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Spanien
Sexuelle Übergriffe auf Soldatinnen

Der Fall der Offizierin Zaida Cantera hat in Spanien eine Diskussion um sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Armee ausgelöst. Die junge Frau hat einen Oberstleutnant der spanischen Armee vor Gericht gebracht, der sie jahrelang bedrängt hatte. Jetzt reagiert das Verteidigungsministerium.

Von Hans-Günter Kellner | 10.04.2015
    Das Werbevideo der spanischen Streitkräfte zeigt Frauen in Uniform am Radar, im Düsenjet, im U-Boot und im Panzer. Ohne die mehr als 15.000 Soldatinnen könnte Spanien seine Truppenstärke von 120.000 wohl kaum garantieren. Zaida Cantera ist Offizierin bei der Fernmeldetruppe. 2008 sollte sie einem Oberstleutnant bei einem Kongress assistieren:
    "Wir waren in einem der Versammlungsräume eines Hotels in Valladolid. Eine Kameradin war zugegen. Er kam rein und setzte sich neben mich. Ich hatte keine Chance, ihm auszuweichen. Er legte die Hand auf mein Knie und zog sie langsam hoch. Bis ich aufsprang. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass mir das passiert."
    Schon vor der Fahrt hatte der Oberstleutnant der Offizierin unmissverständlich klar gemacht: "Du kommst als meine Sekretärin mit. Wie die mit den kurzen Röckchen." Dabei hatte Zaida Cantera schon bei mehreren Einsätzen im Kosovo und Libanon die Befehlsgewalt über eine ganze Kompanie gehabt. Immer wieder bedrängte sie der Oberstleutnant, immer wieder verweigerte sie sich. Ihr Peiniger verzieh ihr das nicht:
    "Bei einem Manöver befahl er seinen Offizieren, herauszufinden, in welchem Zelt ich schlafe. Meine Kameraden informierten ihn absichtlich falsch. Am nächsten Morgen warf jemand Feuerwerkskörper in dieses Zelt. An einem anderen Zelt war dann zu lesen: 'Zaida, komm nicht wieder.'"
    Zaida Cantera gibt auf
    Jahrelang bat sie ihre direkten Vorgesetzten, sie nicht mehr dem Oberstleutnant zur Seite zu stellen – ohne Erfolg. Zu spät, sagt sie heute, ging sie vor Gericht. Ihr Peiniger wurde 2012 zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt – und trotzdem noch zum Oberst befördert. Für sie wurde das Urteil zu keinem Neuanfang: Ihr wurde die Befehlsgewalt über ihre Kompanie entzogen, Vorgesetzte konstruierten gegen sie mehrere Anklagen wegen Urkundenfälschung und Disziplinarvergehen. Die Justiz hat sie zwar in allen Fällen freigesprochen. Trotzdem gibt sie jetzt zermürbt auf:
    "Ich werde die Armee verlassen und mich in die Reihe der Arbeitslosen einreihen. Wie viele Spanier. Aber ich will nicht den Rest meines Lebens auf den Knien herumrutschen. Dabei liebe ich die Armee."
    Mit den Medien spricht sie aus Angst vor Disziplinarstrafen so lange nicht, bis sie endgültig aus dem Dienst ausgeschieden ist. Nur einmal gab sie ein Interview – dem Privatsender La Sexta –, weil ihr Rechtsanwalt Aufnahmen und Schnitt überwachen durfte. Irene Lozano, Abgeordnete der Oppositionspartei Union, Fortschritt und Demokratie, hat ein Buch über sie geschrieben:
    "Seit der Fall von Zaida bekannt ist, erreichen uns viele Briefe, E-Mails, öffentliche und private Nachrichten über die Sozialen Netzwerke, in denen uns Opfer ähnliche Fälle schildern. Die Strukturen im Militär sind nun mal hierarchisch bestimmt. Ohne Disziplin geht es nicht. Aber wir müssen verhindern, dass die Soldatinnen durch dieses Prinzip dem Machtmissbrauch von Ranghöheren schutzlos ausgeliefert sind."
    "Ein Spiegelbild für ganz Spanien"
    Zaida Cantera habe zahlreiche Belobigungen erhalten, fair zu ihren Untergebenen, zuverlässig für die Vorgesetzten. Aber zu intelligent, glaubt Lozano. Und das sei nicht nur bei der Armee unbeliebt:
    "Sie ist eine brillante Soldatin, die ihre Arbeit liebt. Aber wie ihr geht es vielen talentierten Leuten im Land: Eine mittelmäßige Elite sichert sich ihre Privilegien, während Hunderttausende zum Arbeiten ins Ausland gehen, nach Deutschland, Großbritannien oder Ecuador. Wie kann unsere Armee eine so intelligente Frau hinauswerfen? Wie gut würden uns Leute wie sie beschützen! Zaidas Geschichte ist ein Spiegelbild für ganz Spanien."
    Immerhin: Spaniens Verteidigungsministerium bereitet jetzt - 25 Jahre nachdem die erste Soldatin zur Armee kam - ein Verfahren vor, dass Opfern wie Zaida Cantera die Anzeige erleichtern und sie gleichzeitig vor Repressalien schützen soll. Denn bislang melden sich jährlich nur weniger als ein Dutzend mutmaßliche Opfer bei der Justiz.