Dienstag, 30. April 2024

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"Wir haben uns in dieser Hinsicht keine Vorwürfe zu machen"

Christoph Bergner, parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und früherer Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, glaubt, dass die CDU ihre Rolle in der DDR selbstbewusst aufarbeitet. Klar sei aber auch, dass die CDU-Führungsspitze eine Handlangerfunktion gehabt habe. Das sei allerdings in anderen Blockparteien auch so gewesen, betonte Bergner.

Christoph Bergner im Gespräch mit Sandra Schulz | 02.12.2008
    Sandra Schulz: 95 Prozent der Stimmen bei ihrer Wiederwahl zur Parteivorsitzenden hat Bundeskanzlerin Angela Merkel beim CDU-Parteitag erzielt, ihr bislang zweitbestes Ergebnis. Geschlossenheit, in diesen Tagen oberste Unionspflicht, obwohl es an kritischen Stimmen vor dem Parteitag nicht gemangelt hatte. Gestern stand der wirtschaftliche Kurs der Union im Mittelpunkt. Mit einer erneuten Absage an vorschnelle steuerliche Entlastungen hatte Bundeskanzlerin Merkel ihren Kurs bekräftigt. Im Mittelpunkt heute die Themen Klimaschutz und die eigene Vergangenheit.

    Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Blockparteien in der CDU sollte die Union in Stuttgart zumindest plangemäß beschäftigen. Offiziell hieß der Tagesordnungspunkt 22 "Geteilt, vereint, gemeinsam - Perspektiven für den Osten Deutschlands". - Kurz vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Christoph Bergner zu sprechen, parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und früherer Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Sein Wahlkreis für das Bundestagsmandat ist Halle. Meine erste Frage war, ob die Selbstkritik im Leitantrag weit genug gehe, in dem es ja heißt, die CDU habe in der DDR am totalitären System in der SED-Diktatur mitgewirkt?

    Christoph Bergner: In diesem Antrag, der hier vorliegt, reicht sie. Uns war es nur wichtig, dass wir bei diesem Antrag auch den Aspekt der CDU-Geschichte/Ost mit beleuchten und dass wir die Aufarbeitung und die Rolle auch in der DDR selbstbewusst vertreten. Denn ich darf darauf aufmerksam machen: 1996 sind namhafte Bürgerrechtler von Bündnis 90/Die Grünen und von der SPD in die CDU gewechselt, weil sie den Eindruck hatten, dass in der CDU das Erbe der friedlichen Revolution besser verwirklicht wird als in den Parteien, aus denen sie kamen. Das heißt, allein dieses Geschehnis macht deutlich, dass wir hier nichts unter den Teppich zu kehren brauchen, und insofern war es nötig, dass in dem Antrag auch dieser Aspekt mit erwähnt wird.

    Schulz: Warum musste überhaupt auch um diese Formulierung so lange gerungen werden?

    Bergner: Ich habe mit den Kommissionsbeauftragten, mit Frau Professor Schipanski, mit den Kollegen aus unserem Landesverband, gesprochen. Sie hatten natürlich einen Kommissionsauftrag, der lautete, den Stand der deutschen Einheit zu analysieren auch in der Genese, und da war die Aufarbeitung der eigenen Parteigeschichte, die ja an anderer Stelle auch in einschlägigen Papieren stattgefunden hat. Ich war beispielsweise in der Programmkommission 1994 mit beteiligt, wo wichtige Passagen diesem Aspekt gewidmet wurden. Es schien nicht Gegenstand des Auftrags zu sein. Aber nachdem das Papier insgesamt vorlag, was ich für ein sehr gutes Papier halte, war klar: indem wir auch über die Vergangenheit reden, müssen wir auch über die besondere Rolle der CDU, über die besondere Rolle der Blockparteien in der ehemaligen DDR reden und wie wir damit umgegangen sind. Und ich sage noch einmal: Wir können das selbstbewusst tun, denn wir haben uns in dieser Hinsicht keine Vorwürfe zu machen, wir hätten dieses Problem nicht ernst genommen, und wir sollten uns auch nicht dem Vorwurf aussetzen, dass wir gewissermaßen die Besonderheiten der Geschichte und der Biographien in der DDR nicht hinreichend berücksichtigen, denn beides ist wichtig.

    Schulz: Herr Bergner, jetzt war es ursprünglich ja vorgesehen, wie Sie es auch gerade schon angedeutet haben, nur auf die Vergangenheit der anderen Parteien zu schauen. Wie erklären Sie sich diese offensichtliche Taktik der Parteiführung, so wie sie ursprünglich angedacht war?

    Bergner: Ich würde es zunächst nicht als eine Taktik der Parteiführung bezeichnen, sondern für das Papier steht die Kommission, die dafür eingesetzt war. Diese Kommission hat - ich sage es noch einmal - ein in vielerlei Hinsicht lobenswertes Papier vorgelegt. Sie hat offenbar die Lücke bei der Erarbeitung nicht erkannt. Dazu sind Parteitage da, dazu ist ein innerparteilicher Meinungsbildungsprozess da, dass klar wird, hier müssen Änderungen, hier müssen Ergänzungen vorgenommen werden, und die Antragskommission hat ja einen entsprechenden Vorschlag auf der Grundlage eines Antrages des Kreisverbandes Halle gemacht. Ich bin eigentlich mit der Entwicklung insgesamt zufrieden. Ich bin auch zufrieden, dass sich die Kommission "Aufbau Ost - Stand der deutschen Einheit" weiterhin mit dem Thema beschäftigen will. Ich glaube, das ist mit Blick auf die beiden Jubiläumsjahre, die vor uns stehen, schon wichtig. Und ich sage noch mal: Wir haben es als Union gar nicht nötig, uns hier in irgendeiner Weise zu verstecken.

    Schulz: Herr Bergner, Sie haben das Papier gerade angesprochen. Der Kreisvorstand Halle hatte ein Papier vorgelegt, in dem die Worte "mitgewirkt" viel drastischer übersetzt werden, nämlich mit den Worten, "die Ost-CDU sei eine Mannschaft aus Einflussagenten und Handlangern der SED gewesen". Wie können Sie dann mit der aktuellen Version zufrieden sein?

    Bergner: Entschuldigung, zitieren Sie es bitte richtig. Es war von der "Führung der Ost-CDU" die Rede. Ich bemerke jetzt schon, dass das journalistische Bedürfnis nach Kontrastverschärfung manchmal zu Verkürzungen führt, die den Hallischen Antrag betreffen. Ich komme aus Halle; es ist mein Kreisvorstand gewesen, der diesen Antrag beschlossen hat. Insofern muss ich auch Wert darauf legen, dass es richtig wiedergegeben wird.

    Es wird von den Führungsspitzen gesprochen und es ist überhaupt kein Zweifel, wenn wir an Gerald Götting, wenn wir an andere denken, dass die Führungsspitze der CDU weitgehend durch das System korrumpiert war. Die spielten ja dann auch gar keine Rolle mehr in der neuen CDU und es wäre auch nie zu einer Vereinigung mit dem Demokratischen Aufbruch und mit der DSU gekommen, wenn in dieser Weise gewissermaßen diese Leute weiterhin das Sagen gehabt hätten. Also es ist richtig: Diese Formulierung ist mit Blick auf die Führung richtigerweise gesagt worden. Die Führung hat eine Handlangerfunktion gehabt. Das war in anderen Blockparteien auch so. Ich mache am Rande nur darauf aufmerksam: Auch andere Blockpartei-Mitglieder sind SPD-Mitglied geworden. Wir sollten also die Diskussion über die Blockparteien nicht alleine auf die CDU führen. Es war ein Sonderphänomen in der DDR, das zur DDR-Geschichte gehört, das sauber aufgearbeitet werden muss, aber ich möchte die Aufarbeitung nicht denen überlassen, die es mit dem Vorsatz der Diffamierung tun.

    Schulz: Ja. Herr Bergner, wir wollen aber bei Ihrer Partei bleiben. Knapp 20 Jahre ist der Mauerfall jetzt her. Kommt diese Debatte in der CDU nicht etwas spät?

    Bergner: Nein. Sie war ja früher schon da. Sie war genau genommen schon 1989 mit dem Brief aus Weimar da. Sie war - ich rede jetzt nur über die Gremien, in denen ich mitgewirkt habe - in der Programmkommission zum Grundsatzprogramm 1994 da. Sie tauchte in unterschiedlichen Parteitagsbeschlüssen der 90er Jahre wieder auf. Es war ein großes Bedürfnis - ich denke an die Zeit des Generalsekretärs Rühe, der zum Teil ja auch sehr rigide sich über die Blockparteien geäußert hat -, hier eine geistige Auseinandersetzung zu führen. Wir sollten jetzt nicht so tun - und das wäre wirklich auch unzutreffend -, als hätte darüber nicht schon vor 10 und 15 Jahren eine Diskussion stattgefunden. Sie hat stattgefunden. Nur wenn wir jetzt in ein Jubiläumsjahr gehen und wenn wir jetzt den Stand der deutschen Einheit analysieren wollen, dann dürfen wir und brauchen wir auch die Geschichte der Ost-CDU nicht auszublenden, sondern im Gegenteil: Wir haben als Union allen Grund, die Aufarbeitung dieser Geschichte selbstbewusst zu vertreten.

    Schulz: Das heißt also, die Debatten, die jetzt vor dem Parteitag geführt wurden, waren streng genommen nur Geklingel?

    Bergner: Nein. Sie waren nicht Geklingel, weil es ein Papier gab, in dem es versäumt wurde, diesen Aspekt zu erwähnen. Also es geht nicht darum, eine Diskussion nachzuholen, sondern es geht darum, die Ergebnisse bisheriger Diskussionen auch in die Beschlusspapiere Eingang finden zu lassen.

    Schulz: Christoph Bergner, parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und früherer Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, heute Mittag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.