"Sommernachtstraum" in Düsseldorf

Große Spiellust

Zuschauer sitzen im Theater vor einer leeren Bühne mit geschlossenem roten Vorhang.
Das Theater Düsseldorf zeigt eine sehenswerte Inszenierung des "Sommernachtstraums". © dpa / Jens Wolf
Von Christiane Enkeler · 20.09.2014
Álex Rigola inszeniert den "Sommernachtstraum" in Düsseldorf als einen bunten Reigen, teilweise etwas zu überdreht, aber voller Humor. Der Zuschauer sieht ein überragendes Ensemble, das tiefe Abgründe auf die Bühne zu bringen vermag.
"Ein Sommernachtstraum" gehörte noch zum Spielplanentwurf der vom letzten Düsseldorfer Interimsintendanten Manfred Weber als Chefdramaturgin gedachten Eva-Maria Voigtländer. So betreute sie auch diesen Part des Spielzeitauftakts dramaturgisch, obwohl sie aus der Mannschaft von Günther Beelitz ausgeschieden war, der jetzt seit März die Führung des Hauses übernommen hat. Die Besetzung stammt von ihrem Team; dabei übernahm Beelitz die neuen Spieler. Sein erklärter Wille ist, statt mit Gästen mit einem größeren Ensemble zu spielen.
Auch das Konzept stand fest: Der katalanische Regisseur Álex Rigola verlegt Elfenkönig Oberons mystischen Wald der Verwechslungen in Andy Warhols Factory. Einmal in Warhols World, werden die beiden jungen Athener Hermia und Demetrius gefilmt in ihrer Liebesverzweiflung und erliegt ihr Freund Lysander im Museum Oberons Liebesgruseltrank, der ihn zu zombieesken Verzerrungen verführt.
Kreischend stehen die Teenies im Museum vor dem kniehohen Wald aus vollkommen gleichen Brillo-Boxen, und so lustig das ist, so gruselig werden Wiederholung und verlorene Identität damit tatsächlich. Denn schon Lysanders Verwandlung war ja ein Versehen: Statt seiner sollte Demetrius Helena lieben wie verrückt.
Irgendwo zwischen Aktionskunst, Dada, Pop, Rausch und Chaos
Titania, Shakespeares Elfenkönigin, ist Andy-Oberons männliche Muse, und Edgar Eckert geht in dieser Rolle mit wachen Augen masochistisch in den Drogen-Rausch.
Das Spiel im Spiel von Pyramus und Thisbe, bei Shakespeare eine depperte Handwerkertruppe, die sich als Schauspieler versucht – hier sind es Warhols Superstars. Brigit (mit "t") Berlin versucht sich als "Wand" zwischen den beiden Liebenden, John Giorno ist der "Zettel", dem der Kobold Puck den Eselskopf anhext. Hier stürzt der Esel während einer Probe psychisch ab, in der die Superstars, die unbedingt vor Andy spielen wollen, ein Theater ausprobieren irgendwo zwischen Aktionskunst, Dada, Pop, Rausch, Chaos und unglaublich aufgeblasenem Dilettantismus. Am Ende zeigen sie einen kleinen Film, in dem ein Kuss von einem zum anderen wandert. Wobei man in jeder kleinen Geste sieht, welche Figur sich hierbei wohl fühlt und welche nicht.
Das heißt: Das ganze Ensemble spielt unglaublich gut. An einigen Stellen wird es tatsächlich zu schrill – aber das kann sich von Mal zu Mal abschleifen und einpendeln. Denn abgesehen davon, dass die Spiellust groß ist, lebt der Abend eben nicht nur von den Schenkelklopferwitzen, sondern auch von sehr viel zartem, fast schon liebevollem Humor. In diesen leisen Szenen werden Abgründe ersichtlich: Als streitende Titania gegen Sven Walsers Andy/Oberon noch etwas blass, ist Edgar Eckert eine rührend still verliebte Feenkönigin, als Zettel/John Giorno in ihr Zimmer stolpert. Bereits als Esel im vollkommenen Rausch, entsetzt über die eigene Unfähigkeit zu sprechen, erkennt Urs Peter Halter als Zettel-Esel, dass er geliebt wird von der verzauberten Titania - und reagiert mit dumpfem Sex. Doch später dann mit zartem Klavierspiel durch ein vorgeschnalltes Riesengeschlechtsteil, das überraschend leise Laute hervorruft. Was beide furchtbar amüsiert. Großes, aber intimes Gekicher.
Unter der Factory-Oberfläche eröffnet sich ein Horror-Abgrund
Ebenso lustig Moritz Führmann als Puck, der mit der "Edie"-Elfe Klara Deutschmann durch die Factory tänzelt – aber dabei beiläufig eben nicht in den Spagat kommt, den die Elfe mühelos schafft. Dabei wird der eigentlich ja mächtige Puck ganz schön gescheucht vom großen Andy/Oberon. Sven Walser befiehlt ihm wie einem Hund.
Und überhaupt sind zwei Stunden ohne Pause lang die Machtverhältnisse völlig klar: Der König des Waldes befiehlt und lenkt, wohlwollend, aber nicht gnädig. Und da jeder in jeder peinlichen Pose gefilmt und fotografiert wird, öffnet sich in all den Machtspielchen und unter der Factory-Oberfläche ein Horror-Abgrund im Kaleidoskop von Kunst, Markt und Medien, für die mit ihren masochistischen und sadistischen Mechanismen ein Absturz nur vorübergehend Geltung hat.
Auch bei Shakespeare gehört zum Happy End, dass das Jüngelchen Demetrius die arme Helena nur aufgrund eines Zaubertranks liebt, der nie gelöst wird. Ein großes Drama, aus dem nur der Schlaf erlösen kann – bei Shakespeare wie bei Warhol ein Zustand, der besondere Beachtung verdient. Wenn Schlafen nicht gleich Träumen wäre.
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