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"Sankt Martin hätte sich dagegen gewehrt, instrumentalisiert zu werden"

Judith Rosen hat eine Biografie über Martin von Tours geschrieben, besser bekannt als Sankt Martin. Sind die Feiern, die in seinem Namen am 11. November in Kindergärten und Schulen stattfinden, eine Zumutung für Muslime? "Martin hat etwas Religionsverbindendes", sagte die Historikerin im Deutschlandfunk.

Judith Rosen im Gespräch mit Christiane Florin | 11.11.2016
    Christiane Florin: Stimmt es, dass ein römischer Elitesoldat seinen Mantel mit einem Bettler teilte?
    Judith Rosen: So überliefert uns das jedenfalls Sulpicius Severus - das ist ein zeitgenössischer Biograph - und eigentlich braucht man keinen Anlass zu haben, daran zu zweifeln. Sulpicius hatte natürlich eine bestimmte Absicht, er wollte zeigen, dass der Soldat Martin schon in dieser Zeit christlich gelebt hat, also ein barmherziger Mensch gewesen ist. Und da ist natürlich die Mantelteilung grade recht gekommen.
    Florin: Was hat Sie bei den Recherchen zu Ihrer Martinsbiographie am meisten überrascht?
    Rosen: Die Konsequenz seines Lebens. Im Grunde genommen kann man sogar sagen, dass er Brüche in seiner Biographie hat. Er war zuerst Soldat, das ist ihm ja auch von Zeitgenossen vorgeworfen worden, er hat sich dann zum Christentum durchgerungen, bekehrt, und hat dann sozusagen seinem Leben eine ganz neue Wendung gegeben. Und die Kombination zwischen Barmherzigkeit und Glaubenszeugnis und Glaubensstärke ist schon sehr beeindruckend.
    Florin: Wo weicht Ihr Forschungsobjekt Martin von Tours am stärksten vom Sankt Martin Ihrer Kindheit ab?
    Rosen: Er war Missionsbischof, das war mir als Kind nicht so präsent. Ich habe ihn natürlich eben durch seine barmherzige Tat kennengelernt, aber dass er als Bischof dann ausgeschwärmt ist in das pagane Hinterland und sozusagen den Dorfbewohnern das Evangelium verkündet hat und da auch einiges auf sich genommen hat - er ist auch in Gefahr geraten, er ist auch zwischendurch mal verprügelt worden - das war mir alles nicht so präsent und auch die Tatsache, dass er Kirchenpolitik betrieben hat.
    "Ein untypischer Bischof, ein Kirchenkritiker"
    Florin: Inwiefern?
    Rosen: Es gab einen großen Streit, den Priscillianistenstreit. Da ging es um einen Bischof von Spanien, der von seinen Mitbischöfen angeklagt worden war wegen seiner besonderen Lehre. Er war Häretiker, er hat einen rigoristischen, asketischen Ansatz vertreten und die Bischöfe haben dann die staatliche Macht in dieses Verfahren einbezogen. Es ist dann zu einer Anklage am Trierer Kaiserhof gekommen und Martin hat sich am Kaiserhof für Priscillian eingesetzt. Er hat die Lehre verurteilt, aber nicht den Menschen und man hat ihm damals dann zugesagt, dass Priscillian und seinen Gefährten nichts geschehen wird und Martin hat sich drauf verlassen, hat den Kaiserhof verlassen und in dieser Zeit ist es dann zu einer Anklage gekommen mit einem Todesurteil als Folge.
    Martin hat also versucht, sich für seinen Mitbruder einzusetzen, er hat dann auch kirchenpolitische Strippen gezogen, ist aber letztendlich gescheitert und diese Erfahrung hat ihn eigentlich dazu bewegt, dann für die nächsten Jahre nie wieder mehr an einer Synode teilzunehmen, also er war schwer enttäuscht von seinen Mitbrüdern und er hat die starke Verknüpfung zwischen Kirche und Staat sehr kritisch gesehen, er hat nämlich gemeint, dass kircheninterne Probleme auch kirchenintern entschieden werden sollten.
    Florin: Also ein staatskritischer Bischof, aber auch ein kirchenkritischer Bischof.
    Rosen: Sehr. Er hat ja auch große Anfeindungen erlebt seitens des Episkopats, er war ein untypischer Bischof, allein von seinem Äußeren her, er hat ja seinen mönchischen Lebensstil beibehalten und ist dann auch so aufgetreten, er war ständig in einen schwarzen Mantel gehüllt - also seine Kleidung war sicher nicht top gepflegt, er hatte ungewaschene Haare, zottelige Haare und viele seiner Mitbischöfe kamen aus aristokratischem Haus und hatten eine ganz andere Vorstellung von Repräsentation und er war sozusagen die fleischgewordene Herausforderung für manche seiner Mitbrüder.
    Was der Zentralrat der Muslime dazu sagt
    Florin: Dieser Martin trug nur wenige Jahre Uniform. Sie haben es schon gesagt, er war Mönch, er war Bischof, zu sehen bei den Martinszügen ist aber immer der Sankt Martin mit Rüstung und Helm auf dem Pferd. Stört das die Historikerin?
    Rosen: Sagen wir mal so: Ich habe mich daran gewöhnt. Das sind natürlich Bilder, die mir auch liebgeworden sind. Zum Soldat Martin, also ich plädiere dafür, dass er seine reguläre Dienstzeit abgeleistet hat. Sulpicius Severus tut sich damit sehr schwer und er hat also alles daran gesetzt, Martins Dienstzeit zu verkürzen auf wenige Jahre. Das ist meines Erachtens nicht richtig. Martin hat seine reguläre Dienstzeit von zwanzig Jahren durchgehalten und ist dann ausgeschieden, um seinem neuen Weg zu folgen.
    Florin: Martin ist ein Heiliger. Ist Sankt Martin nur etwas für Katholiken?
    Rosen: Nein, ich denke, dass Martin sogar etwas Religionsverbindendes hat. Er ist der barmherzige Heilige, das ist einer seiner hervorragenden Tugenden gewesen und Barmherzigkeit verbindet im Grunde genommen Menschen guten Willens. Darauf kann man sich einigen und denken Sie vielleicht auch an den christlich-jüdischen Gott, dessen Wesenszug eben auch die Barmherzigkeit ist und auch der islamische Gott trägt die Züge der Barmherzigkeit.
    Florin: Meinen Sie Ihr Buch, also die Biographie des Heiligen Martin, wird auch von Muslimen gelesen? Treten Sie gezielt an Muslime heran und sagen, ich hätte da etwas, was interessant sein könnte im christlich muslimischen Dialog?
    Rosen: Ich würde mich sehr freuen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Diskussion, die vor zwei Jahren verstärkt aufgebrochen ist, ob man denn den Heiligen Martin samt seines Festes überhaupt Kindern anderen Glaubens zumuten kann. Da ist eine große Diskussion entstanden und es ist sehr erfreulich, dass sich da auch der Zentralrat der Muslime zu Wort gemeldet hat und in Gestalt seines Vorsitzenden gesagt hat, dass Martin durchaus ein Vorbild für alle sein kann, eben auch für Muslime.
    "Wenn man nur ein Sonne-Mond-und-Sterne-Fest anbietet, entseelt man das Fest"
    Florin: Aber ganz so leicht ist es in der Praxis nicht: Es gibt Kindergärten, Schulen, die sagen, wir haben so viele Kinder anderen Glaubens oder Kinder, die nicht gläubig sind, bei uns heißt das nicht mehr Martinsfest, sondern Sonne-Mond-und-Sterne-Fest oder Laternenfest.
    Rosen: Ja, aber ich finde, das ist zu kurz gegriffen, weil die christliche Tradition gerade des Martinsfests ist sehr einladend und ich habe auch gehört, dass es sogar muslimische Väter gegeben haben soll, die am Martinszug als Martin teilgenommen haben, weil es eben keinen anderen gegeben hat. Ich denke auch, dieser vorauseilender Gehorsam oder diese vorauseilende Fürsorge greift einfach zu kurz. Das ist auch ein bisschen Hybris, die dann hinter dieser Haltung steckt, dass wir entscheiden wollen, was für andere belastend ist. Ich denke, das können die Eltern anderen Glaubens durchaus für sich selbst entscheiden. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dieses Bild hat sich mir tief eingeprägt: der Mann, der den Mantel teilt und an einen Bettler weitergibt und ich denke es wird vielen anderen auch so gehen, dass man gerade durch eine Gestalt, die zwar tot ist, aber die noch so lebendig ist, dass man gerade an dieser Gestalt Nächstenliebe, Barmherzigkeit oder, wir würden heute vielleicht eher sagen, Solidarität lernen kann. Wenn man nur ein Sonne-Mond-und-Sterne-Fest anbietet, entseelt man das Fest, es gibt keine Antworten. Der Heilige Martin gibt Antworten, wie man sein Leben gestalten kann, eigentlich gibt er Antworten, wie man eine bessere Welt gestalten kann. Welche Antworten man sich dann raussucht, dahinter steht ja kein Zwang.
    Florin: Nun kämpfen auch Gruppen wie Pegida oder andere sogenannte Islamskeptiker, Islamkritiker für das "christliche Abendland" und in diesem Rahmen auch dafür, dass das Martinsfest erhalten bleibt und eben nicht Laternenfest oder Sonne-Mond-und-Sterne-Fest heißt. Jetzt mal hypothetisch, was würde der Heilige Martin dazu sagen?
    Rosen: Der Heilige Martin hat sich dagegen gewehrt instrumentalisiert zu werden. Vor allen Dingen politisch instrumentalisiert zu werden. Er würde sich heute bestimmt auch nicht instrumentalisieren lassen zu politischen Zwecken.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Judith Rosen: Martin von Tours. Der barmherzige Heilige. Zabern-Verlag. 280 Seiten, 24,95 Euro.