Auslands-Oscar

"Das ist ein tolles Angebot für die Academy"

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Der Oscar ist der berühmteste Film-Preis der Welt (Bild: Nicolas Armer / dpa) © Nicolas Armer/dpa
Moderation: Susanne Burg · 29.08.2015
Giulio Ricciarellis "Im Labyrinth des Schweigens" geht für Deutschland ins Rennen um den Auslands-Oscar. Alfred Holighaus von der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft hält das für eine gute Wahl - hatte aber auch noch einen anderen Film auf dem Zettel.
Susanne Burg: Seit vorgestern ist bekannt, welchen Film Deutschland ins Rennen um den Auslands-Oscar schickt. Giulio Ricciarellis "Im Labyrinth des Schweigens", das Drama um die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse Ende der 50er-Jahre. Ein Film, der auch viel aussagt über die Verdrängung des Holocaust im Nachkriegsdeutschland. Für uns Anlass für ein Gespräch über diese Hollywood-Trophäen, die weltweit Augen leuchten lassen. Im Studio ist Alfred Holighaus, lange Jahre Geschäftsführer der Deutschen Filmakademie, seit März 2015 Präsident der SPIO, der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, ein Mann also, der aus verschiedenen Blickwinkeln auf diesen begehrten Preis blicken kann. Guten Tag, Herr Holighaus!
Alfred Holighaus: Schönen guten Tag!
Burg: Ist "Im Labyrinth des Schweigens" eine gute Wahl?
Holighaus: Es ist eine gute Wahl, weil es ein Film ist, der sich mit einem Thema beschäftigt, was Menschen jenseits von Deutschland an Deutschland interessiert, an unserer Geschichte interessiert. Es ist auch ein Thema, was uns interessiert, es ist ein Thema, was im Kino dieses Jahr viel zu wenig Leute interessiert hat, leider. Aber ein Film, der sich ja auch dadurch, dass er schon allein international finanziert wurde und dadurch, dass er sich international gut verkauft hatte, schon ein Zeichen dafür gibt, dass er auch eine internationale Aufmerksamkeit hat. Und die kann natürlich beim Oscar gebündelt werden. Ich nehme an, das waren ganz starke Kriterien. Wir haben die Begründung auch gehört. Es geht natürlich auch darum, dass es dem Regisseur gelungen ist, mit dieser tollen Besetzung, Alexander Fehling, Gerd Voss, ein spannendes Drama zu erzählen.
Burg: Sie haben eben gesagt, ein Thema, das leider nicht so viele Leute interessiert hat. 240.000 Besucher hatte der Film in Deutschland, er lief auf vielen internationalen Festivals. 240.000, ist das nicht gut genug?
Holighaus: Das ist gut. Das wollte ich damit nicht sagen. Ich finde nur, dass so ein Film eine Million Besucher verdient hat, und in dieser Relation habe ich das gesehen. 240.000 heißt, dieser Film ist wahrgenommen worden, er ist nicht untergegangen. Er ist stark beachtet worden, er ist auch stark diskutiert worden in Deutschland. Ich hätte mir trotzdem noch mehr Aufmerksamkeit, auch für das Thema, nicht nur für den Film, auch für das Thema im Kino gewünscht.
Burg: Es waren ja sieben weitere Filme in der Vorauswahl, auch dabei "Victoria" von Sebastian Schipper, auch der ein Film, der international gut gelaufen ist, der bei den deutschen Filmpreisen abgeräumt hat. Mal vom formalen Problem abgesehen, dass für die Kategorie nicht englischsprachig vielleicht dann doch zu viel Englisch gesprochen wird – wäre das auch ein guter Vertreter mit Chancen gewesen, oder doch zu jung und zu wild?
Holighaus: Nein, es wäre die andere Möglichkeit, glaube ich auch, gewesen, neben anderen. Es ist ja so, da gibt es ja keine Vorauswahl in dem Sinne, sondern da melden ja Produzenten ihre Filme an, von denen sie denken, sie seien eben für dieses Rennen geeignet. Da sind ja auch die meisten vernünftig und wissen, was sie machen können und was nicht. Deswegen sind es auch nie 20 Filme oder so was, die sich dort bewerben. Das ist eine überschaubare Zahl, das sind meistens auch Filme, bei denen das einleuchtet, weshalb sie das wollen. "Victoria" ist auch einer, wo es einleuchtet, genau aus den Gründen, die Sie genannt haben. Es sind zwei Dinge: Das ist ein Film, der Deutschland – ich finde ja immer wichtig bei solchen Filmen, dass sie dann wirklich etwas über das Land, wo sie herkommen, auch genuin erzählen. Das macht "Victoria" auf jeden Fall, in dem Fall nicht nur über das Land, sondern über die Stadt speziell, Berlin. Er ist formal total aufregend, durch diese formale Besonderheit wird er aber auch emotional spannend.
Burg: Eben durch diese eine Kamera ...
Holighaus: Genau. Dass das alles in einer Einstellung funktioniert und dass dadurch natürlich eine unglaubliche Spannung und Konzentration entsteht und natürlich auch eine Riesenherausforderung für Kamera und Schauspieler. Und das ist natürlich was Besonderes. Der Film ist auf der Berlinale wahrgenommen worden, dadurch schon international. Er hat diesen Preisregen bekommen beim Deutschen Filmpreis. Er ist international verkauft auch und wird auch einen Start in Amerika haben. Vielleicht geht er ja fürs normale Oscar-Rennen noch rein. Das kann ja durchaus sein. Umgekehrt sind die Regularien ja sehr offen. Es kann ja jeder Film mitmachen, der in Amerika startet. Aber wenn sie sagen, bester nicht englischsprachiger Film, möchten sie halt, dass möglichst Englisch gesprochen wird. Was in einer Geschichte, wo die Leute aus aller Herren Länder aufeinandertreffen, wirklich ein bisschen schwierig ist, da verständigt man sich naturgemäß in Englisch. Aber das ist jetzt so, die Regularien haben nein gesagt, und das ist keine qualitative Entscheidung gewesen, und das hat auch dem Gremium sozusagen die Arbeit da ein bisschen abgenommen. Es wäre, glaube ich, nach meiner Prognose um diese beiden Filme gegangen, und das hätte natürlich eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung gegeben.
Wenn wir an letztes Jahr denken, da hat man es eben auch mal anders versucht, dann hat man eben nicht gesagt, wir nehmen einen Film, der die deutsche Geschichte behandelt, was wirklich immer noch für gerade die beiden Länder, aus denen diejenigen kommen, die die Vorauswahl und die Nominierungen machen für den Oscar, nämlich Großbritannien und USA, ein spannendes Thema ist, sondern wir nehmen einen Film, der für was ganz anderes steht. Im letzten Jahr war es ja Dominik Grafs "Die geliebten Schwestern", also ein Film, der natürlich auch genuin eine deutsche Geschichte erzählt hat aus der deutschen Klassik, oder es ja noch die Vormärz-Zeit. Also das ist schon auch wichtig, mal so zu denken, und deswegen wäre "Victoria" auch interessant gewesen. Aber der hatte keine Chance.
Burg: Aber wenn man sich dann die Geschichte anguckt der deutschen Auslands-Oscars, die es bisher gab, 1979 "Die Blechtrommel" von Volker Schlöndorff, 2002 Caroline Link mit "Nirgendwo in Afrika", 2007 "Das Leben der Anderen", da lässt sich ja doch schon so ein gewisses Muster erkennen von deutscher Geschichte, also in irgendeiner Weise.
Holighaus: In irgendeiner Weise. Dazwischen gab es ja noch auch zumindest eine Nominierung für "Untergang", es gab eine Nominierung für "Baader-Meinhof-Komplex", jüngste deutsche Geschichte auch noch mal anders. Dann gibt es natürlich die deutsch-deutsche Geschichte. Also das, was sozusagen die speziellen politischen Brüche in Deutschland ausmacht, das hat natürlich immer interessiert. Ich habe das mal irgendwann so ketzerisch gesagt, man interessiert sich hauptsächlich für die deutschen Untergänge. Das ist vielleicht so, aber vielleicht ändert sich das auch gerade, weil man interessiert sich natürlich auch für das Neue.
Burg: Kann man jetzt natürlich schwer sagen, aber insofern wäre vielleicht ein Film wie "Victoria" doch auch mal interessant gewesen zu versuchen, weil der eben für das neue Deutschland steht, für das Aufbruchs-Berlin, für das Lebendige, Internationale.
Holighaus: Das wäre total interessant gewesen. Das wäre auch den Versuch wert gewesen. Aber das würde jetzt sozusagen denjenigen, der es am Ende geworden ist, auch so ein bisschen in Misskredit bringen. Das möchte ich auf keinen Fall, weil ich finde, das ist ein tolles Angebot für die Academy.
Burg: In dieser Woche sind ja auch die Preisträger der Studenten-Oscars bekanntgegeben worden, die Mitte September dann verliehen werden. Da gab es großen Jubel, weil bekannt wurde, dass drei deutschsprachige Studentenabschlussfilme Gold, Silber und Bronze unter sich aufteilen. Drei auf einmal ist viel, aber die Tendenz ist es schon in den letzten Jahren gewesen, deutsche Filmhochschulabsolventen bekommen beinahe regelmäßig Studenten-Oscars. Warum sind wir da so beinahe planmäßig erfolgreich? Werden hier andere Kriterien angelegt als bei den großen Oscars?
Holighaus: Ich kenne jetzt diejenigen, die darüber entscheiden, nicht. Deswegen weiß ich nicht, ob sie andere Kriterien haben. Ich glaube, man kann aber so viel sagen: Die Phase, in der sich die Filmemacher befinden, wenn sie Studentenfilme machen, ist eine ganz besondere. Es ist vor allen Dingen, wenn sie es richtig machen und wenn sie es also nach meiner Auffassung richtig machen, ist das die Phase, wo sie was ausprobieren, wo sie sich was trauen. Inhaltlich, künstlerisch, formal. Alles Dinge, die man natürlich sein ganzes Leben als Filmemacher nie verlassen sollte, aber was einem natürlich im Laufe der Zeit schwerer gemacht wird und man sich vielleicht auch verändert. Und da haben irgendwie die deutschen Filmhochschulen – wobei einer ist ja ein Deutscher, der an der Wiener Filmhochschule, die auch sehr, sehr gut ist, die Filmakademie in Wien – einen Film gemacht hat, da haben die die Chance einfach genutzt.
Und das ist total interessant, wenn man sich diese drei Filme, die die Preise bekommen werden, anschaut, dann sieht man nicht nur, dass die was können, sondern jeder kann auch noch was anderes. Also, es sind drei völlig unterschiedlich angelegte Filme, es handelt sich um einen wirklichen Genrefilm bei "Erledigung einer Sache", es handelt sich um ein Politdrama bei "Fidelity", und es handelt sich um ein großes emotionales Familiendrama, was auch ein Gesellschaftsdrama ist, bei dem Film "Alles wird gut". Und daran sieht man einfach die Bandbreite. Das ist ein gutes Zeichen auch für die Nachwuchsarbeit in Deutschland. Und deswegen scheint es da so gut zu funktionieren.
Das Witzige ist ja, dass wir sozusagen eine Analogie bei den großen Oscars haben. Während die deutschen Studenten regelmäßig gewinnen, sind es bei den großen Oscars, Auslands-Oscars, meistens die Italiener. Die haben bisher die meisten Foreign Language Oscars bekommen. Da gibt es offenbar auch eine Affinität für das italienische Kino, was man ja auch verstehen kann. Und man muss ja auch jetzt sagen, wenn man sich die jungen italienischen Filmemacher anguckt, die paar, die Filme machen können im Augenblick, die ja dann auch regelmäßig entdeckt werden zum Beispiel in Cannes, dann ist da schon eine Power dahinter, die beeindruckend ist.
Burg: Aber dann bleibt ja doch die Frage, was passiert zwischen diesen Studentenabschlussfilmen und dann den Filmen, die eingereicht werden für große Festivals in Cannes oder Venedig. Müsste da der deutsche Film nicht doch so ein bisschen diesen Weg weitergehen und innovativer sein und sich mehr trauen?
Holighaus: Jetzt ärgere ich mich fast über mich selbst, dass ich diesen Zusammenhang hergestellt habe, weil ich finde, so monokausal kann man das nicht sehen. Ich weiß nicht, ob das nicht zum Teil auch jetzt – ich habe fast das Gefühl, das ist so eine self-fulfilling prophecy im Bezug auf den deutschen Film bei internationalen Festivals. Gut, da ist der jetzt Wurm drin, und wie wir den da raus kriegen, weiß ich auch nicht.
Burg: Ja, wobei ja auch bei den Festivals immer Toronto außer Acht gelassen wird, wo nämlich regelmäßig deutsche Filme laufen, wie zum Beispiel "Im Labyrinth des Schweigens", der da letztes Jahr Weltpremiere hatte.
Holighaus: Da handelt es sich um eine Weltpremiere, da haben Sie völlig recht, da kann man ...
Burg: Florian Gallenberger hat dieses Jahr Weltpremiere, "Victoria" läuft gut im Ausland. Meine Frage wäre, wie bewerten Sie denn die deutsche Filmlandschaft der letzten Jahre in internationaler Hinsicht?
Holighaus: Ja, das ist tatsächlich so, man kann es nicht über einen Kamm scheren. Man hat tatsächlich eine sehr spezielle Sicht auf das Weltkino und dann auch auf das deutsche Kino in Cannes. Das ist auch schwer durchschaubar. Man hat eine größere Offenheit, glaube ich, in Toronto. Da spielt es aber immer auch eine Rolle, viel stärker beispielsweise als bei einem Festival wie Cannes oder Berlin, Venedig, was könnte der Film für den amerikanischen Markt auch bedeuten. Das ist ein Festival, was sehr, sehr stark auch danach guckt, welche Filme könnten die Leute, die hierhin kommen, oder auch das potenzielle Kinopublikum dann interessieren. Das ist eine andere Sicht als zum Beispiel Cannes hat. Insofern ist es schwierig, diese Festivals miteinander zu vergleichen. Das Schöne ist, dass es diese Verschiedenheit der Festivals gibt, weil dadurch gibt es die Möglichkeit eben auch, woanders noch aufzuschlagen. Und ich habe jetzt keine Statistik im Kopf, aber ich glaube, wenn Sie mal nachschauen, werden Sie feststellen, dass regelmäßig deutsche Filme auf internationalen Festivals eingeladen werden. Und da sind sehr, sehr unterschiedliche Sachen natürlich, und wir reden immer von dem Konzert der drei großen, Berlin, Venedig und Cannes. Da sieht es halt immer nur in Berlin gut aus, das stimmt.
Burg: Wie es nun dem deutschen Oscar-Kandidaten weiter ergehen wird, das werden wir spätestens im nächsten Jahr wissen, wenn die Nominierungen für den besten fremdsprachigen Oscar bekanntgegeben werden, dann der Auslands-Oscar auch vergeben wird. Ich habe über den deutschen Kandidaten "Im Labyrinth des Schweigens" gesprochen mit Alfred Holighaus, dem Präsidenten der SPIO, der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Holighaus: Danke!
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