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Die Hintergründe des "netten Herrn Rösler"

Als weitgehend unbekannter Youngster rückte Philipp Rösler ins Kabinett Merkel auf. Der Wechsel ins Wirtschaftsressort und an die Spitze der FDP hat sein Image nicht verbessert. Der Journalist Michael Bröcker hat ein Porträt über den gerade mal 38-jährigen Politiker geschrieben.

Von Moritz Küpper | 26.09.2011
    Nun also Philipp Rösler. Nun erscheint eine Biografie über einen 38-jährigen Politiker, der gerade einmal eine halbe Legislaturperiode in der Bundespolitik verbracht hat. Was von einem solchen Werk – zumal in äußerst kurzer Zeit entstanden – zu halten ist, scheint offensichtlich. Und es drängt sich die Frage auf: Muss das sein? Natürlich, wer einen Blick auf die Kabinettsbank wirft, stellt fest, dass das Leben von fast allen führenden Politikern der schwarz-gelben Bundesregierung bereits mindestens einmal erzählt wurde. Wolfgang Schäuble oder auch Guido Westerwelle weisen Biografien vor, von Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt es sogar direkt mehrere. Und selbst die eher unscheinbare Bildungsministerin Annette Schavan kann eine christliche Biografie vorweisen – und wurde somit indirekt zur Geburtshelferin des nun vorliegenden Buches, wie der Autor Michael Bröcker berichtet:

    "Der Verlag hat mich Anfang des Jahres angesprochen, nachdem sie mich bei einer Podiumsdiskussion mit Anette Schavan und Philipp Rösler kennengelernt hatten. Da hatte er das Buch von Anette Schavan vorgestellt. Und dann hat der Verlag Anfang des Jahres angefragt, ob man nicht auch mal so eine christliche Kurz-Biografie machen könnte. Und dann wurde Philipp Rösler Parteichef und Vizekanzler und dann haben wir daraus ein bisschen mehr, eine christlich-liberale Biografie gemacht."

    Sechs bis sieben Monate hat Bröcker, Leiter des Hauptstadtbüros der "Rheinischen Post", gebraucht, nun liegt das Werk vor. Und schon der Titel zeigt, dass der Karriereschub den Inhalt bestimmt: "Glaube. Heimat. FDP." Ein umfassender Dreiklang. Doch trotz des rasanten Aufstiegs hin zum FDP-Parteichef und Vizekanzler, die Frage bleibt: Muss jeder Spitzenpolitiker eine Biografie haben? Gerade im schnelllebigen Geschäft der Berliner Politik?

    Zu gut sind die Beispiele der kurzzeitigen SPD-Parteivorsitzenden Matthias Platzeck und Kurt Beck in Erinnerung: Über beide waren einige Biografien in Arbeit, erschienen sogar, doch deren Protagonisten zogen sich schneller aus der Bundespolitik zurück, als dass man die Bücher hätte lesen können. Ob Röslers Schicksal ähnlich verläuft, ist heute offen. Fest steht, dass Bröcker einen Weg gefunden hat, mit dieser Situation umzugehen.

    Das Buch lebt von der Erkenntnis, dass es zu früh ist, eine umfassende Biografie zu schreiben. Dass neun Monate als Wirtschaftsminister in Niedersachsen, zwei Jahre als Bundesgesundheitsminister und insgesamt 38 Lebensjahre einfach zu wenig sind.

    Bröcker hat daher kein monumentales Buch geschrieben, sondern eher ein – trotz Hardcover – kleines, dünnes Büchlein, dass neben dem Text noch einige Bilder aus Röslers Leben, prominente Stimmen über den Vizekanzler sowie ein ausführliches Interview mit seiner Frau Wiebke enthält. Diese quantitative Zurückhaltung hat sicherlich auch Zeitgründe, ist aber wohltuend – und macht aus der Schwäche eine Stärke: Denn trotz seiner Spitzenämter ist der "nette Herr Rösler" noch weitestgehend unbekannt.

    Bröcker hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu skizzieren, woher einer der aktuell wichtigsten Männer in der deutschen Politik kommt. Was treibt ihn an? Nach welchen Werten trifft er seine Entscheidungen? Anhand vieler Details gelingt eine erste Deutung des Politikers Rösler. Herkunft, Heimat, Haltung – so heißen die drei Kapitel, die dem Buch eine Struktur geben. Und bereits die unterschiedliche Gewichtung dieser Kapitel bietet dem Leser, der mehr über die Hintergründe des Weges vom vietnamesischen Findelkind hin zum Vizekanzler wissen will, eine überraschende Erkenntnis. Autor Michael Bröcker:

    "Es gab am Anfang die Überlegung, dass man natürlich dieses Kapitel Vietnam eigentlich größer und breiter aufziehen müsste. Aber je mehr ich mit ihm geredet habe und je mehr ich auch recherchiert habe, desto kleiner ist dieses eigentliche Herkunftskapitel geworden. Denn Vietnam spielt in seinem Leben, in seiner Gedankenwelt nur noch eine sehr kleine Rolle. Er ist Niedersachse, er sieht sich als Deutscher und alle seine Erinnerung als Person sind deutsche Erinnerungen, die beginnen in Hamburg. Insofern ist die Herkunft eben etwas völlig anderes als die Heimat und das ist neu, das ist anders. Das kennen wir vielleicht nicht so. Und insofern musste das Kapitel Heimat eigentlich viel größer und intensiver werden. Die Herkunft ist eigentlich nur noch eine biografische, eine geografische Herkunft und sie ist nicht Heimat geworden und deswegen hat das zu dem etwas größeren Kapitel Heimat geführt."

    In diesem stellt Bröcker besonders vier Punkte in den Vordergrund, die Rösler bis heute prägen: zum einen das Verhältnis zu seinem Adoptiv-Vater, ein Bundeswehr-Offizier, der ihm Tugenden wie Pünktlichkeit und Pflichtbewusstsein vermittelte; die FDP, die gerade in Niedersachsen besonders familiäre Strukturen hat; das Land Niedersachsen selbst, das dem Adoptivkind zur Heimat geworden ist und nicht zuletzt der katholische Glaube, den Rösler – ungewöhnlich für einen FDP-Politiker – offen praktiziert.

    All dies prägt bis heute auch seine Haltung, die – wie Bröcker feststellt – davon getrieben ist, der Gesellschaft das zurückzugeben, was er von ihr bekommen hat. Dieser Ansatz führte ihn in höchste politische Ämter. Wie lange, wird sich zeigen – diese Antwort kann auch das Buch nicht geben. Eines hat das Werk jedenfalls schon geschafft – es nimmt Einfluss auf die Tagespolitik. Aufgrund der eher angespannten Lage der schwarz-gelben Bundesregierung wird die Buchpräsentation morgen zum Politikum. Hier zeigt sich, dass Rösler, bei aller Zurückhaltung was Informationen aus dem privaten Bereich angeht, das Buchprojekt grundsätzlich unterstützt. Noch einmal Autor Bröcker:

    "Wir haben überlegt, wie das so immer ist: Wer wäre ein spannender Gesprächspartner? Wer wäre ein spannender Laudator für die Biografie? Und es war Philipp Rösler selbst, der gesagt hat: Am besten wäre es, wenn es die Kanzlerin macht. Und er hat sie dann gefragt und sie hat mitgemacht, hat da auch nicht gezögert, soweit ich das weiß. Und jetzt ist es natürlich in der aktuellen Lage fast schon so eine Art Politikum geworden, weil die beiden damit natürlich auch ein schwarz-gelbes Signal setzen können, Zusammenhalt in der Koalition demonstrieren können. Das ist beiden wahrscheinlich wichtig und in der jetzigen Lage sicherlich auch - sagen wir mal - marketingtechnisch gut gelaufen für beide."

    Und das lässt sich natürlich auch für den Autor sagen. Die Bundeskanzlerin wird das Buch morgen sicherlich empfehlen. Aber: Wer mehr über den Vizekanzler Philipp Rösler wissen möchte, kann auch unabhängig von politischen Gründen unbesorgt zu diesem Buch greifen.


    Philipp Rösler: Ein Portrait. Glaube. Heimat. FDP
    Verlag St. Benno
    160 Seiten, 14,95 Euro
    ISBN: 978-3-746-23287-4

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