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Massenhaft Papier

90.000 neue Bücher erscheinen jährlich auf dem deutschen Markt. Der Papierverbrauch steigt stetig an. Darum lohnt sich ein kritischer Blick ins Regal beim nächsten Literaturkauf, denn im Buch steckt mehr als nur der Inhalt.

Von Britta Fecke | 14.03.2011
    "Am Anfang war das Wort" - und irgendwann war das Papier, und das war gut so, denn so blieb das Wort erhalten. Und niemand musste dafür länger mit Keilen auf Steinplatten schlagen. Von der Steintafel der Sumerer bis zum Dünndruck hat sich viel getan und der Worte sind immer mehr geworden, allerdings hat nicht alles gedachte, gesprochene und geschriebene so ein inhaltliches Gewicht wie das Gilgamesch Epos und da stellt sich die Frage: Muss denn vom Kriminalroman bis zum Steuerratgeber jeder Gedanke auf hochwertigem Papier gedruckt werden - auf frischen Fasern, Energie aufwendig produziert und Wasser belastend gebleicht? Muss da ständig ein neuer Baum dran glauben, wo es doch auch Altpapier gibt? Das Ausmaß unserer Papierwut schildert die Umweltschutzorganisation WWF:

    "Der Papierverbrauch ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland kontinuierlich gewachsen. Für Frischfasern müssen Wälder genutzt werden, egal ob in Deutschland oder weltweit - in einigen Fällen gehen sie unwiederbringlich verloren wie zum Beispiel die wertvollen Regenwälder in Indonesien. 110.000 Hektar Regenwald wurden in Indonesien 2005 von der Papierindustrie zerstört."

    Allerdings wird nicht jeder geschlagene Baum zum Buch, sehr viel Papier wird zu Hygieneartikeln zu Kopierpapier oder Pappbechern verarbeitet. Besonders hoch ist der Verbrauch von Papier nach wie vor in unseren Büros und die Tendenz steigt seit über zehn Jahren ungebrochen, trotz E-mail und moderner Telekommunikationsmittel. Im Durchschnitt jagt ein Büroarbeiter 200 Seiten täglich durch seinen Drucker. Eine Studie des Druckerproduzenten Lexmarc ergab, dass jährlich rund 700 Milliarden Seiten unnötig gedruckt werden. Diese sinnlose Papierverschwendung geht aber nicht nur mit einer enormen Waldvernichtung einher, sondern bedeutet zudem auch viele Milliarden verschleuderter Kilowattstunden, denn die Papierindustrie ist eine der energieaufwendigsten Branchen weltweit. Allerdings meldet das Umweltbundesamt auch Erfolge zumindest auf den ersten Blick:

    "Die Steigerung des Altpapiereinsatzes in der Papierindustrie von 49 Prozent auf 71 Prozent in den letzten 20 Jahren führt zu einer deutlichen Verringerung der spezifischen Umweltbelastung von Papier wie Holz, Wasser- und Primärenergieverbrauch. Diese spezifische Verbesserung wird jedoch durch den steigenden Papierkonsum relativiert."

    Soll heißen: Was wir an der einen Seite einsparen, schleudern wir an der anderen wieder raus. Die Bereiche, in denen wir problemlos sparen können, sind offensichtlich, zum Beispiel bei der Büroarbeit oder am "Coffee to go" in dem immer wieder neuen Pappbecher, aber können wir auch beim Buch sparen? Ja soll man das überhaupt? Schließlich ist Papier ein Informationsträger und Bücher ein Kulturgut, viele zumindest. Deshalb müsste die Frage eher lauten: Welches Buch benötigt welches Blatt? Muss der Steuerratgeber für Selbstständige tatsächlich auf Frischfasern gedruckt werden oder reicht da nicht auch die dunklere und etwas grobere Recyclingvariante? Auf der anderen Seite: Dürfen sich die bibliophileren Menschen unter uns nicht auch weiter an der Hamburger Ausgabe von Goethes Werken freuen? Die auch deshalb so schön ist, weil ihre Blätter im Dünndruck so verheißungsvoll rascheln. Ich denke schon! Freut Euch, freut Euch über schöne Bücher, denn Buchdruck ist auch eine Kunst, und wenn der Inhalt Kunst ist, warum soll es die Form nicht sein? Anders sieht es bei der Gebrauchslektüre aus, bei all den Krimis, Ratgebern, Stadtführern oder auch bei den Kinderbüchern. Der WWF hat im letzten Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, um zu untersuchen, aus welchen Baumarten sich das Papier von Kinderbüchern zusammensetzt:

    "Wie viel zerstörter Regenwald in den importierten Produkten steckt, lässt sich anhand der Importstatistiken nicht nachvollziehen. Bei Kinderbüchern, die in Asien produziert wurden und als fertiges Produkt nach Deutschland gelangen, hat der WWF durch Analysen einen erheblichen Teil Bücher identifiziert, die Tropenholz enthielten, welches mit größter Wahrscheinlichkeit aus Urwaldzerstörung stammte."

    So lohnt sich also auch beim Buchkauf der Blick aufs Kleingedruckte. In der Regel findet sich ein Hinweis auf den Produktionsort. Und in Asien sind die Umweltstandards für die Herstellung von Papier, für das Bleichen der Fasern und für die Holzbeschaffung weit unter den europäischen Maßgaben. Doch nicht nur die Produktionsweise auch die Masse sollte uns zu denken geben, wie die Zahlen des Umweltbundesamtes belegen:

    "Im Jahr 2009 lag der Verbrauch von Papier, Pappe und Karton in Deutschland bei 226,1 Kilogramm pro Einwohner. Dies entspricht einem Gesamtverbrauch von 18,5 Millionen Tonnen."

    Und damit liegt der Pro-Kopf-Verbrauch der Deutschen weit über dem europäischen Durchschnitt. Davon werden laut WWF:

    "71 Prozent der in Deutschland produzierten Papiere aus Altpapier hergestellt. Aber: Bei grafischen Papieren (außer Zeitungsdruckpapieren) ist es genau umgekehrt. Hier werden überwiegend frische Zellstoffe für die Produktion eingesetzt."

    Und dass muss doch wirklich nicht sein, viele Ratgeber und Romane werden nach einmaligem Lesen weggeworfen oder weitergereicht. Hier geht es nicht um haptische Präsenz oder künstlerische Form, sondern um den schlichten Informationsfluss. Dafür müsste Recyclingpapier doch völlig ausreichen. Bisher sind noch nicht viele Verlage auf die umweltbewusstere Varianten umgestiegen; manchmal nicht mal die Fachverlage, die auch viele umweltpolitische Titel in ihrem Sortiment haben. Diese Jahr hat die UN zum Jahr der Bäume erklärt, vielleicht macht sich der ein oder andere Verlag ja mal Gedanken, was er dazu beitragen könnte; und vielleicht unterstützt ihn der Kunde, indem er neben dem Inhalt auch auf die Form achtet und Büchern mit hohem Recyclinganteil den Vorzug gibt.