Neu im Kino

Mein Vater, der Kidnapper

Vater Arquimedes Puccio (Guillermo Francella, hinten) und Sohn Alejandro Puccio (Peter Lanzani) in einer Szene des Films "El Clan" ACHTUNG: Verwendung nur für redaktionelle Zwecke im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den genannten Film und nur bei Urheber-Nennung Foto: PROKINO Filmverleih/dpa
Vater Arquimedes Puccio (Guillermo Francella, hinten) und Sohn Alejandro Puccio (Peter Lanzani) in einer Szene des Films „El Clan“ © PROKINO Filmverleih / dpa
Von Christian Berndt |
In der Endphase der argentinischen Militärdiktatur machte die angesehene Familie Puccio mit Kidnapping ein Vermögen. Der Thriller „El Clan“ erzählt die grausige Geschichte um einen Vater, der seinen Sohn in seine Verbrechen hineinzieht. Einer der Filme in unserer Kurzkritik.
„Fabelhaft mein Junge. – Du hast ein Spitzenspiel gemacht.“

Realistische Darstellung einer wahren Horror-Geschichte

Argentinien, 1983. Auf der Siegesfeier der Rugby-Nationalmannschaft im Jahr wird ihr Star Alex Puccio gefeiert. In der Mannschaft mögen alle den sympathischen jungen Mann. Dann, als Alex kurz darauf mit seinem Teamkollegen Ricardo unterwegs ist, passiert es:
„Hier lang? – Ja. Hat der eine Waffe? – Hände hoch, keine Bewegung!“
Die beiden werden am helllichten Tag überfallen. Ricardo wird in den Kofferraum gesperrt und dann stellt einer der Entführer Alex eine überraschende Frage:
„Gut überstanden? – Alles gut, Papa.“
Alex steckt nicht nur mit den Entführern unter einer Decke, der Anführer ist sein eigner Vater. Eine seltsame Wendung, aber der argentinische Thriller „El Clan“ ist nach einer wahren Geschichte erzählt. Anfang der Achtzigerjahre, in der Endphase der argentinischen Militärdiktatur, machte die angesehene Familie Puccio durch Lösegelderpressungen ein Vermögen. Im Film erlebt man den dominanten Vater als treibende Kraft, der den Sohn in seine Verbrechen hineinzieht. Alex ist schockiert, als er hört, dass Ricardo erschossen wurde.
„Wir hatten keine andere Wahl, Alex. Er hat uns gedroht und meinte, er würde es den mächtigen Freunden seines Vaters erzählen und uns zerstören. Ich werde niemals zulassen, dass unsere Familie bedroht wird, Alex.“
Der Vater ist ein skrupelloser Killer, aber Alex will die Wahrheit nicht sehen – so wie die ganze Familie. Während die Mutter das Abendessen zubereitet, bringt der Vater dem in der Badewanne festgeketteten Entführungsopfer seine Mahlzeit – ein makabres Szenario.
Regisseur Pablo Trapero erzählt ein Familiendrama, das die Verdrängungsmechanismen familiärer Zwangsstrukturen grausig, aber realistisch vorführt. In der Wirklichkeit blieben die Verbrechen über Jahre unentdeckt, weil der Vater als Handlanger der Diktatur unter dem Schutz der Militärs agierte. „El Clan“, der in Venedig mit dem silbernen Löwen ausgezeichnet wurde, zeigt diese Familie plausibel als Produkt einer von Angst beherrschten Gesellschaft, die solche monströsen Verbrechen gebiert.

Versteckspiel gegen kunstliebhabende Nazis

Von der klaustrophobischen Enge des Horror-Hauses in die Weiten des Pariser Louvre. Der russische Regisseur Alexander Sokurov hat nach seinem fulminanten Film „Russian Ark“ von 2002 über die Eremitage in St. Petersburg wieder einen Museumsfilm gedreht. Als filmische Rahmenerzählung dient „Francofonia“, die reale Geschichte zweier Männer während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Der damalige Direktor des Louvre, Jacques Jaujard, und der kunstliebende deutsche Besatzungsoffizier Graf Wolff-Metternich arbeiteten zusammen, um die Sammlungen des Louvre vor dem Zugriff von Nazi-Größen zu retten. Der Film fragt nach der Bedeutung von Kunst für eine Gesellschaft – auch dann, wenn Barbarei herrscht. „Francofonia“ erweist sich als anspielungsreicher, komisch wie ernster Filmessay, der das Museum als zentralen Ort inszeniert, wo spannungsvoll wie nirgends Vergangenheit und Gegenwart aufeinanderprallen.

Erste deutsche Anne-Frank-Verfilmung

Aus völlig anderer Perspektive erzählt „Das Tagebuch der Anne Frank“ vom Zweiten Weltkrieg. Die erste deutsche Verfilmung des Textes beginnt im Amsterdam des Jahres 1942, wohin die Familie Frank aus Nazi-Deutschland emigriert war. Jetzt, nachdem die Niederlande von den Deutschen besetzt wurden, geht auch hier der Terror gegen Juden los. Doch die lebenshungrige Anne Frank will sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen. Gerade hat sie zum 13. Geburtstag ein Tagebuch geschenkt bekommen:
„Es ist für jemanden wie mich ein eigenartiges Gefühl, Tagebuch zu schreiben. Nicht nur, dass ich noch nie Tagebuch geschrieben habe. Ich glaube auch nicht, dass sich später jemand für die Herzensergüsse eines 13-jährigen Schulmädchens interessieren wird.“
Mit dem letzten Rest Freiheit ist es vorbei, als die Deportation droht. Die Franks ziehen in ein vorbereitetes Versteck, wo sie sich in qualvoller Enge mit weiteren Untergetauchten arrangieren müssen. Und Anne schreibt weiter – von Pubertätsnöten, Streit mit den Eltern, erster Liebe und der dauernden Angst.
„Es beklemmt mich doch mehr, als ich sagen kann, dass wir niemals hinausgehen dürfen. Und ich habe große Angst, dass wir entdeckt und dann erschossen werden. Das ist natürlich eine weniger angenehme Aussicht.“
Regisseur Hans Steinbichler hat für die klaustrophobische Atmosphäre treffende Bilder gefunden und der Film zeigt, indem er sich akribisch an der Vorlage orientiert, wie klug und lebendig Anne Frank geschrieben hat. Leider lässt der Respekt vor dem Text die Verfilmung allzu papierhaft geraten. Gerade die wundervoll plastische Sprache des Tagebuchs hätte eine Umsetzung verdient, die diese fantasievolle Kraft des Textes zu szenischem Leben erweckt, statt sich mit viel schwülstiger Musik als dramaturgischem Notnagel zu behelfen.
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