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"Sculptures trouvées"
Arbeiten von Herman de Vries im Barlachhaus Hamburg

Das Werk des Installationskünstlers Herman de Vries dreht sich vor allem um die Natur. Eine eindrucksvolle Zusammenstellung mehrerer Installationen war 2015 im Niederländischen Pavillon auf der Biennale von Venedig zu sehen. Jetzt sind einige Werke des 84-Jährigen in Hamburg zu sehen.

Von Carsten Probst | 23.01.2016
    Ein Teil der Ausstellung "to be all ways to be" des niederländischen Künstlers Herman de Vries ist im holländischen Pavillon am 10.05.2015 in Venedig (Italien) auf der Biennale zu sehen.
    Ein Werk des Installationskünstlers Herman de Vries 2015 im Niederländischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. (dpa / picture alliance / Felix Hörhager)
    777 Kieselsteinchen aus aller Welt, hinter Glas geometrisch angeordnet in kleinen, viereckigen Holzrahmen. 135 Feldsteine nach ihrer natürlichen Rotfärbung als großes rechteckiges Feld am Boden angeordnet. 21 Äste unterschiedlicher Baumarten als gleichmäßig beschnittenes, viereckiges Tableau an der Wand oder auch 36 von Wildschweinen benagte Baumstümpfe aus dem Steigerwald in Franken, an dessen Fuß Herman de Vries seit mehr als 45 Jahren lebt.
    De Vries, der aus dem niederländischen Alkmaar stammt und als Gärtner und Landarbeiter begann, hat in seinen Schriften immer wieder die Totalität der Natur betont, der der Mensch eigentlich nichts hinzufügen kann. Folgerichtig beschwört auch sein eigenes Werk zunächst die Demut vor der natürlichen Individualität aller Dinge, wie er sagt. Obwohl dies an sich bereits eine sehr deutliche, wiedererkennbare künstlerische Handschrift ist, tritt de Vries seinem Selbstverständnis nach eher hinter der Wirkung dieser Formen zurück. Zumindest bemüht er sich darum, alles so aussehen zu lassen, als wirke alles gleichsam durch sich selbst und nur in Komplizenschaft mit der Wahrnehmung des Betrachters.
    Dieser betont gelassene und bescheidene Kunstbegriff richtet sich gegen jede Heroisierung des einsames Künstlergenies und ist typisch für die Lehre der ZERO-Schule, der sich Herman der Vries am Ende der Fünfzigerjahre angeschlossen hat, nachdem er sich vom Informel angewandt hatte. Aus dieser Zeit, seinem Übertritt von der Wissenschaft zur Kunst, stammt die früheste Arbeit dieser Ausstellung, eine Reihe von "Collages trouvées", wie er sie nennt – abgerissene Fetzen von Plakaten oder Kartons oder zusammengebackenes Laub, das gerahmt und hinter Glas zum bearbeitungsfreien Bildwerk wird, zum puren Zufall, der die Wahrnehmung lenken soll. Eine neue Autonomie der Kunst, eine neue Reinheit des Lichts und der Farben wollte ZERO verkörpern, angedeutet schon im Namen der Bewegung. Als unbelastet, quasi unschuldig galten ihnen die Phänomene der Natur, von Licht und Schatten, Farbe und Form, spielerischer Kombination von Materialien.
    Materialität und Immaterialität von Kunst war immer ein Leitthema bei Zero. De Vries übersetzt es auf seine ihm eigene lakonische Art mit einem sich meditativ wiederholenden Spiel aus Formen des scheinbar Formlosen, von Gegensätzen, das mit einfachsten Naturdingen auskommt und dadurch den Betrachter herausfordert. Das metaphysisch angehauchte Pathos dieser Bewegung teilt auch de Vries, aber auf eine stille, meditative Art. Darin unterscheidet er sich in seiner Haltung maßgeblich auch vom virilen Verkündigungsdrang eines Günter Uecker, mit dem de Vries zwar eine gewisse universalistische Spiritualität teilt. Doch alle Arten von Botschaft oder Ausdruckskunst, zu denen manche einstige ZERO-Kollegen im Verlauf ihrer weiteren Karrieren neigten, sind ihm wesensfremd.
    Direkte künstlerischer Eingriffe in die vorgegebene Ausstellungsarchitektur des Hamburger Barlach-Hauses vermeidet de Vries natürlich auch, macht aber eine interessante Ausnahme. Auf einem lang gezogenen Wandgesims, das eigentlich Kleinskulpturen vorbehalten ist, hat er natürliche und architektonische Fundstücke hinterlegt. Aber der Zusammenklang der überdehnten, in sich geschlossenen Holz- und Steinskulpturen von Barlach und der Objekte von Herman de Vries, den Kurator Karsten Müller sucht, funktioniert nur oberflächlich. Barlachs ebenfalls spirituell inspirierte Motive könnte man vielleicht demnach als Frühform, als expressive Vorläuferhaltung zum Werk von de Vries interpretieren. Tatsächlich aber haben diese beiden Künstler in ihrer Haltung wenig miteinander zu tun. Anders ist es mit dem Barlach-Haus selbst. Werner Kallmorgens Architektur vom Beginn der Sechzigerjahre, jener Zeit, in der de Vries seine heutige künstlerische Sprache entwickelte, öffnet sich mit ihrer strengen Steinästhetik und mit ihren großen Fenstern für die Natur des Hamburger Jenisch-Parks, seinen knorzigen Bäumen und weiten Wiesen und Ausblicken zum Elbeufer, die wie eine riesige Naturbühne wirken.