Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Trumps Außenpolitik
"Eine völlig offene Rechnung"

Mit Donald Trump zieht die Unberechenbarkeit ins Weiße Haus ein, aber Christer Garrett, Professor für amerikanische Kultur und Geschichte an der Universität Leipzig, vertraut auf die Selbstregulierung der Demokratie der USA. Man solle die Antrittsrede sehr gut beobachten, sagte er im DLF.

Christer Garret im Gespräch mit Sarah Zerback | 20.01.2017
    US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump im Mai 2016 bei einer Wahlkampfveranstaltung in South Bend, Indiana; Bundeskanzlerin Angela Merkel im September 2015 bei einer Pressekonferenz in Berlin
    Heute wird Donald Trump zum 45. US-Präsidenten vereidigt. Welche Auswirkungen der neue Präsident auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen hat, ist noch offen. (picture alliance / dpa)
    Sarah Zerback: Merkels Flüchtlingspolitik ein katastrophaler Fehler. Was sie Deutschland angetan habe, geisteskrank. Und die Deutschen, die bereuen sicher, dass sie Regierungschefin sei. - Donald Trump ist noch nicht mal im Amt und hat doch schon viel dafür getan, um es sich mit der Kanzlerin zu verscherzen. Die gibt sich bislang betont gelassen, auch wenn klar ist, so innig wie mit Barack Obama wird es zwischen ihnen beiden wohl nicht werden. Ansonsten gibt es weiterhin viele Unbekannte in der transatlantischen Gleichung, auf die sich das politische Berlin nun vorbereiten muss.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den US-Amerikaner Christer Garrett. Er ist Professor für amerikanische Kultur und Geschichte an der Uni Leipzig. Guten Tag!
    Christer Garrett: Guten Tag!
    Zwischen Sorge und Optimismus
    Zerback: Wir haben gerade den noch aktuellen US-Botschafter Emerson in Berlin gehört. Wir haben Friedrich Merz gehört, den Vorsitzenden der "Atlantik-Brücke". Da heißt es, weniger Panik, mehr Gelassenheit. Wie gelassen sind Sie?
    Garrett: Ich würde mich in diese Reihe einordnen. Kollege Emerson, Botschafter Emerson, bis vor 20 Minuten noch Botschafter, sieht das mit Weitblick, und auch Herr Merz. Ich habe meine Sorgen natürlich, weil wie im Bericht ganz klar war: Wir wissen nicht, welcher politische Stil eigentlich ins Weiße Haus einzieht heute. Und wir haben unterschiedliche Akzente, unterschiedliche Erfahrungswerte und wir wissen nicht, wie die kombiniert werden, um tatsächlich Politik zu gestalten. Das ist eine völlig offene Rechnung. Ich habe durchaus Sorgen und ich denke, wir alle haben Sorgen und auch in der Republikanischen Partei gibt es Sorgen.
    "Ein Stück politisches Theater"
    Zerback: Wissen wir denn da heute mehr? Es wird ja heute auch noch eine Rede erwartet. Nachdem der Amtseid geschworen ist, wird Donald Trump sich auch noch in einer etwa 20minütigen Rede äußern. Erwarten Sie da den Masterplan und wie könnte der aussehen?
    Garrett: Masterplan nicht, aber einen bestimmten Maßstab schon. Diese Rede, Antrittsrede, wenn man so will, ist durchaus sehr wichtig. Darin hören wir auf alle Fälle Schwerpunkte und wir hören auch den Ton für die Politik für diese Administration, wo man sich Mühe gibt, diesen Ton glaubwürdig zu praktizieren. Diesen Text sollten wir alle lesen und wir sollten auch die Performance anschauen. Das ist ein Stück politisches Theater. Ich sage das nicht zynisch, ich meine das wirklich im tieferen Sinne. Es ist eine Vorstellung dieser Administration und da müssen wir abwarten, was wir da erleben. Was man ein bisschen dazu hört, sind durchaus mildere Töne inklusivere Wortauswahl. Das alles werden wir heute erleben.
    Zerback: Und eine Vorstellung, sagen Sie, Theater. Ist das jetzt neu, oder ist das etwas, wo Sie auch schon vor vier Jahren gesagt hätten, auf die Performance, da müssen wir achten, da kann man viel rauslesen?
    Garrett: Natürlich! Sei es John F. Kennedy, sei es Martin Luther King, sei es Ronald Reagan, sei es Bill Clinton, sei es Barack Obama, sei es Donald Trump. Ich sage, Performance und Theater im Sinne von auf der großen Bühne der amerikanischen Politik, auf dieser Weltbühne, sei es vor dem Brandenburger Tor oder sei es vor dem Weißen Haus, sieht man und erlebt man wirklich eine Persönlichkeit, einen Inhalt, eine Art, mit Bürgern zu reden, die man absolut ernst nehmen sollte und wo man etwas wirklich Inhaltreicheres ablesen kann, und das werden wir auch heute haben.
    "Berechenbarkeit ist Kern deutscher Außenpolitik"
    Zerback: Wir haben gerade in dem Bericht ja auch noch mal den CDU-Politiker Norbert Röttgen gehört, der zu Beginn der Woche bekräftigt hat, Trump sei der größte Unsicherheitsfaktor. Er sei sehr unberechenbar. Man könnte jetzt im Prinzip nicht sagen, was kommt. Das haben Sie gerade ja auch noch mal bestätigt. Ist das was Neues? Gab es eine vergleichbare Unsicherheit jemals in der amerikanischen Geschichte?
    Garrett: Rein formelle Unberechenbarkeit hat zum Teil wirklich umgesetzt ganz konkret Richard Nixon mit Henry Kissinger, Henry Kissinger als Deutsch-Amerikaner aus Fürth in Bayern und Student der europäischen Geschichte hat diese Strategie wortwörtlich dann handwerklich umgesetzt. Was wir natürlich sehen, denke ich, für deutsch-amerikanische Beziehungen, müssen wir im Klaren sein. Seit dem Zweiten Weltkrieg ging die ganze deutsche Außenpolitik darauf, Unberechenbarkeit wirklich zu vermeiden. Transparenz und Verlässlichkeit und Berechenbarkeit überzeugend rüberzubringen. Das ist Kern der deutschen Außenpolitik. Jetzt haben wir einen amerikanischen Präsidenten, der sagt, der meint, Unberechenbarkeit hat seine Vorteile. Das kann selbstverständlicherweise in der deutschen Sicherheitspolitik oder insgesamt in Deutschland und in Europa und natürlich auch in den USA viele Sorgen bereiten.
    Unsichere Zukunft der NATO
    Zerback: Was glauben Sie, inwieweit kann sich das Verhältnis verändern, wenn Sie Sorgen haben, dass es zu einer großen Veränderung kommt?
    Garrett: Das müssen wir im Inhalt sehen. Nehmen wir die NATO zum Beispiel oder nehmen wir die Handelspolitik oder nehmen wir Russland. Wir haben sehr große Themen. Oder China! Wir werden auf alle Fälle viele Turbolenzen erleben und Komplexitäten auch. Ich meine das im folgenden Sinne: Was Trump zur NATO sagt, sagen auch viele Deutsche und viele Europäer, die NATO sei obsolet. Er ist nicht alleine mit dieser Meinung. Er sagt es aber sehr scharf und sehr direkt und ich denke, das sorgt durchaus für Unruhe in Berlin, weil Trump spricht etwas an, was eigentlich politisch in Deutschland ein Minenfeld ist, gerade unter den Wählern in Deutschland, und das in einer Wahlsaison. Und Trump steht nicht alleine da. Obamas ehemaliger Verteidigungsminister, Robert Gates, hat 2011 gesagt, entweder Europa und Deutschland viel mehr in die NATO investieren, oder die Allianz sei irgendwann nicht mehr überlebensfähig.
    Zerback: Kann das vielleicht sogar was Positives haben, dass durch den Druck über den Atlantik jetzt auch diesseits des Atlantiks näher zusammengerückt wird und eine Strategie überlegt wird, wie man die NATO ins nächste Jahrhundert führen kann.
    Garrett: Möglicherweise, je nachdem wie man zur NATO steht. Sagen wir so: Trump hat überhaupt keine Lust darauf - und das sieht man wirklich im Inhalt seiner Aussagen -, höfliche fast Floskeln weiterzupflegen. Ganz im Gegenteil! Er ist stolz darauf, dass er eine Destructionspolitik voranbringt. Das tut er gerne und das ist eine gefährliche Strategie, aber wie Sie sagen, das könnte möglicherweise auch eine neue Konsolidierung des Konsenses für eine bestimmte transatlantische Politik voranbringen. Noch einmal: Völlig offene Rechnung!
    Checks and Balances
    Zerback: Klar, wir müssen nicht zuletzt den heutigen Tag abwarten. - Jetzt haben wir einige gelassene, einige optimistische und einige warnende Stimmen gehört aus Deutschland. Aus den USA hören wir den künftigen Vizepräsidenten Mike Pence, der sich sehr optimistisch geäußert hat, dass das Team Trump ab Tag eins, ab morgen also direkt damit loslegen kann, Amerika wieder "great" zu machen, wieder großartig. Sind Sie da auch so optimistisch, dass das Team wirklich sofort wird mit seiner Arbeit beginnen können?
    Garrett: Ob es mit der Arbeit beginnen kann, ja. Wenn ich optimistisch sein soll, ob er diese Agenda umsetzen wird, überhaupt nicht. Das steht völlig offen. Die Macht in den USA ist grundsätzlich geteilt. Wir sehen das innerhalb seiner eigenen Partei, die Republikaner. Viele haben sich schon gemeldet aus dem Senat, aus dem Haus der Repräsentanten. Die müssen zuerst die Mehrheiten im Kongress in der eigenen Partei konsolidieren. Das ist eine offene Rechnung. Und wir sehen, ich sehe das eigentlich positiv: Dieses Weiße Haus wird unterschiedliche Stimmen haben. Der Verteidigungsminister, General Mattis, hat zum Beispiel bei seiner Aussage vor dem Senat gesagt, die NATO sei unentbehrlich für die amerikanischen Sicherheitsinteressen. Das ist ganz im Widerspruch zum Präsidenten zum Beispiel. Und die EU ist sehr, sehr wichtig für Amerika. Also wir sehen da einen Präsidenten, der unterschiedliche widersprüchliche Stimmen ins Weiße Haus bringt. Das sagt mir was Positives im Sinne, er hat ausreichend Selbstbewusstsein, wirklich eine sehr robuste Debatte auszuhalten und auszutragen.
    Zerback: Können wir da wirklich darauf setzen, dass dieses System der Checks and Balances, wie es so schön heißt, funktioniert, dieses Austarieren, die gegenseitige Kontrolle der US-Machtzentren?
    Garrett: Das erwarte ich auf alle Fälle. Vergessen Sie nicht: Vor acht Jahren, als Barack Obama ins Weiße Haus einzog, gab es natürlich ein großes Momentum für ihn. Aber innerhalb kürzerer Zeit hatte er in seiner eigenen Partei zu kämpfen, im Kongress, im Land, für die große Politik. Ich erwarte Ähnliches für Donald Trump und ich sehe das insgesamt als positiv im Sinne von, die amerikanische Demokratie hat große Herausforderungen, wenn nicht Probleme, aber ist lebendig und wettbewerbsbereit und fähig, und das bedeutet für Trump, er muss überzeugen, kann nichts forcieren.
    Zerback: Das sind optimistische Worte von dem US-Amerikaner Christer Garrett, Professor für amerikanische Kultur und Geschichte an der Uni Leipzig. Besten Dank für Ihre Zeit heute.
    Garrett: Sehr, sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.