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Zu schön, um wahr zu sein

Tom Kummers Interviews mit den Größen des Hollywood-Showgeschäfts galten in den 90er-Jahren als das Beste und Intelligenteste, was zu kriegen war. Bis auflog, dass sie gefälscht waren. Bis heute ist sich Kummer keiner Schuld bewusst.

Von Josef Schnelle | 05.05.2011
    ""Wenn dich mal dein Sohn Henry fraget: Erzähl mir mohl was du gmacht hast in den nünzinger Jahren. Was erzählst denn dann?"'
    "Dass ich en Bad Boy bin gesin."
    "A bad boy of german journalism."

    Tom Kummer hat sie alle gehabt: Sharon Stone und Quentin Tarantino, Sean Penn und Nicholas Cage. Seine Interviews mit den Größen des Hollywood-Showgeschäfts galten in den 90er-Jahren als das Beste und Intelligenteste, was zu kriegen war. Schluss mit der Langeweile der üblichen Interviews, die in sogenannten Junkets entstehen: Nacheinander werden dabei die Journalisten in ein Hotelzimmer gebeten, in denen die Stars auf manchmal sogar vorweg eingerechte Fragen die immer gleichen langweiligen Antworten geben, wenn die Schreiberlinge nicht gleich als Rudel vorgelassen werden und jeder nur eine Frage stellen kann.

    Kummer hatte anscheinend direkten Zugang zu allen und die Narrenfreiheit, intime und bitterböse Fragen zu stellen und darauf auch noch originelle bis literarisch anspruchsvolle Antworten zu erhalten. Rund 60 dieser Interviews und Reportagen sind zwischen 1993 und 1999 in diversen deutschsprachigen Medien erschienen. Bis herauskam, dass alle Gespräche frei erfunden waren. Die Bombe war geplatzt, weil in Los Angeles manch einer nicht glauben wollte, dass Kummer ausgerechnet die Interviews bekam, die jeder haben wollte.

    Ein Kollege, vielleicht auch ein Neider des überaus erfolgreichen Lebemanns hatte sich die Mühe gemacht, die Texte ins Englische zurückzuübersetzen und den Agenten der angeblich ausgefragten Stars mit Bitte um Bestätigung zuzuschicken. Die fielen aus allen Wolken, ein paar Redakteure wurden gefeuert, und die Nachricht schaffte es sogar ins Fernsehen.

    "Die Süddeutsche Zeitung sorgt sich um ihren guten Ruf. Erst kürzlich wurde klar: Das eigenständige SZ-Magazin hat in den letzten Jahren des Öfteren gefälschte Interviews gedruckt. Jetzt wurden beide Magazinchefs Poschard und Kämmerling gefeuert."

    Kummer war erledigt, eben dieser Bad Boy geworden, als den er sich am Anfang des Films bezeichnet. Er schlug sich als Paddle-Tennis-Trainer durch, das ist ein Spiel, das auf kleinen Feldern gespielt wird, mit Bällen, aus denen man ein wenig Luft gelassen hat, und das in Los Angeles sehr beliebt ist. Kummer war nämlich einem früheren Leben ein passables Jungtalent im Tennis gewesen.

    Auch als Konzeptkünstler und Experimentalfilmer machte er sich einen Namen. Die alten Freunde aus seinem Dorf halten ihn noch immer für einen Pfundskerl. Und auch Miklos Gimes konnte sich einer gewissen Faszination für den frechen Schwindler nicht entziehen. Er las Kummers Autobiografie "Blow Up" und entschloss sich, einen Film über ihn zu machen. Dabei ist er einer der Geschädigten. Er war stellvertretender Chefredakteur des Schweizer "Tages-Anzeiger-Magazins" und hatte einige Geschichten Kummers abgedruckt. Wie auch das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" in München.

    Eigentlich waren die intelligenten und tabulosen Interviews offensichtlich zu schön, um wahr zu sein, besonders in einem System wie der Hollywoodbranche, wo den Stars sogar die Gespräche mit Journalisten von festangestellten Interview-Coaches eingebläut werden. Das bisschen Realität, das er brauchte, schnorrte sich Kummer zusammen, griff Gerüchte auf und träumte sich dann die Interviews zurecht, die in Deutschland bald Kult wurden. Nehmen wir einmal die Sache mit Tarantino und dem Handy:

    "Mr. Tarantino. Haben Sie sich endlich ein Handy gekauft?"
    "Was soll der Blödsinn?"
    "Sie haben vor drei Jahren in Cannes erklärt, falls sie jemals mit einem Handy erwischt würden, dürfte die Filmkritik Sie als Hollywood-Ausverkauf abschreiben. Haben Sie jetzt ein Handy oder nicht?"
    "Njet, nichts habe ich. Nada."

    Dass Kummers Interviews so echt wirkten, hat damit zu tun, dass wir uns die weit entrückten Götter der Neuzeit, die Stars am Himmel der Filmmetropole, doch lieber vorstellen wie normale Menschen: wie Philosophen, Künstler oder wenigstens interessante Zeitgenossen. Regisseur Gimes bastelt in dieser - sagen wir einmal - mitfühlenden Dokumentation weiter am Mythos vom genialen Narren, der das Showbusiness mit seiner biederen PR-Maske unterwandern und vorführen wollte, und der - na ja - Held der Geschichte genießt das. Er ist sich keiner Schuld bewusst. Schließlich hat er nur interessanten Lesestoff geboten, weder Hitler-Tagebücher noch Doktorarbeiten gefälscht, vielmehr - übrigens mit einem beachtlichen Formulierungstalent - die Welt der Traumfabrik so dargestellt, wie alle es sich wünschen. Schließlich ist das Kino doch sowieso eine große Illusionsfabrik, die in dieser interessanten Dokumentation aus der Froschperspektive geschildert wird.