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Klose: Bericht der UN-Inspektoren abwarten

Auch, wenn durch die vermuteten Gasangriffe in Syrien die "rote Linie" überschritten worden sei: Zur Vermeidung eines Blutvergießen, wünscht sich Hans-Ulrich Klose (SPD) intensive Gespräche zwischen den USA, Russland und auch China. Vermitteln könnte ein deutscher Politiker.

Hans-Ulrich Klose im Gespräch mit Christine Heuer | 31.08.2013
    Christine Heuer: Seit gestern geht es nicht mehr um die Frage, Militäraktion, ja oder nein, sondern nur noch um die Frage, wann die amerikanische Vergeltungsaktion kommt. Für US-Präsident Obama und Außenminister Kerry ist die Beweislage so klar und eindeutig, dass Nichthandeln aus ihrer Sicht schlimmer wäre als eine Strafaktion gegen das syrische Regime.

    Hans-Ulrich Klose ist am Telefon, SPD-Außenpolitiker, unter anderem Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Guten Tag, Herr Klose!

    Hans-Ulrich Klose: Guten Tag!

    Heuer: Auch Ihnen müssen wir heute Mittag die Frage stellen: Halten Sie einen Militärangriff auf Syrien in der jetzigen Situation für richtig?

    Klose: Ich würde es jedenfalls bevorzugen, wenn man den Bericht der UN-Inspektoren doch abwarten würde. Es ist zwar richtig, dass die Inspektoren nur bestätigen können oder auch nicht, dass Chemiewaffen eingesetzt worden sind, und die Schuldfrage nicht klären sollen. Trotzdem, allein schon aus optischen Gründen, wäre es richtiger, deren Bericht abzuwarten.

    Heuer: Ja eben. Ist das nicht mehr Kosmetik? Die Beweislage scheint ja doch inzwischen eindeutig zu sein, oder zweifeln Sie daran?

    Klose: Also, die Amerikaner sagen, dass nach ihren geheimdienstlichen Quellen es feststeht, wer den Chemiewaffenangriff vorgetragen hat. Trotzdem denken wir natürlich alle mit mehr oder weniger gemischten Gefühlen zurück an den Irakkrieg, als es auch Geheimdienstinformationen gab, die sich hinterher als nicht zutreffend erwiesen haben. Die Sache scheint irgendwie verfahren zu sein, weil der amerikanische Präsident, was ich gut verstehen kann, schon vor längerer Zeit eine sogenannte "rote Linie" gezeichnet hat, und er hat heute ein Glaubwürdigkeitsproblem, und ich glaube, dass es beides ist: Es ist der Wunsch, zu reagieren auf den Einsatz dieser schrecklichen Waffen, es ist aber auch der Wunsch, gegenüber der eigenen Bevölkerung und gegenüber der Welt Glaubwürdigkeit zu beweisen. Und aus der misslichen Situation gibt es offenbar keinen wirklichen Ausweg mehr.

    Heuer: Ja – hat Obama sich selbst in eine ausweglose Situation gebracht, in der er selbst jetzt keine Wahl mehr hat, aber egal, was er tut, es ist falsch?

    Klose: Ja, ich will da kein Urteil fällen, weil, es ist immer leicht, das von außen zu beurteilen. Wenn man mittendrin ist und in der Entscheidungssituation ist, sieht die Welt manchmal anders aus. Aus rein politischer Sicht von mir würde ich sagen, man sollte vielleicht auch abwarten, dass das G-20-Treffen stattfindet. Dort sind die wichtigsten Staatsführer der Welt versammelt. Und vielleicht gibt es da noch eine Möglichkeit, das Ganze auf eine politisch-diplomatische Ebene zu heben. Weil im Vordergrund der Bemühungen muss doch stehen, diesen furchtbaren Konflikt in Syrien überhaupt zu beenden, und zwar in einer Weise, die dem Land Stabilität bringt. Und danach sieht es jedenfalls nicht aus nach allem, was man hört.

    Heuer: Nun hat Barack Obama wegen einer ganz anderen Geschichte, wegen der Affäre Edward Snowden vor einigen Wochen, das eigentlich geplante Treffen mit Putin am Rande des G-20-Gipfels ja abgesagt. Kann er – weil er sonst das Gesicht verlieren würde – kann er denn überhaupt noch jetzt auf Putin zugehen zum Beispiel und sich mit ihm persönlich treffen?

    Klose: Also ich finde, bei allem Respekt und aller Sympathie für Obama, es geht nicht um das Gesicht des amerikanischen Präsidenten. Im Vordergrund muss stehen, Blutvergießen zu verhindern und die Lage in Syrien zu stabilisieren und zu verändern. Und das geht nun mal nicht ohne Russland. Und die Politik ist so, man kann nicht nur mit den Leuten sprechen, mit denen man gerne spricht, sondern man muss mit denen sprechen, die man braucht, auch wenn man sie nicht mag.

    Heuer: Also, Sie sind dafür, dass es dieses Treffen gibt. Glauben Sie daran?

    Klose: Ich wünsche es mir jedenfalls, weil ich mir einen Konflikt, einen großen Konflikt im Mittleren Osten durchaus nicht wünsche. Die Gefahr des sogenannten Flächenbrandes, von vielen an die Wand geschrieben, an die Wand gemalt, ist vielleicht nicht so groß, wie manche meinen, aber sie ist auch nicht völlig auszuschließen. Und außerdem, unterstellen wir mal, das Regime in Damaskus stürzt – wer wird das Land denn dann regieren, und welches Land?

    Heuer: Ja, aber wäre das nicht genau das Ziel diplomatischer Verhandlungen, dass …Klose: Genau das ist der Punkt, und deshalb bin ich sehr dafür, alles zu versuchen, bevor die Sache auf eine militärische Ebene geschoben wird. Und wenn die Amerikaner dabei sind, dann sind die Franzosen jedenfalls dabei. Und auch wir werden uns nicht völlig raushalten können, denn wir haben Patriots in der Türkei, und es wird möglicherweise AWACS-Einsätze geben, und da sitzen auch deutsche Besatzungen drin.

    Heuer: Das ist eine Frage, die ich Ihnen später stellen wollte, aber wo wir da gerade sind, es stimmt: Die Deutschen tun so, als könnten sie sich komplett raushalten – sie sind doch eigentlich schon mittendrin.

    Klose: Die Gefahr jedenfalls, dass wir dabei sind, ist groß. Es wird keine Situation entstehen, in der Bodentruppen eingesetzt werden, das werden die Amerikaner auch nicht machen, aber wenn Luftschläge beabsichtigt sind, dafür braucht man auch eine gewisse Steuerung. Ich weiß nicht, inwieweit da die NATO tangiert ist, aber es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass wir mittelbar beteiligt sein werden.

    Heuer: Sie halten das für einen Fehler?

    Klose: Ich glaube, dass man in einem Konflikt, bei dem keiner eine wirkliche Lösung vor Augen sieht, alles versuchen muss, um eine politische Lösung zustande zu bringen. Und ich habe den Eindruck, dass wesentlich dafür ist eine intensivere Kommunikation der Amerikaner mit Russland – so schwer das ist in den Zeiten der Präsidentschaft von Putin –, aber auch mit den Chinesen.

    Heuer: Dann frage ich aber noch mal: Mit welchem Ziel können diese Gespräche sinnvollerweise aufgenommen werden?

    Klose: Sie müssen aufgenommen werden mit dem Ziel, eine diplomatische Lösung zu finden. Das ist schwierig, weil auf der einen Seite gesagt wird, Assad soll bleiben, und auf der anderen Seite gesagt wird, er muss erst weg. Wir sehen aber, wenn ich das so sagen darf, am Beispiel Ägypten: Es gibt keine perfekten Lösungen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Destabilisierung weiter geht und am Ende Syrien so, wie wir es kannten, in Zukunft nicht mehr existiert, die ist nicht von der Hand zu weisen. Und das wäre eine Instabilität – nebenbei in unmittelbarer europäischer Nachbarschaft –, an der wir alle kein Interesse haben könnten.

    Heuer: Herr Klose, aber wie kann ein solcher Kompromiss zwischen "Assad muss bleiben" und "Assad muss weg" denn praktisch aussehen? Was muss man sich darunter konkret vorstellen?

    Klose: Ich glaube, dass auch das Regime bereit sein könnte, zu verhandeln, wenn es nicht insgesamt infrage gestellt würde. Auch Assad ist ja nicht aus der Welt, der weiß ja auch, was in anderen arabischen Ländern passiert ist. Und er kann sich nach meiner Einschätzung nicht darauf einrichten, dass er einfach weitermachen kann wie bisher. Und soweit ich das erkennen kann, gibt es auch im Regime selber den einen oder anderen oder Gruppierungen, die das durchaus so sehen.

    Heuer: Sie haben gesagt, dass es jetzt ganz wichtig ist, dass Washington und Moskau miteinander reden. Ihr Parteifreund Walter Steinmeier kritisiert heute die Bundesregierung. Sie könne keinen Einfluss mehr auf beide Staaten nehmen, sonst könnte Berlin ja gut vermitteln. Die deutsche Außenpolitik habe in den letzten Jahren schwere Fehler gemacht. War Deutschland überhaupt jemals so einflussreich in Fragen wie dieser zu Syrien jetzt, vermitteln zu können?

    Klose: Also, das ist eine Frage, die ich nicht wirklich beantworten kann. Aber es gibt schon Drähte nach Russland, die man benutzen könnte. Ich glaube, dass die Kanzlerin selber durchaus einen Gesprächskontakt hatte. Wie das mit dem Außenministerium ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Und im Übrigen sollte man in so einer Situation durchaus auch, in Anführungszeichen, "unkonventionelle Wege" versuchen.

    Heuer: Nämlich?

    Klose: Na ja, es gibt ja einzelne Personen, ich nehme mal einen Parlamentarier aus dem Bundestag, Gernot Erler, der russisch spricht, ausgebildeter Historiker ist, mit großen Erfahrungen. Man braucht Leute, die ankommen und die angehört werden. Es ist auch mal der Name des früheren Bundeskanzlers Schröder gefallen. Ich weiß es nicht, ich bin nicht nahe genug dran, aber es war früher so, wenn wir Probleme hatten mit bestimmten Ländern, wenn schwierige Verhandlungen anstünden mit der arabischen Welt in früherer Zeit, fiel allen sofort der Name "Ben Wisch", Wischnewski ein. Der war dort vernetzt. Wenn es um Osteuropa ging, nannten alle den Namen Egon Bahr. Solche Menschen braucht man in einer solchen Situation.

    Heuer: Hans-Ulrich Klose, stellvertretender Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, SPD-Außenpolitiker und Transatlantiker. Herr Klose, vielen Dank für das Gespräch!

    Klose: Nichts zu danken, Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.