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"Niebel hat das Richtige getan"

Der außenpolitische Sprecher der FDP, Rainer Stinner, hat das israelische Einreiseverbot für Bundesentwicklungsminister Niebel in den Gaza-Streifen kritisiert. Wenn Deutschland Hilfsprojekte in den Palästinensergebieten unterstütze, dann müsse man sich diese auch ansehen dürfen, sagte er.

21.06.2010
    Silvia Engels: Am Wochenende sorgten FDP-Politiker für eine Menge Gesprächsstoff. Zum einen meldete sich Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel mit herber Kritik zu Wort. Er nannte die israelische Entscheidung, ihm die Einreise in den Gaza-Streifen zu verweigern, einen schweren außenpolitischen Fehler. Und etwas anders, aber ganz grundsätzlich wurde das FDP-Vorstandsmitglied Pokorny. Er sagte gegenüber dem Magazin "Spiegel", Guido Westerwelle habe seine drei Ämter, Parteivorsitzender, Minister und Vizekanzler, noch nicht unter einen Hut bekommen. Obendrauf kam der hessische FDP-Landeschef Hahn, der bezweifelte, ob Westerwelle den Ämtern Parteichef und Außenminister gleichzeitig gerecht werden können. – Am Telefon begrüße ich nun den außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Stinner. Guten Morgen!

    Rainer Stinner: Guten Morgen!

    Engels: Sollte ein Außenminister nur dieses eine Amt bekleiden?

    Stinner: Also wenn das eine Bedingung wäre, dann müsste Frau Merkel zum Beispiel auch ihren Parteivorsitz aufgeben, oder Herr Seehofer. Ich glaube, das ist eine wirklich künstlich hochgezogene Diskussion. Ich bin mir völlig bewusst, dass die FDP und auch der Parteivorsitzende in der Kritik steht. Das ist gar keine Frage, das hört man täglich. Aber dass an den Ämtern aufzuhängen, halte ich für wirklich herbeigeredet. Wie gesagt, es ist Übung in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten, dass Inhaber hoher Ämter wie Minister, oder auch Bundeskanzler gleichzeitig Parteiämter ausüben. Das ist nicht das Problem.

    Engels: Aber auch frühere FDP-Außenminister waren nicht zugleich auch noch Parteichef. Wäre es also ehrenrührig, dieser Tradition zu folgen?

    Stinner: Also der Herr Genscher war sehr, sehr lange Parteichef.

    Engels: Aber er hat es abgegeben irgendwann.

    Stinner: Und auch Herr Kinkel war Parteichef, auch das darf ich Ihnen sagen. Er hat es auch abgegeben. Also von daher reden wir jetzt ja übers Jahr 2010. Ich vermag nicht zu sagen, wie es im Jahr 2015, 2020 aussieht, aber wir reden ja über die aktuelle Diskussion. Wie gesagt: andere Politiker, die Kanzlerin angefangen, haben auch Parteiämter und Regierungsämter. Das ist zu vereinbaren.

    Engels: Wie erklären Sie sich dennoch diese doch sehr massive Kritik innerhalb der liberalen Reihen an Guido Westerwelle?

    Stinner: Nun, selbstverständlich sind wir in einer schwierigen Situation. Wenn Sie sich anschauen das Wahlergebnis vom September letzten Jahres und die Umfragen von heute, dann ist völlig klar, dass natürlich viele in der FDP aufgeschreckt sind und dass sie nach Erklärungen suchen und dass sie versuchen, jetzt durch Vorschläge irgendetwas zu bewegen. Wie gesagt, das ist eine Diskussion. Wir müssen uns mit der Situation kritisch auseinandersetzen, ganz klar eine Frage, aber ich glaube es aufzuhängen an den beiden Ämtern, halte ich für eine Verengung.

    Engels: Sind Sie also inhaltlich rundweg zufrieden mit dem Auftreten Guido Westerwelles in allen seinen Ämtern?

    Stinner: Das ist davon völlig unabhängig. Ich glaube – und das haben wir ja intern diskutiert -, dass man über die Fragestellung, inwieweit es der FDP insgesamt gelungen ist, vom Oppositionsmodus in Regierungsmodus umzusteigen, sicherlich nachdenken kann. Aber wie gesagt: das aufzuhängen an einer Person, an Guido Westerwelle, und es aufzuhängen an den Ämtern, halte ich für eine Verengung. Wir müssen grundsätzlich über unsere Situation nachdenken, das tun wir sehr intensiv, wie Sie täglich verfolgen können. Aber wie gesagt: die Aufhängung an Westerwelle ist eine Verengung.

    Engels: Herr Stinner, dann kommen wir auf das andere Thema dieses Wochenendes rund um die liberale Außenpolitik zu sprechen. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel hat gestern in ungewöhnlich deutlicher Form kritisiert, dass ihm die israelischen Behörden die Einreise in den Gaza-Streifen verweigert haben. Dies sei ein schwerer außenpolitischer Fehler, so wird Niebel in der "Leipziger Volkszeitung" zitiert. Teilen Sie seine Kritik?

    Stinner: Ich teile seine Kritik völlig. Wir haben ja eine interessante Situation, dass wir in der letzten Woche eine Diskussion im Deutschen Bundestag hatten zu diesem Gaza-Vorfall und wir dort eine große Einigkeit festgestellt haben zwischen den vier Parteien, FDP, CDU/CSU, SPD und Grüne, und daraufhin haben wir vier außenpolitischen Sprecher in den letzten Tagen einen gemeinsamen Antrag, einen fraktionsübergreifenden Antrag gebastelt, der sehr deutlich die Kernforderungen enthält, nämlich die Blockade des Gaza-Streifens aufzugeben und die Dinge zu untersuchen, und Niebel hat das Richtige getan. Wir Deutschen unterstützen Palästina, wir unterstützen die palästinensischen Gebiete mit Entwicklungshilfeprojekten, und es ist Aufgabe des Ministers, sich diese Projekte vor Ort anzuschauen. Niebel hat richtig gehandelt und seine Kritik war richtig. Interessant ist halt eben, dass Dirk Niebel – und das wissen Insider – einer der härtesten, nachhaltigsten langjährigen Unterstützer Israels ist, der auf Israel nie hat was kommen lassen, und Dirk Niebel ist jetzt auch mal der Hut übergegangen und das halte ich für verständlich. Israel muss verstehen, dass die Freunde Israels nicht ständig verprellt werden dürfen. Ich bin erschreckt, habe das auch im Bundestag letzte Woche gesagt, nachdem Deutschland ja das israelfreundlichste Land Europas mit Abstand ist und auch völlig zurecht und verständlich, mit welcher Geschwindigkeit es Israel gelingt, im Wochenrhythmus Freunde zu verlieren. Das ist gefährlich für Israel und das ist für die jetzige israelische Regierung, und ich teile die Kritik von Dirk Niebel.

    Engels: Hätte man denn in der Wortwahl und auch in der Art, das in die Öffentlichkeit zu tragen, diplomatischer sein müssen? Ähnliche Kritik kommt ja vom Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Stephan Kramer sagt, es sei sehr ungeschickt, wie Niebel das Ganze sich habe zuspitzen lassen.

    Stinner: Der Herr Niebel ist nicht reingelassen worden und hat das deutlich kritisiert. Er hat weder unflätige Worte gebraucht, er hat nur deutlich seine politische Meinung zum Ausdruck gebracht. Das ist seine Aufgabe als Minister. Die Bevölkerung erwartet klare Worte von Ministern und Niebel tut das, und dem ist nichts hinzuzufügen.

    Engels: Auf der anderen Seite sind ja jetzt die Gespräche, die Herr Niebel heute in Israel dann zu führen hat, bestimmt nicht leichter geworden dadurch, oder?

    Stinner: Sie sind nicht leichter geworden, aber wir haben ja wirklich die gute Situation, dass es der jetzigen Bundesregierung – und daran hat Außenminister Westerwelle erheblichen Anteil gehabt – gelungen ist, so intensive Beziehungen zur jetzigen israelischen Regierung zu etablieren, wie es vorher nie der Fall gewesen ist. Wir hatten Regierungskonsultationen, wir hatten Minister in Berlin, wir hatten Minister vor einiger Zeit in Jerusalem. Das heißt, wir haben ein enges Fundament, und gerade als enger Freund Israels, als Unterstützer Israels ist es auch unsere Pflicht, unseren Freunden in Israel deutlich zu sagen, in welche Richtung die Entwicklung nach unserer Meinung gehen sollte. Wir unterstützen Israel, aber nicht ohne Konditionen, und deshalb werden die Gespräche schwieriger, aber so ist das nun mal im Leben. Das politische Leben eines Ministers ist nicht immer einfach.

    Engels: Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Ich bedanke mich für das Gespräch.