Dienstag, 30. April 2024

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Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde
"Sicherstellen, dass die Akten weiter zugänglich sind"

Wie soll es mit der Stasi-Unterlagenbehörde weitergehen? Ihr Chef, Roland Jahn, glaubt nicht, dass die Aufarbeitung der Akten eingestellt wird, sagte er im DLF. Wichtig sei, dass die Unterlagen zugänglich blieben. Auf die Frage, ob es dazu seine Behörde noch brauche, antwortete Jahn ausweichend.

Roland Jahn im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 03.03.2016
    Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU).
    Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Braucht Deutschland, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR, noch eine Behörde zur Aufarbeitung von Unterlagen der Stasi? Roland Jahn, der gestern von der Bundesregierung für eine weitere fünfjährige Amtszeit als Chef der Einrichtung nominiert wurde, hält das nicht zwangsläufig für notwendig. Wichtig sei, dass die Arbeit mit den Unterlagen fortgesetzt werde und dass die Akten zugängig seien. Er sei für zeitgemäße Strukturen. Die Nominierung durch die Bundesregierung sei für ihn aber ein Zeichen, dass die Arbeit weitergehe, sagte Jahn.
    Er warb dafür, dass die Unterlagen mit dem übergeordneten Thema Diktatur in der DDR zusammen betrachtet werden, auch um speziell jüngere Menschen zu erreichen. "Eine Fixierung auf das Thema Stasi ist nicht gut", sagte Jahn. Er sei offen für Reformen.
    Eine Expertenkommission beschäftigt sich derzeit mit der Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde. Mit den Ergebnissen der Runde soll sich noch im März der Kulturausschuss des Bundestags befassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die Stasi-Unterlagenbehörde, sie hat in den letzten 25 Jahren Millionen von Deutschen Auskunft gegeben über das, was die Staatssicherheit der DDR über sie gespeichert hat. Aber immer häufiger wird die Frage gestellt, ob wir diese Einrichtung jetzt nach 25 Jahren, nach einem Vierteljahrhundert wirklich noch brauchen in Deutschland, oder ob man deren Arbeit auch anderswo erledigen kann, etwa im Bundesarchiv zum Beispiel. Die Bundesregierung hat eine Kommission eingesetzt, die sich Gedanken machen soll über die Zukunft der Stasi-Aktenbehörde. In den kommenden Tagen wird dazu eine Einigung erwartet. Der Stasi-Unterlagen-Beauftragte ist Roland Jahn. Das Bundeskabinett hat ihn gestern für eine weitere fünfjährige Amtszeit nominiert. Aber offiziell bestätigt werden soll er erst, wenn auch die Zukunft seiner Behörde tatsächlich feststeht. Eine echte Hängepartie also. Roland Jahn ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen.
    Roland Jahn: Schönen guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Jahn, ist das nicht eigentlich eine Vertragsverlängerung zweiter Klasse?
    Jahn: Nein. Ich denke, hier ist ein deutliches Zeichen gesetzt worden, die Arbeit geht weiter. Und wie der Bundestag das jetzt entscheidet, wann gewählt wird, das ist ja in der Eigenverantwortung des Bundestages. Es geht ja jetzt auch gerade darum, durch die Einsetzung der Expertenkommission eine Bestandsaufnahme zu machen, um dann die Weichen zu stellen für die Zukunft, damit die nächste Generation auch die Möglichkeit hat, mit den Stasi-Akten zu arbeiten und zu erfahren, wie hat die SED-Diktatur funktioniert.
    Armbrüster: Der Brandenburger CDU-Politiker Dieter Dombrowski nennt es trotzdem einen Schlag ins Gesicht der Stasi-Opfer, was da gestern passiert ist bei dieser Einigung.
    Jahn: Ja natürlich ist es wichtig, dass alle Irritationen vermieden werden, gerade in Richtung der Opfer, weil die gilt es zu würdigen und es gilt aufzuklären über Ursachen und Folgen der Diktatur. In dem Sinne ist es wichtig, dass wir hier eine Kontinuität haben. Es ist wichtig, deutlich zu machen, die Arbeit geht weiter. Ich bin da ganz optimistisch, weil der Einsetzungsbeschluss der Expertenkommission durch den Deutschen Bundestag bestätigt, es ist ein ganz klarer Auftrag sicherzustellen, dass die Akten weiter zugänglich sind, sicherzustellen, dass Forschung und Bildung weitergehen, sicherzustellen, dass die Kompetenz und das Wissen der Mitarbeiter unserer Behörde zukünftig genutzt werden und gerade auch die internationale Kooperation möglich zu machen.
    "Wir brauchen Digitalisierung der Bestände, um sie besser nutzen zu können"
    Armbrüster: Das heißt, die Stasi-Unterlagenbehörde wird es weiter so wie bisher geben? Davon gehen Sie aus?
    Jahn: Ich gehe davon aus, dass die Akten weiter zur Verfügung gestellt werden. Es geht auch dort um zeitgemäße Strukturen. Wir haben natürlich auch einen Reformbedarf. Wir müssen uns stellen den Herausforderungen. Wir brauchen eine archivgerechte Lagerung. Die Gebäude, wo die Akten gelagert sind, die müssen saniert werden. Wir brauchen Digitalisierung der Bestände, um sie besser nutzen zu können. Und wir brauchen auch eine zeitgemäße Vermittlung des Themas Geschichte für die nächsten Generationen.
    Armbrüster: Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden, Herr Jahn. Heißt das, Sie sind durchaus dafür, dass man Ihre Behörde abschafft und zum Beispiel dann überführt in das moderne Bundesarchiv?
    Jahn: Ich bin für zeitgemäße Strukturen und es geht um Reformen, die sich an der Sache orientieren, und in dem Sinne ist die Expertenkommission herausgefordert, Vorschläge zu machen, wie das bestmöglich organisiert werden kann. Schauen Sie, die Frage politischer Bildung, wie können wir das so gestalten, dass die Jugend bestmöglich erreicht wird.
    "Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Analyse"
    Armbrüster: Kann das die Stasi-Unterlagenbehörde, so wie es sie derzeit gibt, nicht leisten?
    Jahn: Schauen Sie, eine Fixierung auf das Thema Stasi ist etwas, was nicht gut ist, wenn wir Diktatur aufarbeiten wollen. Diese Konzentration auf das Thema Stasi führt dazu, dass alles nur auf die Stasi geschoben wird. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Analyse. Wir brauchen eine Vermittlung, wo auch junge Leute sich in Bezug setzen können, und da ist es natürlich schon gut, wenn man sagt, wir haben die Möglichkeit, über den Horizont Stasi hinauszuschauen, wir haben die Möglichkeit, die historischen Orte besser zu nutzen, wir haben die Möglichkeit, auch die modernen Medien besser zu nutzen. Und da geht es darum, die Kräfte zu bündeln. Da geht es darum, Arbeitsteilung in der Aufarbeitungslandschaft so zu organisieren, dass klare Konturen da sind. Und da gilt es, auch die Erfahrungen anderer Institutionen zu nutzen.
    Armbrüster: Dann bleibt trotzdem die Frage, soll das nun eine Reform Ihrer Behörde, der Stasi-Unterlagenbehörde sein? Soll sie möglicherweise auch einfach einen neuen Namen bekommen? Oder soll sie aufgehen in einer anderen Einrichtung?
    Jahn: Das sind die Fragen, die die Expertenkommission untersucht hat. Sie hat jetzt fast anderthalb Jahre gearbeitet.
    Armbrüster: Mich würde Ihre Meinung interessieren, Herr Jahn.
    Jahn: Ich bin offen für Reformen. Ich bin sachorientiert. Ich bin jemand, der sagt, es ist wichtig, dass die Menschen einen Nutzen davon haben, dass Behörden, Dienstleister für sie da sind.
    Armbrüster: Können wir dann vielleicht festhalten, Sie wollen den Bundestagsabgeordneten hier heute Morgen keine Vorschriften machen, so wie sie Ihrer Meinung nach entscheiden sollten?
    Jahn: Richtig. Ich habe hohen Respekt vor dem Deutschen Bundestag. Wir brauchen eine offene Diskussion darüber. Aber wir sollten uns an der Sache orientieren und immer die Frage stellen, was ist für die Menschen, die die Akten nutzen wollen, die beste Lösung.
    Armbrüster: Was sehen Sie denn da bei sich in der Behörde? Geht die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, geht die Nachfrage nach Informationen aus diesem Archiv langsam zurück?
    Jahn: Natürlich gibt es einen langsamen Rückgang. Aber es ist zu betonen, dass jeden Monat noch über 5.000 Menschen Anträge zur persönlichen Akteneinsicht stellen. Es ist zu betonen, dass gerade auch Forscher und Journalisten diese Akten nutzen, um aufzuklären über die Mechanismen der Diktatur. Und es ist zu betonen, dass natürlich auch öffentliche Stellen diese Akten noch weiter nutzen, um Auskünfte zu bekommen, gerade auch meinetwegen, ob ein Parlamentarier für die Stasi gearbeitet hat.
    Armbrüster: Und könnte man solche Aufgaben auch übernehmen, ich sage es noch mal, zum Beispiel im Bundesarchiv? Wäre das eine Einrichtung, die diese Aufgabe auch erledigen könnte?
    Jahn: Die entscheidende Frage ist doch, dass wir als Dienstleister gut organisiert sind. In welchen Strukturen das geschieht, das wird derzeit genau analysiert. Mir ist wichtig, dass das Symbol Stasi-Unterlagenarchiv erhalten bleibt. Mir ist es wichtig, dass dieses Symbol für die Überwindung der Diktatur, für die friedliche Revolution, dass das weiter sichtbar ist, und ich denke, hier sollten die Bundestagsabgeordneten dann beachten, dass dieses Zeichen gesetzt wird.
    "Ich sehe hier ganz klar ein Zeichen, dass hier die Arbeit weitergehen soll"
    Armbrüster: Sehen Sie denn Tendenzen dafür, dass Politiker dieses Zeichen nicht setzen wollen, dass sie vielleicht sagen, wir können hier auch mal einen Schlussstrich ziehen?
    Jahn: Nein. Ich sehe hier keinerlei Tendenzen eines Schlussstriches. Ich sehe hier ganz klar ein Zeichen, dass hier die Arbeit weitergehen soll. Und gerade auch dieses Symbol ist im Einsetzungsantrag des Deutschen Bundestages erwähnt und deswegen bin ich guter Dinge, dass all das Beachtung finden wird, auch gerade, wenn es um die Standorte für die Akten geht.
    Armbrüster: Roland Jahn war das, der Stasi-Unterlagen-Beauftragte, live hier bei uns heute Morgen in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank, Herr Jahn, für das Gespräch.
    Jahn: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.