Dienstag, 30. April 2024

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Bernini

Vielleicht würde es reichen, wenn ein Jahrhundert einen einzigen großen Künstler hervorbrächte. Vor allem, wenn dieser Künstler den Stil einer ganzen Epoche prägt, weit über die Grenzen seines Geburtslandes hinaus. Das italienische siebzehnte Jahrhundert kannte Gianlorenzo Bernini, laut Charles Avery das letzte Universalgenie. Zum 400. Geburtstag des Künstlers ist jetzt die deutsche Ausgabe von Averys Monographie erschienen. Es ist ein enzyklopädisches Werk, das praktisch das gesamte Oeuvre des vielseitigen Barockgenies beschreibt und dabei den aktuellsten Stand der Forschung berücksichtigt. Das macht es keineswegs zu einem trockenen wissenschaftlichen Werk, denn Avery geht ebenso auf historisch-soziale Hintergründe ein, läßt Berninis ersten Biographen Baldinucci als Zeitzeugen ausführlich zu Wort kommen und entwirft ein Porträt des Menschen Bernini. Er war der Inbegriff römischer Barockkunst; mit der Verurteilung dieses Stils seit dem Klassizismus sank daher auch Berninis Stern. Der Kunsthistoriker Rudolf Wittkower würdigte ihn 1955 mit einer großen Monographie und gab ihn so der Kunstgeschichte zurück.

Beatrice von Bormann | 07.12.1998
    Als Bildhauer, Architekt und Maler gleichermaßen begabt, gefördert und geehrt von Päpsten und Königen wie kaum ein Künstler vor ihm, drückte Bernini Rom seinen Stempel auf. In der ewigen Stadt gibt es kaum eine Kirche, kaum einen bedeutenden Platz ohne einen Brunnen, ein Bauwerk oder eine Skulptur von Bernini. Zu seinen Lebzeiten muß seine Kunst noch allgegenwärtiger gewesen sein, denn das Multitalent entwarf auch Feuerwerke, Festdekorationen und Bühnenbilder, schrieb Theaterstücke, inszenierte sie und komponierte die Musik dazu.

    Gianlorenzo Bernini wurde am 7. Dezember 1598 in Neapel geboren. Als er acht Jahre alt war, zog die Familie nach Rom: Vater Pietro Bernini, ein mittelmäßiger Bildhauer aus Florenz, erhielt den Auftrag zu einem Marmorrelief für die Kirche Santa Maria Maggiore. Gianlorenzo wuchs praktisch in der Bildhauerwerkstatt des Vaters auf und arbeitete mit zehn Jahren schon richtig mit, wodurch der Borghese-Papst Paul V. früh auf ihn aufmerksam wurde. Er beauftragte Kardinal Maffeo Barberini, die Ausbildung des Knaben zu überwachen. Der erste große Auftraggeber des jungen Künstlers war der Neffe des Papstes, Kardinal Scipione Borghese.

    Wer in diesem Jahr die neu eröffnete Galleria Borghese besuchte, gewann einen unübertrefflichen Eindruck der frühen Arbeiten Berninis an dem Ort, für den sie erdacht waren. Für Scipione Borghese schuf der junge Künstler seine berühmt gewordenen mythologischen Gruppen Apollo und Daphne, Pluto und Proserpina und die Skulptur des David mit seinen eigenen Gesichtszügen. Die beiden ersten Gruppen finden ihr Echo in Darstellungen der reich dekorierten Galleria und ihrer berühmten Gemäldesammlung, obwohl sie leider nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort stehen. Bernini griff Themen auf, die nur in der Malerei darstellbar schienen und schuf so eine Art "malerische Skulptur". Ein Beispiel ist die Gruppe von Apollo und Daphne. Die aus Ovids Metamorphosen bekannte Geschichte erzählt von der Flucht der Nymphe Daphne vor dem sie begehrenden Gott Apollo. Auf ihr Flehen hin verwandelte ihr Vater, Flußgott Peneios, sie in einen Lorbeerbaum. Bernini wählte, schon ganz Barockkünstler, den Moment der Verwandlung selbst, den Höhepunkt der Handlung. Hier gelang ihm das Kunststück, in Marmor den Übergang von Fleisch in Baumrinde und Blätter sowie plötzlich erstarrte Bewegung darzustellen.

    Zwei wichtige Merkmale der Barockskulptur sind in diesen frühen Werken bereits enthalten: Im Gegensatz zur manieristischen Plastik besitzen sie eine Hauptansicht. Außerdem überschreiten Berninis Figuren mit ihrer dramatischen Gestik und ausgreifenden Bewegung ihren eigentlichen Raum, ragen über den Sockel hinaus in den Raum des Betrachters hinein, der so in das Geschehen mit einbezogen wird.

    Bernini erlebte 7 Päpste, von denen nur einer, Innozenz X., ihm nicht gewogen war. 1623 wurde Maffeo Barberini Papst Urban VIII. Zu diesem Zeitpunkt war Bernini bereits Ritter im Christus-Orden und Präsident der Standesorganisation der Künstler. 1629 trat er außerdem die Nachfolge Madernos als Architekt von St. Peter an und wurde Architekt der Acqua Vergine, der Wasserversorgung Roms, für die er in den nachfolgenden Jahrzehnten viele Brunnen entwarf. So war der knapp Dreißigjährige zum einflußreichsten Künstler Italiens avanciert. Es folgten Jahre von fieberhafter Aktivität, in der Bernini einige seiner wichtigsten Werke schuf und als Architekt von St. Peter sein organisatorisches Talent unter Beweis stellte. Bernini prägte den Eindruck der Kirche, wie wir sie heute kennen: Er entwarf den gewaltigen Baldacchino mit seinen spiralförmigen Bronzesäulen, dekorierte das Hauptschiff neu, schuf verschiedene Grabmäler, die Sakramentskapelle und die Cathedra Petri in der Hauptapsis. Sie dient der Erinnerung an den karolingischen Thron, der hier gestanden hatte und den man für den Thron Petrus’ hielt. Die Cathedra ist ein Höhepunkt des römischen Barock, und zusammen mit den anderen Werken Berninis in St. Peter macht sie diese Kirche zur reinsten Verkörperung der Gegenreformation.

    Berninis Kunst ist im wahrsten Sinne des Wortes grenzüberschreitend, und es ist oft schwer zu sagen, was die Werke überhaupt sind: skulpturale Bauwerke? Malerische Skulpturen? Bernini liebte theatralische Inszenierungen und versuchte immer wieder, Skulptur, Architektur und Plastik zu einer möglichst schönen Einheit zu verbinden und kunstvoll auszuleuchten. So entstanden Gesamtkunstwerke wie die Cornaro-Kapelle in der Kirche Santa Maria della Vittoria, die Bernini in den vierziger Jahren im Auftrag des Kardinals Federico Cornaro gestaltete. Er meißelte eine Skulptur der Heiligen Theresa von Avila mit einem Engel und plazierte die Gruppe auf einer ovalen Bühne. Sie wird indirekt von oben beleuchtet, so daß ein Sonnenstrahl die Gruppe manchmal plötzlich in mystisches Licht taucht. An die Wände rechts und links setzte Bernini Balkone: Sie enthalten Büsten von Mitgliedern der Cornaro-Familie, die dort wie in Theaterlogen sitzen und sich angeregt über das Wunder zu unterhalten scheinen. Das Deckenfresko der Kapelle zeigt die himmlische Taube in der Glorie, als Zeichen der Vereinigung mit Gott, wie die Heilige Theresa sie erlebte. Sie beschrieb, wie ein Engel sie mit einem Pfeil durchbohrte und sie, in den Worten der Heiligen, "ganz entflammt mit einer großen Liebe zu Gott" zurückließ. Berninis Heilige Theresa scheint sich gleichzeitig aufzubäumen und hinzusinken in himmlisch-sinnlicher Verzückung, den Kopf mit den halb geschlossenen Augen zurückgelegt. Neben ihr steht der überaus anmutige Engel. Mit einer Hand faßt er sie leicht am Gewand, in der anderen hält er den Pfeil, der auf sie zielt. Der Kontrast der Gewänder ist ein Bravourstück Berninis, der berühmt war für sein Können auf diesem Gebiet. Während das wild bewegte Ornat der Ordensgründerin eindeutig aus schwerem Stoff besteht, scheint der Engel in Flammen gehüllt zu sein.

    Unter dem Chigi-Papst Alexander VII. war Bernini vor allem als Architekt tätig: er baute mehrere Kirchen und gestaltete den Petersplatz neu mit imposanten Säulenkolonnaden. Zugleich entstanden einige seiner besten Porträtbüsten, nicht zuletzt vom Papst selbst. Nachdem Bernini früher bereits den englischen König Karl I. porträtiert hatte, folgte 1665 der französische Ludwig XIV. Diese Büsten zeigen, im Sinne zeitgenössischer Auffassungen, nicht nur Ähnlichkeit mit dem Dargestellten, sondern drücken zugleich eine Idee aus, in diesem Fall die des absoluten Herrschers mit stolz erhobenem Haupt und wehendem Umhang.

    Diese und andere Werke sind ausführlich in Charles Averys Bernini-Buch beschrieben, das sich mehr zum Nachschlagen als zum Durchlesen eignet. Averys Detailarbeit lohnt: Er deckt neue Inspirationsquellen Berninis auf und entschlüsselt die Bedeutung der Werke über ihren Entstehungsprozeß. Erstmalig sind hier zahlreiche der erhaltenen bozzetti abgebildet und beschrieben, der kleinen Tonmodelle, die Bernini zur Vorbereitung seiner Skulpturen schuf. Gerade die Fülle der Informationen aber kann den Leser überfordern, zumal eine Zeittafel am Ende des Buches fehlt und Avery nicht chronologisch, sondern zum Teil thematisch, zum Teil nach Auftraggebern gliedert. Die Monographie ist reich illustriert mit Fotografien von David Finn. Die im allgemeinen guten Aufnahmen zeigen die Hauptansicht und Detailaufnahmen der Werke; Rundumansichten fehlen. Viele der Schwarzweißaufnahmen sind etwas grau geraten, und die Farbabbildungen besonders der Kircheninnenräume sind einfach schlecht, was am Druck liegen mag. Allerdings können Abbildungen von Skulpturen ohnehin nie mehr als eine Erinnerungsstütze sein. Erfreulich ist, daß viele der Vorbilder Berninis abgebildet sind, eine willkommene Gedankenstütze. Was nach der Lektüre deutlich wird, ist, daß die Skulpturen des Barockmeisters nach fast 400 Jahren nichts von ihrer Lebendigkeit und Aktualität eingebüßt haben. Es ist heute unvorstellbar, daß Bernini lange Zeit praktisch vergessen worden war. Avery weist darauf hin, daß Berninis Kunstwerke den heutigen Betrachter gerade durch ihre Modernität ansprechen, beziehen sie diesen doch körperlich und gefühlsmäßig in ihre Aura mit ein. Berninis langjähriger Förderer, Urban VIII., sagte ihm eines Tages: "Sie sind für Rom gemacht und Rom für Sie." Dem kann man hinzufügen: Rom lohnt einen Besuch allein wegen der unvergeßlichen Kunstwerke dieses Meisters des Barock.