Buddhistische Kung-Fu-Nonnen

Kampfsport gegen das Patriarchat

07:33 Minuten
Junge Buddhistische Nonnen mit kurz geschorenen Haaren während der Kung-Fu Übungung.
In den Klöstern des buddhistischen Drukpa-Ordens trainieren die Nonnen seit über zehn Jahren Kung-Fu - für Körper, Seele und Gleichberechtigung. © picture alliance / dpa / EPA / Harish Tyagi
Von Horst Blümel · 28.06.2020
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In buddhistischen Klöstern herrscht meist eine strikte Geschlechterhierarchie. Anders ist das in den nepalesischen Klöstern des Drukpa-Ordens: In Kathmandu nehmen Nonnen ihr Klosterleben selbst in die Hand. Ihr Geheimnis: Kung-Fu.
"Mein Name ist Jigme Jüdüll Nammu", erzählt die Nonne. "Ich komme aus Himachal Pradesh in Indien. 2005 war Seine Heiligkeit Gyalwang Drukpa zu Lehrvorträgen in Himachal Pradesh. Seine Worte haben mich damals sehr angesprochen und es entstand in mir ein großes Bedürfnis, ihm nach Nepal zu folgen und dort Nonne zu werden. Aber vor 15 Jahren war ich noch zu jung. Meine Eltern waren dagegen und haben es mir verboten. Sie sagten, das sei nichts für ein Mädchen aus unserer Gegend."
Ihre Ordensschwester ergänzt: "Wir gehören zur Drukpa-Linie des tibetischen Buddhismus, einer 1000 Jahre alten Tradition. Viele von uns kommen aus Ladakh, Himachal Pradesh, Bhutan und Tibet. Deshalb nennen wir unseren Glauben auch Himalaya-Buddhismus."

Kung-Fu und extremes Yoga

Die beiden Nonnen, in dunkelrote Roben gekleidet und mit kahlgeschorenen Köpfen, gehören zum Druk Amitabha Kloster in Nepal. Etwas Außergewöhnliches unterscheidet die beiden von anderen buddhistischen Nonnen: Sie praktizieren die chinesische Kampfkunst Kung-Fu.
"Kung-Fu üben wir nun schon seit mehr als 10 Jahren", erzählen die beiden. "Es ist sowohl für unsere körperliche Fitness und Stärke als auch für unsere Spiritualität bedeutsam. Die verschiedenen Körperhaltungen im Kung-Fu verbessern unsere Konzentration und sind eine gute Vorbereitung auf unsere Yogaübungen. Denn wir praktizieren eine sehr weit entwickelte Form des Yoga in unserem Drukpa-Orden."

Gleichberechtigung durch Kampfsport

2008 ermutigte das spirituelle Oberhaupt des Ordens die Nonnen, Kung-Fu zu erlernen. Seine Heiligkeit Gyalwang Drukpa wollte damit zum einen das Selbstbewusstsein der Nonnen stärken und zum anderen die Gleichstellung von Nonnen und Mönchen vorantreiben, denn in China praktizieren die Mönche des Shaolin-Klosters Kung-Fu schon seit sehr langer Zeit.

Der spirituelle Führer des Drukpa-Ordens kritisiert seit Jahren die patriarchalischen Strukturen im Buddhismus und die übergeordnete Stellung der Mönche. Jigme Jüdüll Nammu:
"Seine Heiligkeit Gyalwang Drukpa spricht sehr viel über die Gleichberechtigung der Geschlechter – und er handelt auch dementsprechend. Er hat uns alle Freiheiten eingeräumt, um auf eigenen Füßen zu stehen. Und er betont immer wieder, dass wir nicht hinter irgendwem zurückzustehen sollen."

Selbstverwaltet und geachtet

"In unserem Nonnenkloster in Nepal wird alles von Nonnen gemacht: Das Verwalten des Klosters, das Rezitieren der religiösen Texte, das Ausführen der Pujas, der religiösen Rituale. Deshalb würde ich die Novizinnen-Weihe, die wir haben, eigentlich schon als volle Ordination bezeichnen. Wir können uns glücklich schätzen, Drukpa-Nonnen zu sein. Und wir werden in Ladakh wirklich geachtet."
In der Vergangenheit war das jedoch nicht so. Buddhistische Nonnen im Himalaya führten damals ein ganz anderes Leben:
"In früheren Zeiten trugen die Nonnen andere Roben. Und sie lebten mit ihren Familien zusammen. Sie arbeiteten auf dem eigenen Bauernhof und kümmerten sich um die Kinder der Familie. Noch heute sieht man diese mittlerweile alten Nonnen in Ladakh. Sie führen auch keine besonderen religiösen Praktiken aus. In den Augen der Leute sind sie nichts Besonderes, deshalb zollt man ihnen auch keinen Respekt."

Mit Liebe gegen den Plastikmüll

Gyalwang Drukpa setzt sich nicht nur für die Gleichheit der Geschlechter ein – es liegt ihm auch sehr am Herzen, den Menschen im Himalaya und in anderen Ländern den achtsamen Umgang mit Mutter Erde und ihren Lebewesen nahezubringen.
2007 rief das spirituelle Oberhaupt der Drukpa-Gemeinschaft die humanitäre Organisation "Live to Love" ins Leben.
"Wir sind bei sehr vielen ‚Live to Love‘-Aktionen dabei – zum Beispiel säubern wir die Landschaft von herumliegenden Müll, pflanzen neue Baume und setzen uns für den Tierschutz ein", sagt die Nonne mit der dunkelroten Robe. "Bisher haben wir jedes Jahr eine ‚Pad Yatra‘, eine Pilgerreise zu Fuß, gemacht. Jetzt benutzen wir dazu auch Fahrräder. Den Plastikmüll, den wir am Wegesrand finden, sammeln wir ein. Leider machen sich viele Menschen in Indien keine Gedanken über den Umweltschutz – überall findet man weggeworfene Plastiktüten. Mit unserer Aktion möchten wir die Menschen darauf aufmerksam machen, wie schädlich Plastik für die Umwelt und alle Lebewesen ist."

Auch die Eltern sind heute stolz

"Die Tage im Kloster sind ausgefüllt mit verschiedenen Aktivitäten", erzählt Jigme Jüdüll Nammu: "Schon um 5 Uhr morgens treffen wir alle im Tempel zusammen und führen eine religiöse Zeremonie durch. Diese dauert manchmal nur zwei bis vier Stunden, sie kann aber auch den ganzen Tag dauern. Und natürlich meditieren wir. Außerdem lernen wir Englisch, befassen uns mit der tibetischen Philosophie und praktizieren Kung-Fu. Die meisten von uns leben im Amitabha-Kloster. Manchmal kommen Ordensschwestern aus Ladakh und Himachal Pradesh hierher – dann üben wir alle zusammen."
Jigme Jüdüll Nammus Fazit fällt rundherum positiv aus: "Heute sind meine Eltern froh und stolz auf mich, dass ich zum Drukpa-Orden gehöre. Und seitdem ich im Amitabha-Kloster lebe, bin ich richtig glücklich!"
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