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US-Zwischenwahlen
"Wir sind momentan eine sehr komplizierte, zerrissene Gesellschaft"

Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, sagte im Deutschlandfunk, die Europäer müssten endlich erkennen, dass die Vereinigten Staaten keine globale und für die Weltpolitik zuständige Institution seien. Sie seien eine komplizierte und im Moment sehr zerrissene Gesellschaft.

John Kornblum im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 07.11.2018
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Jörg Münchenberg: Zugehört hat der ehemalige US-Botschafter in Berlin, John Kornblum. Herr Kornblum, einen schönen guten Morgen.
    John Kornblum: Guten Morgen.
    Münchenberg: Herr Kornblum, spiegelt dieser Wahlausgang nicht letztlich ziemlich exakt auch die Stimmung im Land wieder, die Zerrissenheit? Es gibt keine klare Mehrheit, weder für die Republikaner, noch für die Demokraten.
    Kornblum: Ja, das würde ich sagen. Ich sitze hier an meinem Computer vor einer Landkarte, die die Ergebnisse zeigt, und wenn man das anschaut, ist das ganze Land rot. Das ist die Farbe der Republikaner. Aber es gibt viel blau, und das sind die Großstädte und die Vororte, und ich glaube, wir sehen die Tendenz, die es schon seit 15 oder mehr Jahren gibt. Das heißt, eine psychologische, politische Trennung zwischen den Ballungsgebieten und dem flachen Land, und das wurde hier wieder bestätigt.
    Münchenberg: Nun ist es eine Frage, wie man das Ergebnis dreht, ob Sieg oder Niederlage. Trotzdem haben die Republikaner ja das Repräsentantenhaus verloren. Wie schwer wiegt diese Niederlage für Donald Trump selbst?
    Kornblum: Ich glaube, es wiegt viel schwerer als er zugibt. Nicht weil die Demokraten jetzt eine ganz andere Stimmung im Lande stiften werden, sondern es hat mit den Befugnissen des Abgeordnetenhauses zu tun. Sie sind in dem amerikanischen System das Haus, das alle Initiativen vornimmt, vor allem Haushaltsinitiativen, Geld ausgeben, aber auch in dem Funktionieren der Regierung.
    Zum Beispiel sie haben das Recht, bei Investigationen vorzuladen, um Menschen eigentlich zu zwingen, zu kommen, um über Missstände wie zum Beispiel Wahlhilfe für Russland zu reden. Die Dynamik der Regierung in Washington wird sich ziemlich eindeutig ändern, nicht weil die Demokraten unbedingt populärer sind, sondern weil sie jetzt Hebel in der Hand haben, die sie bis jetzt nicht gehabt haben.
    "Das große Problem für die Republikaner ist, dass sie einfach demographisch in die falsche Richtung gehen"
    Münchenberg: Was heißt das denn für die Republikaner selbst? Trump hatte ja schon vorgebaut und gesagt, er kämpft vor allen Dingen um den Senat. Rechnen Sie denn damit, dass es jetzt trotzdem kritischere Stimmen bei den Republikanern selber gibt? Oder bleibt es dabei, die Republikaner bleiben eine Trump-Partei?
    Kornblum: Na ja, sie sind eine Trump-Partei geworden. Bevor er gewonnen hat, als er Kandidat war, gab es viele Republikaner, die ihn abgelehnt haben. Jetzt, wo er Erfolg gehabt hat, sind sie zu einer Trump-Partei geworden. Das große Problem für die Republikaner ist, dass sie einfach demographisch in die falsche Richtung gehen.
    Es ist nicht übertrieben zu sagen, sie sind die Partei des weißen Mannes auf dem Land. Und wenn es eine Bevölkerungsgruppe gibt, die jetzt an Wichtigkeit verliert, ist es der weiße Mann auf dem Land. Diese Wahl hat zum Beispiel bestätigt, dass Frauen, egal wo sie wohnen, egal welchen Ausbildungsstand sie haben, mit mehr als 20 Prozent mehr für die Demokraten gewählt haben als für die Republikaner.
    Das Bild zeigt US-Präsident Trump nach der Unterzeichnung seiner Verordnung über Schutzzölle. Er ist umringt von amerikanischen Stahlarbeitern.
    US-Präsident Trump nach der Unterzeichnung der Verordnung über Schutzzölle umringt von amerikanischen Stahlarbeitern (dpa-bildfunk / AP / Susan Walsh)
    Münchenberg: Aber Trump lässt bislang keinerlei Anzeichen erkennen, dass er hier bereit ist, die Partei breiter aufzustellen.
    Kornblum: Nein, es interessiert ihn nicht. Trump lebt für den Tag. Das haben wir inzwischen gelernt. Die Führer der Republikaner, die wirklich keine andere Wahl gehabt haben, als mit Trump gleichzuziehen, lassen aber wissen - die Zeitungen waren voll von solchen Analysen -, wie unglücklich sie sind, dass ihre Partei eigentlich sich von den längerfristigen Tendenzen im Land verabschiedet.
    "Ein Amtsenthebungsverfahren ist ausgeschlossen"
    Münchenberg: Sie haben vorhin schon angedeutet, die Demokraten haben jetzt deutlich mehr Mittel in der Hand, um dem Präsidenten genauer auf die Finger zu schauen, um ihn zu ärgern, um bestimmte Projekte vielleicht auch zu stoppen. Es wird immer wieder auch über ein mögliches Impeachment-, Amtsenthebungsverfahren spekuliert. Da muss man sagen, angesichts der Machtverhältnisse ist das wenig realistisch?
    Kornblum: Ja, und ich glaube nicht, dass das je realistisch war. Ich meine, es gibt Menschen, die das immer wieder anstreben, aber jetzt, wo die Republikaner noch mehr Sitze im Senat haben, ist es wirklich ausgeschlossen. Ich finde es auch gut, es ist keine gute Sache, ein solches Verfahren.
    Die Demokraten sollten lernen, den Republikanern gegenüber politisch Punkte zu machen und nicht nur gegen die Tendenzen, die sie für schädlich halten. Das war das Problem der Demokraten auch bei der Trump-Wahl, dass sie meinten, sie seien die Modernen, die Intellektuellen, die Fortschrittlichen, und all diese Republikaner sind so rückständig. Dann haben sie gesehen, dass ihre Botschaft bei einem großen, großen Teil der Bevölkerung nicht angekommen ist. Das müssen sie jetzt wieder lernen.
    Münchenberg: Lassen Sie uns noch mal den Blick weiten, auf die Außenpolitik schauen. Hat diese Wahl auch Konsequenzen für die transatlantischen Beziehungen? Oder ist das nicht am Ende doch einfach vor allen Dingen eine innenpolitische Angelegenheit der USA?
    Kornblum: Na ja, es ist weder noch. Der Präsident kontrolliert die Außenpolitik. Das Abgeordnetenhaus spielt eine sehr mindere Rolle in der Außenpolitik. Aber was diese Wahl zeigt – und allmählich erkennt man das auch in Europa – ist, dass die westliche Gesellschaft im Allgemeinen sich ändert, dass die transatlantischen Beziehungen, wie sie immer noch in Deutschland, muss ich sagen, konzipiert sind, eigentlich nicht mehr existieren. Wir leben jetzt in einer Welt von einer Vernetzung, von neuen Eliten, von neuen Technologien, die die Außenpolitik total verändert haben.
    Das hat Trump noch nicht erkannt. Er spielt die alte isolationistische nationalistische Karte in den Vereinigten Staaten. Das ist eine Richtung, die im Endeffekt nicht zu halten ist. Das weiß er vielleicht auch. Aber im Moment kriegt er Stimmung damit und kriegt er Stimmen damit, und das ist sein Ziel.
    "Wir sind momentan eine sehr komplizierte, zerrissene Gesellschaft"
    Münchenberg: Das heißt aber auch, bei den großen außenpolitischen Brocken – ich nenne mal zum Beispiel den Ausstieg aus dem Abkommen mit dem Iran, die aggressive Handelspolitik -, da sagen Sie auch, da wird sich kaum etwas ändern. Welche Konsequenzen sollten denn jetzt die Europäer aus diesem Wahlausgang ziehen, wenn sie wissen, dass sich faktisch erst mal bei den großen Problemen nichts lösen wird?
    Kornblum: Na ja, das ist eine Botschaft, die ich seit langem versucht habe zu verteilen. Das ist, sie müssen Amerika endlich kennenlernen, und verstehen nicht, dass wir nicht irgendwie eine internationale Institution sind, die für die globale Weltpolitik zuständig ist, sondern wir sind eine sehr komplizierte, sehr im Moment zerrissene Gesellschaft, die neue Trends, neue Richtungen ausprobiert, die meistens ein paar Jahre später immer in Europa zuhause sind. Wir sehen die politischen Entwicklungen in verschiedenen europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, dass diese Tendenzen auch nach Europa kommen. Das ist die richtige Lehre dieser Wahl, nicht wie die formelle Außenpolitik auszusehen hat.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite gibt es immer wieder den Appell zu Geschlossenheit. Gehört aber nicht auch zur Wahrheit, dass die Europäer letztlich den Amerikanern, den USA unter Donald Trump wenig entgegensetzen können?
    Kornblum: Sie haben im Moment sehr wenig in der Hand. Das ist das Problem. Das ist auch das Ergebnis von einigen Jahrzehnten von einer Nicht-Außenpolitik in Europa und jetzt sieht man, dass die Amerikaner fast alle Hebel in der Hand haben und dass die Amerikaner natürlich vor allem, vielleicht mit recht, den Blick eher auf China setzen, weil China natürlich eine wachsende, sehr starke Macht ist. Die Energie, die man in die Außenpolitik tut, wird eher in eine chinesische Richtung gehen. Für Europa wird wichtig sein zu versuchen, so viel Konsens, so viele strategische Einheiten mit den Amerikanern zu suchen, wie sie können, auch um diese große Aufgabe China gemeinsam transatlantisch zu bearbeiten, und nicht, dass die Vereinigten Staaten sich von Europa abkoppeln.
    Münchenberg: … sagt der ehemalige US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, in den "Informationen am Morgen" hier im Deutschlandfunk. Herr Kornblum, besten Dank für das Interview.
    Kornblum: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.