Kampf gegen Verschwendung

Spenden statt Entsorgen

Eine Flasche Haarshampoo, die im Handel ca. 1,99 kostet, wird von innatura für 20-30 Cent weitergereicht.
Eine Flasche Haarshampoo, die im Handel ca. 1,99 kostet, wird von innatura für 20-30 Cent weitergereicht. © dpa/picture alliance/Arno Burgi
Von Paul Stänner · 22.05.2017
Jährlich werden in Deutschland neuwertige Waren im Wert von vielen Milliarden Euro entsorgt. Das ist billiger, als sie zu spenden. Dass es auch anders geht, zeigt ein Unternehmen aus Köln.
"Also, wir haben hier im Lager ungefähr 1500 verschiedene Artikel und das, was wirklich in großen Mengen geht und am schnellsten immer wieder weg ist, sind eigentlich Hygieneartikel, also Dusch- und Haarshampoo, Deo, Windeln, Haushaltsreiniger und Waschmittel."
Juliane Kronen steht in einer Lagerhalle in Köln-Porz. Vor ihr türmen sich riesige Hochregale. In einem solchen stehen braune Kartons, gefüllt mit Windeln in allen denkbaren Größen.
"Wir beliefern zum Beispiel auch Kinderhospize. Die sagen, die Kinder kriegen Infusionen und die brauchen einfach mehr Windeln als normal. Aber die Krankenkassen limitieren in Deutschland die Anzahl der Windel, die sie im Hospiz bezahlen. Das ist unglaublich! Und die Hospizleiterin, die sagte: Wir haben dann verhandelt mit der Krankenkasse, und wir haben gesagt, damit kommen wir nicht hin! Und dann hieß es: Dann geben Sie den Kindern doch weniger zu trinken."

Dinge, die die Welt noch braucht

Juliane Kronen hat lange für die Unternehmensberatung Boston Consulting Group gearbeitet, kennt sich also im Geschäftsleben aus. Sie gründete ein eigenes Unternehmen mit dem Namen innatura. Von innatura werden gemeinnützige Unternehmungen unterstützt, nicht mit Geld, sondern mit Naturalien.
Unternehmen spenden handelsübliche Produkte, bei denen irgendetwas schief gelaufen ist: Die Flaschen wurden nicht korrekt befüllt. Oder aus einer Werbekampagne sind von den supergroßen Flaschen mit den 40% extra - Nur für kurze Zeit! - etliche übrig geblieben. Oder die Jogi-Löw-Badetücher einer vergangenen WM verstauben im Keller.
Für solche Dinge ist innatura mittlerweile eine gute Adresse. Und das Warenangebot ist groß, erklärt Juliane Kronen:
"Wir haben dann aber auch jede Menge Spielzeug, Lehrmaterialien, Werkzeug, Haushaltsartikel, Haushaltsausstattungsgegenstände. Und gelegentlich haben wir auch mal Rasenmäher und Fernseher hier aber - Billardtische hatten wir letztlich 70 Stück, auch das sind Dinge, die dann sehr, sehr schnell nachgefragt werden."
Juliane Kronen, Geschäftsführerin innatura gGmbH im Kölner Lager
Dr. Juliane Kronen, Geschäftsführerin innatura gGmbH© Karin Desmarowitz

Bedingung: Gemeinnützigkeit

In einem Online-Katalog können Sozialeinrichtungen Produkte bestellen. Derzeit gibt es ungefähr 700 Abnehmer, die zuvor ihre Gemeinnützigkeit nachweisen mussten. Dann wird die Bestellung abgearbeitet. In Berlin zum Beispiel bekommt "kids in Berlin" Waren von innatura.
"Wir sind Träger von neun Kindergärten in Berlin und noch einer kleinen Computer-, Mädchen- und Theaterschule.", erklärt Antje Schwarz von "kids in Berlin". Sie stöbert gerne im Katalog von innatura:
"Ein wichtiger Bereich sind Gegenstände und Materialien für die Hauswirtschaft. Wir haben in allen Kindergärten Mitarbeiter, die selber kochen und putzen, und dafür brauchen wir natürlich Putzmittel, Waschmittel, jegliche Form von Reinigungsbedarf. Das wird inzwischen zu einem nicht unerheblichen Teil von innatura mit gedeckt.
Der zweite Bereich sind Spielwaren, die wir über innatura beziehen, das ist ja auch schön, dass die Kinder ab und zu neue Dinge bekommen. Denn wenn sie viel gebraucht werden, verbrauchen sie sich auch schnell. Oder vielleicht auch mal kleinere Präsente: wir haben auch Flüchtlingskinder, die bei uns betreut werden, so dass wir da auch eine Kleinigkeit im Rahmen von Festen abgeben können."

Kleine Einsparsummen, großer Effekt

Zentral bleiben die Gebrauchsartikel. Ein Beispiel: Eine Flasche Haarshampoo, die im Handel ca. 1,99 kostet, wird von innatura für 20-30 Cent weitergereicht. Die soziale Einrichtung spart 1,60 Euro. Shampoo und andere Hygieneartikel werden in großen Mengen verbraucht, also kann hier auch ziemlich gut gespart werden, betont Antje Schwarz:
"Wo wir Geld sparen können oder weniger ausgeben können, sind wir immer sehr froh, weil: Wir haben in Berlin nicht den besten Betreuerschlüssel in den Kindergärten und wir gucken nach Einsparungen, die wir an der einen Stelle machen können, um dieses Geld zu investieren in unsere Kitas, vor allem in einen besseren Personalschlüssel."
Viele Firmen spenden gern oder würden gern spenden, denn niemand möchte das Produkt, das er hergestellt hat und auf das er stolz ist, vernichten. Aber die Spende ist für den Spender mit Kosten verbunden. Eine ärgerliche Tatsache für innatura-Gründerin Juliane Kronen:
"Ja, es ist in Deutschland im Moment für Unternehmen noch teurer, Dinge zu spenden als sie zu entsorgen, denn wenn sie etwas spenden, dann müssen sie die Wertentnahme aus dem Betriebsvermögen bewerten, d.h. wie einen Umsatz verbuchen und auch eine entsprechende Umsatzsteuer abführen. Und das ist ein Faktor - wir haben es mal für Shampoo gerechnet - das ist ein Faktor von eins zu sechs, also sechsmal teurer zu spenden als zu entsorgen."
Blick in das Lager von innatura
Lager von innatura© Karin Desmarowitz

Steuerrecht macht das Spenden teuer

Für Fritz Güntzler ist damit ein vertracktes Problem angesprochen. Er ist Steuerberater und als Abgeordneter der CDU Mitglied des Finanzausschusses des Bundestages. Der hat als Gesetzgeber aber kaum Möglichkeiten, denn die Umsatzsteuer ist die einzige Steuer, die von der Europäischen Union vereinheitlicht wurde.
"Es ist erstmal ein guter Ansatz, dass Unternehmen Dinge, die sie nicht mehr benötigen, nicht einfach vernichten, sondern für gute Zwecke spenden, aber dennoch sind steuerrechtliche Gegebenheiten einzuhalten, und das ist in diesem Punkte nicht ganz einfach. Grundlage unsres Umsatzsteuerrechts ist eben die Mehrwertsteuersystemrichtlinie, an die wir uns zu halten haben."
Hintergrund ist, dass ein Unternehmer, der ein Produkt herstellt, zuvor Waren einkauft, die er zur Produktion benötigt. Für diese Waren macht er Vorsteuer geltend, also eine Steuerminderung. Würde er, wenn er das fertige Produkt spendet, noch einmal Steuerfreiheit beanspruchen, brächte das das System durcheinander. Also versucht der Gesetzgeber einerseits die Steuer zu erhalten, andererseits aber über die Finanzbehörden den Wert der gespendeten Güter so gering wie möglich anzusetzen.
Dabei geht es immer darum, Missbrauch zu vermeiden, dass beispielsweise gespendete neuwertige Kleidung doch noch verkauft wird. Andere Regelungen als die Wertminderung scheinen - so Fritz Güntzler - derzeit kaum möglich:
"Weil, wenn man die Steuerbefreiung haben möchte, wo ich gar nichts gegen hab, muss man alle Mitgliedsstaaten der EU auf diese Linie bringen, und die Begeisterung, diese Richtlinie zu ändern, ist zur Zeit in Europa nicht so groß."
(TJ)
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