Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Eine Stimme für Ratte, Maus und Co.

Methoden.- Zwischen 10 und 50 Millionen Versuchstiere sterben Jahr für Jahr weltweit. Ob diese Tode wenigstens wertvolle Erkenntnisse bringen, ist in vielen Fällen nicht eindeutig nachweisbar. In der Zeitschrift "PLoS Biology" wurde nun eine Checkliste mit Mindestanforderungen für Berichte über Tierexperimente vorgestellt.

Von Volkart Wildermuth | 05.07.2010
    Vor jedem Tierversuch steht die Genehmigung, müssen die Behörden mit umfangreichen Unterlagen überzeugt werden, dass sich das Experiment lohnt, dass es keine Alternativen gibt. Ist die Genehmigung aber erst einmal erteilt, hat der Forscher weitgehend freie Hand. Niemand kontrolliert, ob und wie er über sein Experiment berichtet. Dr. Kathryn Chapman vom britischen NC3Rs, einer Forschungseinrichtung, die sich mit Wegen zur Reduzierung von Tierversuchen beschäftigt:

    "Man sollte meinen, dass Artikel über Tierversuche sorgfältig geschrieben sind, schließlich sind die ja umstritten und dann gibt es noch das Gutachtersystem. Aber wir haben uns rund 300 Artikel genau angesehen und festgestellt, bei vielen fehlen entscheidende Informationen. Ohne diese Details lassen sich die Experimente nicht wiederholen und schlecht interpretieren."

    Es gab Artikel, in denen die Fragestellung der Experimente unklar blieb, die nicht einmal die Zahl der Versuchstiere erwähnten oder deren statistische Auswertung sich nicht nachvollziehen ließ. Solch schlecht dokumentierte Experimente liefern praktisch keinen Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft – letztlich sind die Versuchstiere also umsonst gestorben.

    Damit soll jetzt Schluss sein. Das NC3Rs hat Richtlinien mit Mindestanforderungen für Berichte über Versuche mit Tieren entwickelt. Der Großteil der 20 Empfehlungen ist eigentlich selbstverständlich, aber es gibt zum Beispiel auch den Hinweis, Experimente mit Tieren zu verblinden. Das heißt: Wer die Versuche auswertet sollte nicht wissen, welches Tier zur Versuchs- und welches zur Kontrollgruppe gehört. In der medizinischen Forschung sind solche Vorsichtsmaßnahmen gegen unbewusste Verfälschungen schon lange gang und gäbe. Jetzt sollen sie auch bei Tierversuchen eingeführt werden. Dr. Barbara Grune von der Berliner Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch begrüßt den Vorstoß aus England.

    "Wenn der Wissenschaftler sich an diese Guidelines hält, dann hat er eine ganz, ganz hohe Transparenz - was wurde in dem Tierversuch gemacht?"

    Zusätzlich würde Barbara Grune in wissenschaftlichen Artikeln noch gerne die Gründe dokumentiert sehen, warum der jeweilige Tierversuch ohne Alternativen war. Die englischen Richtlinien greifen allerdings nur bei Experimenten, die überhaupt veröffentlicht werden. Viele Tierversuche schaffen aber erst gar nicht den Sprung in die wissenschaftlichen Zeitschriften, vor allem wenn sie nicht das gewünschte Ergebnis lieferten. Wenn negative Befunde aber quasi unsichtbar bleiben, ist das veröffentlichte Bild Beispielweise eines Wirkstoffs zu positiv. Eine solche Verzerrung konnte kürzlich für neue Schlaganfallmedikamente dokumentiert werden. Wäre die vollständige Datenlage bekannt gewesen, wären manch neues Medikament vielleicht gar nicht erst in die klinische Prüfung an menschlichen Patienten gekommen.

    Auch das Problem der fehlenden negativen Berichte ist aus der medizinischen Forschung bekannt. Dort müssen Studien deshalb inzwischen in öffentlichen Registern angekündigt werden. Dadurch fällt auf, wenn von einer Studie keine Ergebnisse veröffentlicht werden. So weit ist man bei den Tierversuchen noch nicht. Derzeit wird aber die Europäische Tierschutzrichtlinie überarbeitet. In der Neufassung sollen die Behörden verpflichtet werden, die wichtigsten Rahmendaten aller genehmigten Tierversuche zu veröffentlichen.

    "In Europa kann dann geschaut werden, welche Tierversuche wurden genehmigt und mit welchem Ziel und welche Methodik wurde dort angewendet? Also das ist eine ganz hohe Transparenz."

    Allerdings in anonymisierter Form. Es kann also nicht gezielt bei den Forschern nach fehlenden Berichten nachgefragt werden. Auch die Richtlinien aus England für eine sinnvolle Dokumentation von Tierversuchen sind erst einmal unverbindlich. Kathryn Chapman will aber sanften Druck aufbauen. Wissenschaftler sind auf Geldgeber und auf die Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Arbeit angewiesen. Eigne Wissenschaftszeitschriften und die wichtigsten Forschungsförderer in Großbritannien schreiben die Einhaltung der neuen Richtlinien bereites vor.

    "Das wird weitergehen. Wir versuchen, noch mehr Zeitschriften und internationale Geldgeber zu überzeugen und auch den Forschern klarzumachen, dass diese Richtlinien ihnen die Arbeit erleichtern. Ich glaube, dass wird schnell gehen. Bald wird es ganz selbstverständlich sein, sie einzuhalten."

    Das wird die Zahl der Versuchstiere nicht unbedingt verringern, aber wenigstens dafür sorgen, dass ihr Tod tatsächlich auch einen Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft bedeutet.