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Razzia beim DFB
"Die Tendenz ist klar: Niersbach ist nicht mehr zu halten"

Harald Stenger hält ein baldiges Ende der Zeit von Wolfgang Niersbach als DFB-Präsident für wahrscheinlich. "Es wird sehr schwer für ihn", sagte der Sportjournalist und ehemalige DFB-Pressesprecher Harald Stenger im Deutschlandfunk. Im DFB gebe es viele Leute mit Realitätssinn - von denen bislang aber niemand den Königsmörder geben wolle.

Harald Stenger im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.11.2015
    Harald Stenger, Sportjournalist und ehemaliger Pressesprecher des DFB
    Harald Stenger, Sportjournalist und ehemaliger DFB-Pressesprecher (dpa/picture alliance/Fredrik von Erichsen)
    Mit Blick auf die Kommentare in deutschen Tageszeitungen sagte Stenger: "Die Tendenz ist klar: Er ist nicht mehr zu halten." Am Dienstag hatten die Steuerbehörden den Sitz des DFB in Frankfurt am Main und die Privathäuser von DFB-Präsident Niersbach und dessen Vorgänger Theo Zwanziger durchsucht. Damit sei das eingetreten, was zu erwarten gewesen sei, sagte Stenger. "Jetzt ist die Justiz in Aktion getreten, und das ist noch nicht das Ende des Drucks auf Wolfgang Niersbach. Die Ethikkommission der FIFA wird mit Sicherheit ermitteln."
    Und da sei Niersbach besonders gefährdet, da er als einziger aus dem Organisationskomitee der WM 2006 noch ein Amt innehat. Zudem werde sich die Politik verstärkt melden. Denn die sei in Person des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily offensichtlich getäuscht worden, was die ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro an die FIFA angehe.
    "Im DFB gibt es Leute mit Realitätssinn"
    Wie in Wirtschaft und Politik versuche man beim DFB zunächst, das Problem auszusitzen oder schönzureden. Doch im DFB gebe es "viele Leute, die einen gewissen Realitätssinn haben. Es geht momentan wohl eher darum, nicht selbst der Königsmorder zu sein und den ersten Schuss abzugeben." Deswegen sei die Zurückhaltung trotz der Ereignisse um die Razzia der Steuerbehörden groß.
    Zum Umgang mit den 6,7 Millionen Euro, die das deutsche Organisationskomitee der WM 2006 an die FIFA überwies, sieht Stenger drei Varianten:
    1. Das Geld wurde tatsächlich über das katarische Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees Mohamed bin Hammam nachträglich an die vier asisatischen Mitglieder weitergeleitet, um deren Zustimmung für Deutschland zu sichern.
    2. Das Geld könnte über bin Hammam in den Wahlkampf 2002 des amtierenden FIFA-Präsidenten Sepp Blatter geflossen sein.
    3. Das Geld, das an die FIFA-Finanzkommission mit deren fragwürdigen Mitgliedern floss, war Schmiergeld für die Zahlung des "Organisationszuschusses" von 170 Millionen Euro.
    Festlegen wolle er sich nicht, sagte Stenger. "Da ist alles möglich." Die Tendenz gehe aber zur Wahlkampffinanzierung Blatters.
    Dass die WM 2006 gekauft war, sei bislang nicht bewiesen, sagte Stenger. "Aber dass es Mauscheleien im Zusammenhang mit der WM gab, ist nicht mehr zu bestreiten." Nun seien die Justizbehörden gefordert. Das sei ein Weg, der zur Hoffnung auf vollständige Klärung veranlasst.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Dutzende Ermittler der Steuerfahndung, sie holten gestern zum großen Schlag gegen den Deutschen Fußballbund aus. Eine Razzia in der DFB-Zentrale sowie in den Privathäusern von Verbandspräsident Wolfgang Niersbach, seines Vorgängers Theo Zwanziger und von Ex-Generalsekretär Horst R. Schmidt. Das sorgte gestern für einen Paukenschlag im Zuge um die Affäre um die Weltmeisterschaft 2006. Es geht um die ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro an den Weltverband Fifa im Zusammenhang mit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006.
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Harald Stenger, ehemals Sprecher beim Deutschen Fußballbund. Guten Morgen, Herr Stenger!
    Harald Stenger: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Stenger, ist Wolfgang Niersbach noch zu halten?
    Stenger: Ja wenn man heute die Zeitungen liest, muss man klar zu dem Ergebnis kommen nein. Es ist fast überall, ob das jetzt die "FAZ", die "Süddeutsche", die "Welt" ist, aber auch "Zeit Online" oder sogar die ja eher nachrichtlich arbeitende "Deutsche Presseagentur", da ist überall die Tendenz klar: Er ist nicht mehr zu halten. Es gibt die eine oder andere Stimme, die sagt, er muss wenigstens erst mal sein Amt bis zur Aufklärung ruhen lassen. Aber es wird sehr, sehr schwer für ihn, denn es ist das eingetreten, was von Anfang an zu erwarten war. Nachdem jetzt erst mal eine große Aufregung war und alle Beteiligten sich geäußert haben, ist die Justiz in Aktion getreten, und das ist noch nicht das Ende des Drucks, der auf Niersbach lastet. Es wird mit Sicherheit die Fifa-Ethikkommission ermitteln, und da ist Niersbach deshalb besonders gefährdet, weil er als einziger des vierköpfigen WM-Präsidiums im Organisationskomitee noch ein Amt hat. Und der nächste Schritt wird sicherlich auch sein, dass sich die Politik verstärkt melden wird. Die hat sich ja bisher eher dezent zurückgehalten. Und da ist ein Knackpunkt, dass die Politik in Form des damaligen Ministers Otto Schily ja offenkundig vor der WM getäuscht wurde, als diese Zahlung nicht im Aufsichtsrat des WM-OKs mitgeteilt wurde, und da saß Schily für die Bundesregierung.
    Kaess: Noch einmal zur Personalie Niersbach. Wie ist das denn bisher überhaupt zu erklären? Ein Politiker tritt zurück, wenn gegen ihn ermittelt wird. Warum nicht ein DFB-Präsident?
    Stenger: Man sagt ja gerne, im Sport oder im Fußball ist alles etwas anders und man hat seine eigenen Gesetze. Man muss aber auch fair sein und sagen, wir kennen es ja auch aus der Politik und aus der Wirtschaft, dass in solchen Situationen zunächst mal probiert wird, die Situation auszusitzen oder schönzureden. Es gibt im DFB-Präsidium bisher eine Tendenz zu sagen, lückenlose Aufklärung - was soll man auch anders sagen - und darüber hinaus zunächst mal zumindest nach außen keine Forderung nach personellen Konsequenzen. Ich denke aber, dass da doch viele Leute sind, die einen gewissen Realitätssinn haben, und es geht wohl momentan eher darum zu vermeiden, selbst der Königsmörder sein zu sollen und damit den ersten Schuss abzugeben. Deshalb ist da derzeit die Zurückhaltung auch nach dem gestrigen Tag noch immer sehr groß.
    Kaess: Das Ganze auszusitzen, sagen Sie. Theo Zwanziger, der sagt ja zu der Razzia: "Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Ich habe gar keine Sorgen in diesem Zusammenhang." Glauben Sie ihm?
    Stenger: Er ist ja in seiner Art eine besondere Persönlichkeit. Man muss zunächst einmal sagen, man darf jetzt nicht in den Fehler verfallen, ihm einen Heiligenschein zu verpassen. Aber er hat ja nie so richtig in diese Fußballszene gepasst. Er ist immer seine eigenen Wege gegangen. Er war ein politischer Präsident und hat damit auch den einen oder anderen Akzent gesetzt, der sehr, sehr positiv war für das Image des DFB. Er hat sich jetzt von diesen ganzen Fußballgrößen, von Günter Netzer und Franz Beckenbauer angefangen, gelöst, geht seinen eigenen Weg. Da ist auch so ein bisschen dabei, jeder rette sich wer kann. Aber er sieht sicherlich das eine oder andere auch als Jurist differenzierter. Nichts desto trotz: Während Niersbach als Amtsinhaber gefährdet ist im Sinne dessen, dass er sein Amt verlieren kann, ist natürlich die formaljuristische Situation so, dass auch Zwanziger akut gefährdet ist, weil er ja damals Schatzmeister des WM-OKs war und auch die Überweisung unterschrieben hat.
    Kaess: Herr Stenger, welche Theorie zu der Zahlung ist denn für Sie glaubhaft?
    Stenger: Es gibt drei Varianten. Unstrittig ist ja, dass die 6,7 Millionen Euro geflossen sind, und von daher hat ja diese Steuerfahndung auch einen ganz anderen Charakter als bei anderen Anlässen. Es geht ja hier nicht darum, etwas zu finden, sondern es geht ja nur darum, einen bereits bestätigten Fakt zu präzisieren, nämlich den Geldfluss. Es gibt drei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist die, dass das Geld tatsächlich über Mohamed Hammam nachträglich an die vier Asiaten geflossen ist, die für die WM-Vergabe nach Deutschland gestimmt haben. Die zweite Möglichkeit ist die, dass das Geld über Mohamed Bin Hammam in die Kanäle des Fifa-Präsidenten Josef Blatter geflossen ist, um dessen Wahlkampf für 2002 zu finanzieren. Und die dritte Möglichkeit ist die, dass das Geld an die Fifa-Finanzkommission gegangen ist, wo so "ehrenwerte Leute" wie Jack Warner, Julio Grondona und Mohamed Bin Hammam saßen, und das war dann einfach in der Tat Schmiergeld für den Organisationszuschuss von 170 Millionen Euro an das WM-OK.
    Kaess: Und welche von diesen Möglichkeiten ist für Sie die Wahrscheinlichste?
    Stenger: Ich bin momentan dabei zu sagen, es hat keinen Sinn, Spekulationen zu machen, und deshalb wehre ich mich, in einer Phase eines schwebenden Verfahrens, wo Aussage gegen Aussage steht, mich da festzulegen. Es ist alles möglich. Wenn man so insgesamt sich umhört, scheint die Tendenz, dass es möglicherweise in den Wahlkampf von Sepp Blatter geflossen ist, eine zu sein, die insgesamt favorisiert wird. Man muss nur jetzt unabhängig davon, was man denkt, sagen: Der Beweis, dass das Sommermärchen mit Stimmenkauf organisiert wurde, der ist bisher nicht angetreten. Aber der Beweis ist angetreten, dass es im Zusammenhang mit diesem Sommermärchen Mauschelei gab, die nicht mehr zu bestreiten ist.
    Kaess: Und, Herr Stenger, werden wir diese Beweise eventuell niemals haben?
    Stenger: Ja das wird jetzt von der Staatsanwaltschaft abhängen. Ich denke, es war der erwartete und auch berechtigte Schritt, dass jetzt die Justizbehörden in Aktion treten, denn diese DFB-interne Kommission, die ja auch noch durch Verbandelungen zwischen einem Anwalt und einem DFB-Mitarbeiter schon von Anfang an wieder infrage gestellt ist, hätte es sicherlich nicht auf Dauer nicht gebracht. Jetzt sind die Justizbehörden gefordert und damit ist ein Weg aufgezeichnet, der zumindest zur Hoffnung veranlasst, dass alles unter dem Teppich hervorgekehrt wird.
    Kaess: Zu den neuesten Enthüllungen und Ermittlungen Harald Stenger, ehemaliger Sprecher beim Deutschen Fußballbund. Wir haben gesprochen über die Affäre beim DFB. Danke schön, Herr Stenger, für dieses Gespräch heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.