50 Jahre Trojan Records

Reggae gegen Rassenhass

Soundsystem beim Notting Hill Carnival in London 1975
Trojan Records brachte den Reggae nach Europa und mit ihr die Soundsystem-Kultur. © dpa / picture alliance / Richard Braine
Don Letts im Gespräch mit Martin Böttcher  · 26.07.2018
Das legendäre Label Trojan Records brachte Reggae- und Dubmusik nach Europa. Und diese Musik verband schwarze und weiße Teens in einer Zeit rassistischer Spannungen, sagt DJ Don Letts. Und: "Die Hits von früher bringen die Leute auch heute noch zum Tanzen."
Dirk Schneider: Trojan Records, also dieses Wort Trojaner, das kommt ja wohl daher, dass Duke Reid sein Sound System auf einem Trojan-Truck hatte, also auf der Ladefläche eines Lasters der Marke Trojan. Aber natürlich hat es auch diesen Beiklang von einem trojanischen Pferd. Ich wollte wissen: Was für eine Art trojanisches Pferd war das denn, das dieses Labels damals nach Großbritannien gebracht hat?
Don Letts: Um ehrlich zu sein: Ich glaube, es ging den Betreibern in erster Linie darum, Geld mit etwas zu verdienen, das ihnen gefällt. Aber was dann ins selbe Jahr fiel wie die Gründung von Trojan Records, also ins Jahr 1968, war die sogenannte "Rivers of Blood"-Rede des Politikers Enoch Powell. Das war im Grunde eine fremdenfeindliche Hassrede.
Trojan Records erblickte also das Licht der Welt in Zeiten rassistischer Spannungen. Und während die Politiker jener Zeit die Ängste der älteren, weißen Bevölkerung schürten, lieferte Trojan Records den Soundtrack für die Vereinigung weißer und schwarzer Jugendlicher – auf dem Spielplatz, auf der Straße, auf der Tanzfläche. Man kann also sagen, dass die Musik auf Trojan Records den gesellschaftlichen Wandel vorangetrieben hat.
Schneider: Sie sagen, dass diese Musik schwarz und weiß vereint hat. Kann man das wirklich so sagen? Es war ja auch eine Subkultur. Ist das wirklich passiert, auch mit den Nummer-eins-Hits, die dieses Label hatte?

"Ähnliches soziopolitisches Klima wie heute"

Letts: Nun, das Ganze war immerhin so wichtig, dass wir jetzt, 50 Jahre später, noch drüber sprechen. Und das soziopolitische Klima damals ähnelt dem heutigen sehr stark. Ich meine, deshalb steht uns doch überhaupt der Brexit bevor: weil Politiker sich abermals der Ängste der älteren weißen Bevölkerung bedienen.
Ohne Zweifel hat Trojan den schwarzen Briten damals geholfen, mit ihren weißen Zeitgenossen zurechtzukommen. Aber nicht nur: Trojan hat uns Schwarzen geholfen, Teil der Gesellschaft zu werden. Damit ist das Label ein Beweis für die Kraft der Kultur, Menschen zusammenzubringen.
Schneider: Was hat denn diese Musik mit Ihnen persönlich gemacht, damals? Sie haben diese Musik ja auch als junger Mann kennengelernt, Sie sind jamaikanisch-stämmig. In was für einer Situation waren Sie, und was hat Ihnen diese Musik damals bedeutet? Erzählen Sie vielleicht ein bisschen von damals.

"Trojan war der Soundtrack meiner Teenager-Jahre"

Letts: Trojan war der Soundtrack meiner Teenager-Jahre. Also die Zeit, in der man nur an Musik oder Klamotten denkt. Und es war meine Liebe für diese Dinge, die mich und meine Freunde zusammengebracht haben.
Zwei Jugendliche Skinheads in den 80ern. Einer trägt ein T-Shirt des legendären Reggae-Labels "Trojan Records".
Zwei Jugendliche Skinheads in den 80ern. Einer trägt ein T-Shirt des legendären Reggae-Labels "Trojan Records".© picture alliance / dpa / Gavin Watson
Es gab damals eine Jugendbewegung, die sich Skinheads nannte. Ich rede jetzt von der ersten Generation der Skinheads: Diese Skinheads haben sich damals für Mode interessiert, nicht für Faschismus. Diese Skinheads haben dafür gesorgt, dass Trojan-Aufnahmen in den Charts gelandet sind.
Später, in den 70ern, wurde der rechte Flügel bei den Skinheads stärker, also die schlechten Skinheads. Aber am Anfang handelte es sich noch um eine multikulturelle Bewegung, die erste im Vereinigten Königreich.


Punk-Reggae-Welle der späten 70er vorausgesehen

Schneider: Können Sie aus heutiger Sicht erklären, wie das zu dieser Zeit möglich war? Was für Kräfte waren da am Werk, dass das so groß werden konnte?
Letts: Die Blütezeit von Trojan lag zwischen 1968 und 1975. In diesen Jahren hatten sie viele große Hits. Trojan hat den Boden für Reggae-Musik in Großbritannien bereitet. Trojan hat quasi die gesamte Punk-Reggae-Welle der späten 70er vorausgesehen. Der Backkatalog von Trojan, die alten Aufnahmen, hat außerdem die 2-Tone-Explosion der 1980er inspiriert.
Schneider: Sie haben diese "Rivers of Blood"-Rede erwähnt von Enoch Powell. Das war auch eine Reaktion auf den Race Relations Act, mit dem man damals versucht hat, eine Gleichberechtigung herzustellen. Wenn man diese Parallele zu heute mal ziehen möchte, könnte man vielleicht sagen: Merkel, die gesagt hat: "Wir schaffen das", die Flüchtlinge willkommen geheißen hat – jetzt haben wir eine Reaktion von Rechts. Ist heute etwas ähnliches denkbar? Also könnte Musik oder etwas anderes eine solche Gegenbewegung auslösen. Es gibt ja viele Leute, die davon heute träumen.
Letts: Das ist ein altes Problem – und ein ebenso alter Trick: Wann immer ein Land wirtschaftliche Probleme hat, müssen die Migranten dafür hinhalten. Und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Denn in den meisten Fällen waren es ja Migranten, die diese Länder überhaupt erst aufgebaut haben.
DJ Don Letts
DJ Don Letts© picture alliance / dpa / Nick Rain
Schneider: Aber wenn wir uns das vorstellen, dass es heute wieder so etwas gäbe wie eine Jugendbewegung, in der die Jugend sagt: Wir wollen das nicht. Wir wollen gemeinsam feiern, gemeinsam tanzen. Ist so etwas heutzutage denkbar?
Letts: Während der Punkrock-Ära dachte ich mir immer: Es sind unsere Unterschiede, die uns näher zusammenbringen. Nicht der Versuch, dass wir alle gleich sind.

Nie offenkundig politisch

Schneider: Und das war etwas, das diese Musik ermöglicht hat? Hat diese Musik zu Individualismus ermutigt?
Letts: Interessante Frage. Ich glaube, der Erfolg von Trojan Records liegt zum Teil auch darin begründet, dass die Musik nicht offenkundig politisch war. Das einzige politische Album, das mir einfällt, ist Bob & Marcias "Young, Gifted And Black". Das kam 1970 raus.
Schneider: Trotzdem stellt es sich doch so dar: Wenn man damals die Politik betrachtet hatte, dann gab es einen starken Rechtsruck, oder sehr starke Kräfte von rechts. Aber die Jugend hat eben mit ihrer Jugendkultur gezeigt: Wir wollen das nicht. Wir wollen etwas anderes. Ist das heute anders?
Letts: Ohne Zweifel wäre so ein Aufschrei heutzutage wichtig. Aber ich glaube nicht, dass Musik heute, im 21. Jahrhundert, noch so wichtig für junge Leute ist wie sie es damals für meine Generation war. Als ich jung war, gab es zwei Arten, die eigene Identität auszudrücken: über Musik oder über Klamotten. Mehr konnte sich die Arbeiterklasse nicht leisten.

Musik als Mittel für gesellschaftlichen Wandel

Schneider: Obwohl überall Musik verfügbar ist, aber …
Letts: Ja, es gibt viel Musik. Aber mir geht es darum, was die Musik für eine Geschichte erzählt. Heute machen viele Leute Musik, um uns zu unterhalten. Aber nur wenige trauen sich, eine Meinung zu haben – und Musik als Mittel zum Zweck zu benutzen, nämlich um einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Ich predige immer wieder, dass man nicht sein ganzes Leben auf der Tanzfläche verbringen kann. Man kann sich nicht nur wegducken. Irgendwann hört die Musik auf, und man muss sich der Realität stellen. Und genau dafür gibt es auch Musik.
Ein Mann tanzt alleine vor einem Soundsystem beim Notting Hill Carnival in London 2005.
Ein Mann tanzt alleine vor einem Soundsystem beim Notting Hill Carnival in London 2005.© dpa / picture alliance / Giles Moberly
Schneider: Das Label wurde ja schon 1975 verkauft. Und das Interessante daran war eigentlich über all die Jahre der Backkatalog, also die alten Aufnahmen. Und das ist ja eigentlich bis heute so. Inwiefern existiert Trojan Records denn heute eigentlich noch?
Letts: Die Hits von früher bringen die Leute auch heute noch zum Tanzen. Musik von Trojan Records taucht auch häufig im Hintergrund von Werbeclips auf – oder als Soundtrack. Dann gibt es Künstler wie Jay-Z, Major Lazer, PJ Harvey oder Vampire Weekend, die einzelne Teile aus dem Trojan-Katalog für ihre eigenen Songs samplen. Daher, würde ich sagen, ist Trojan auch heute noch lebendig. Das liegt an den Label-Leuten, die das Erbe verwalten, zum größten Teil aber an den Menschen, die die Musik hören. Sie halten Trojan am Leben, weil sie die Musik in ihren Herzen tragen, in ihren Gedanken und in ihren Beinen.

Zum Jubiläum kommt die CD- und LP-Box "Trojan 50" heraus. Außerdem gibt das Label ein Coffeetable-Book heraus: "The Story of Trojan".

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