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Flüchtlingskrise als Bewährungsprobe
Der muslimische Bürgermeister von Rotterdam

Durch die Flüchtlingswelle bekommen rechtsnationale Kräfte in Europa Aufwind. In den Niederlanden sind die Rechtspopulisten um Geert Wilders zur beliebtesten Partei aufgestiegen. Wie angespannt das Klima ist, bekommt Ahmed Aboutaleb, ein gläubiger Muslim und Bürgermeister von Rotterdam, hautnah zu spüren.

Von Kerstin Schweighöfer | 19.10.2015
    Mayor Ahmed Aboutaleb of Rotterdam arrives prior to the meeting with the Association of Dutch Municipalities (VNG) and the Association of Provincial Authorities (IPO) on the reception of refugees, at the Binnenhof, The Hague, The Netherlands, 09 October 2015. The Netherlands is to build housing for 10,000 refugees in the coming months following a decision made at a crisis government meeting on the issue. People with recognized refugee status are to be transferred from emergency accommodation to housing in regional provinces as soon as possible, said Dijkhoff, who is responsible for responding to questions on migration
    Ahmed Aboutaleb, gläubiger Moslem und Bürgermeister der niederländischen Stadt Rotterdam, hat durch die Flüchtlingswelle eine Menge Konflikte auszutragen. (picture alliance / dpa / Bart Maat)
    So grimmig ist die Stimmung selten zuvor gewesen. Oberbürgermeister Ahmed Aboutaleb hatte alle Hände voll zu tun, um die Gemüter zu beschwichtigen und zu Wort zu kommen:
    "In Rotterdam hören wir uns an, was der andere zu sagen hat – auch wenn wir anderer Meinung sind."
    Stellte er Ende letzter Woche klar, als gut 500 Bürger auf einem Informationsabend der Gemeinde gegen den Bau eines Asylbewerberheims protestierten.
    Mehr als 600 syrische Flüchtlinge sollen dort untergebracht werden – ausgerechnet in einem Viertel mit hoher Armut und Arbeitslosigkeit. Das könne man den Bewohnern dort nicht zumuten, hatten die Rechtspopulisten im Rathaus geschimpft – und zu den Protesten aufgerufen. Die Spannungen wurden so groß, dass eine Sondereinheit der Polizei anrücken musste.
    Der Flüchtlingsstrom könnte für Bürgermeister Aboutaleb zu seiner bislang größten Bewährungsprobe werden. 2009 hat er sein Amt angetreten. Als erster muslimischer Oberbürgermeister einer europäischen Großstadt. Und sich einen Namen als Brückenbauer gemacht. Immer wieder ist es dem inzwischen 54-Jährigen gelungen, die Lage zu entspannen und die Sicherheit und Stabilität (dieser) seiner Stadt, in der mehr als 174 Nationalitäten zusammen leben, zu wahren. Mit unorthodoxen Methoden.
    Mitte letzter Woche noch brachte er kurdische und türkische Organisationen in Rotterdam dazu, ein Abkommen zu schließen, in dem beide Seiten versprechen, es nicht wie in der Türkei zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen zu lassen.
    "Auslöser waren ein paar Zwischenfälle", erklärt er."Scheiben wurden eingeschlagen, es kam zu Brandstiftungen und Demonstrationen."
    Wenn es sein muss, kann sich der Brückenbauer allerdings auch zum strengen und kompromisslosen Bürgervater wandeln. So wie nach den Anschlägen in Paris auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" Anfang des Jahres. Im niederländischen Fernsehen richtete sich Aboutaleb explizit und ungewohnt emotional an gewaltbereite junge Muslime:
    "Wenn ihr unsere Freiheit nicht akzeptieren könnt, wenn ihr unschuldige Journalisten töten wollt, dann habt ihr hier nichts zu suchen, dann packt eure Koffer. Haut ab!"
    Ein Bilderbuchimmigrant
    Wer sich dem IS-Terror anschließe, so Aboutaleb, der verrate seine Eltern:
    "Eltern, die sich krumm gearbeitet haben, um euch in diesem Land eine bessere Zukunft zu bieten! Verrat ist das, nichts anderes als Verrat!"
    Als Sohn aus einer armen Gastarbeiterfamilie weiß Aboutaleb, wovon er spricht. Erst mit 16 kam er in die Niederlande. Er wuchs in einem kleinen Dorf im marokkanischen Rifgebirge auf. Seinen eigenen Vater hat er kaum gesehen, eben weil dieser so hart arbeiten musste, um die Familie zu ernähren.
    In den Niederlanden ergriff er alle Chancen, die sich ihm boten – und wurde zum Bilderbuchimmigranten. Vor dem Bürgermeisteramt war Aboutaleb Staatssekretär im Sozialministerium, davor Beigeordneter der Stadt Amsterdam und ganz am Anfang seiner beruflichen Laufbahn Journalist.
    Seine ehemaligen Kollegen ermahnt er regelmäßig, präzise zu sein und Worte richtig zu gebrauchen. Weil auch sie Verantwortung trügen, betonte er vor ein paar Tagen bei einem Treffen mit Auslandskorrespondenten im Rathaus:
    "Es gibt 68 Definitionen für Dschihad. Wer eine Glasscherbe oder einen Nagel aufhebt, bevor ein anderer mit dem Rad drüber fährt, ist ein Dschihadist! Ich bin ein Dschihadist - tagaus, tagein. Weil ich mich für diese Stadt einsetze!"
    Dschihadisten, Fundamentalisten, Salafisten oder Radikale – viele seien sich über die Bedeutung dieser Worte nicht bewusst oder nicht ausreichend informiert:
    "Und was ist verkehrt daran, ein Fundamentalist zu sein? Die Salafisten zum Beispiel sind Muslime, die so leben wollen wie Mohammed vor 1400 Jahren. Wenn jemand 24 Stunden am Tag beten will – so lass' ihn doch! Es geht nicht um Fundamentalisten, es geht auch nicht um Radikale. Ich mag Radikale. Ich mag alle Menschen auf der Welt mit radikalen Ideen. Weil sie für gesellschaftliche Veränderungen sorgen. Nein, worum es geht, sind nicht Menschen, die radikal sind. Sondern Leute, die versuchen, Gewalt zu rechtfertigen, und die auch bereit sind, Gewalt anzuwenden."