einem Ornament gemacht hat. Und ich glaube, ein Impuls, so fantasievoll zu erzählen, rührte daher, dass ihre Mutter eine großartige Erzählerin war, die sie immer beim Bügeln mit Geschichten zugekleistert hat. Und dagegen wollte sie ihre eigene Wirklichkeitswahrnehmung stellen. Es war also auch der Versuch, Autonomie zu gewinnen, eine eigene Stimme zu gewinnen und sich dieser Art der Weltrepräsentation – wie sie sie zu Hause erlebt hat – nicht bieten lassen zu wollen. Das war, glaube ich, der Urimpuls.
"Misstrauen gegenüber homogenen Helden"
Allroggen: So wichtig kann Bügeln sein. Sie war sicherlich auch eine genaue Beobachterin und versuchte immer, etwas über ihre Umwelt in Erfahrung zu bringen. Kann man das so sagen?
Albath: Ja, es war ein Erkenntniswillen gegenüber den Realien, die sie immer wieder vorfand. Sie hat aber auch immer sehr genau geachtet auf die Menschen, darauf, wie sie sprechen. Es gab etwas sehr Humorvolles in ihr, wodurch sie auch Schablonen aufgebrochen hat. Das war ihr vollkommen zuwider. Sie war sehr misstrauisch gegenüber einem homogenen Helden. Das kann man in vielen ihrer Romane feststellen: zum Beispiel "Errötende Mörder" oder auch "Berittener Bogenschütze". Da zeigt sich das sehr schön. Es sind immer so Liebesgeknäuel, die sie eigentlich protokolliert. Und sie hat die Hohe Schule der Ambivalenz immer bewiesen, was sich dann auch direkt auf die Art ihres Erzählens niederschlug.
Sie war jemand, der sich überhaupt keine Sorgen gemacht hat, wenn etwas zu vielfältig wurde. Sondern sie hat genau danach gesucht. Es war ein Erzählen jenseits der tradierten Wahrnehmungsmuster, was auch sehr aus der Avantgarde kam. Sie war geprägt durch den französischen "Nouveau roman" und hat sich das zu eigen gemacht. 20 Jahre lang hat sie ja eigentlich im Schatten geschrieben und war nicht veröffentlicht. Und das war der Punkt, von dem aus sie ihre Art der Wirklichkeitsinblicknahme gestaltet hat.
Sehnsucht als Antrieb ihrer Heldinnen und Helden
Allroggen: Diese vielen Schichten, die Sie gerade beschrieben haben, sehr viel auf einmal aufnehmen. Ist das – klischeehaft gefragt – ein typisch weiblicher Blick, ein typisch weibliches Erzählen?
Albath: Ich glaube, sie hat sehr viel auf Sehnsucht gesetzt. Und zwar nicht darauf, dass sich dieses Gefühl irgendwie stillen lassen könnte, sondern, dass das ein Moment ist, das ihre Helden und Heldinnen dann vorantreibt. Das ist etwas sehr Faszinierendes. Da hat sich immer wieder gezeigt, dass dies das Motiv ist, aus dem heraus man sich in die Welt hineinbegibt. Es gibt so etwas Frühverschrulltes bei ihr und auch eine große Leidenschaft für ältere Menschen. Sie fand junge Menschen, die so glatt in die Welt schauen, oft ein bisschen dämlich. Also, etwas sehr Filigranes, Verspieltes und auch ein starker Bezug zur Tradition der Romantik und eine große Lust am Periodenbau, am Satzbau.
"Offen für die Ungeheuerlichkeiten der Welt"
Allroggen: Das klingt danach, als könnte man Brigitte Kronauer nicht so leicht in eine Schublade stecken.
Albath: Ja, sie hat gesagt, dass das Normalisiertwerden etwas Tödliches sei. Dagegen hat sie sich immer gesträubt. Es ging ihr darum, diese Eindrucksfähigkeit eines Kindes zu bewahren. Auch das ist etwas sehr Typisches für sie, dass sie immer wieder sehr offen war für die Ungeheuerlichkeit sowohl der Natur als auch des Menschen. Das taucht in ihren Romanen auf. Und jemand wie Stifter war genauso wichtig wie jemand wie Joseph Conrad. Hier hat sie auch ganz unterschiedliche Erzählstile in etwas neues Deutsches überführt. Das war auch eine große Qualität, die sie besaß.
Allroggen: Sie haben Brigitte Kronauer ja häufiger erlebt und sie auch in ihrem Haus in Hamburg besucht. Wie haben Sie Brigitte Kronauer erlebt? Blickte sie als ältere Frau eher wehmütig zurück? Oder war sie doch immer noch voller Neugier auf ihre Umwelt?
Albath: Gar nicht wehmütig! Das hätte nicht zu ihr gepasst. Sondern sie hat dieses Quecksilbrige, was auch ihre Heldinnen besitzen, selbst gehabt. Ich erinnere mich an dieses spitzgieblige Haus in Hamburg Nienstedten. Da habe ich sie an einem tiefverschneiten Wintertag aufgespürt und ein langes Gespräch mit ihr geführt. Mir gefiel diese unmittelbare Neugierde auf die Welt, die sich auch für sie überhaupt nicht abgenutzt hat. Und eine enorme Leidenschaft für die Literatur und die Sprache – auch das war etwas, was sie nie verließ. Und sie hat eben diesen Blick auf alles gehabt, was sie umgibt, der eigentlich nie zu stillen war, genau wie dieses Sehnsuchtsmotiv in ihren Büchern bei ihren vielen verschiedenen Helden.