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Ermittlungen gegen netzpolitik.org
SPD verspricht umfassende Aufklärung

Für den SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, ist mit der Einstellung der Ermittlungen der Fall netzpolitik.org nicht erledigt. Im Deutschlandfunk kündigte er an, den Vorgang nach der Sommerpause umfassend aufklären zu wollen. Flisek vermutet hinter den Ermittlungen eine "Abschreckungspolitik" gegenüber Journalisten und Abgeordneten.

Christian Flisek im Gespräch mit Christiane Kaess | 10.08.2015
    Der Obmann der SPD, Christian Flisek, gibt am 03.04.2014 nach der ersten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses in Berlin ein Interview.
    Christian Flisek, der Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss (picture alliance / dpa / Daniel Naupold)
    Christiane Kaess: Christian Flisek, Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages und Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss. Guten Tag, Herr Flisek.
    Christian Flisek: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Flisek, ist das jetzt der Beweis, dass sich die Politik viel zu spät eingemischt hat?
    Flisek: Nein, ich denke nicht. Noch mal: Wir haben grundsätzlich bei einem Generalbundesanwalt - er ist ja der Chef der Generalbundesanwaltschaft - es mit einem politischen Beamten zu tun. Da besteht ein Weisungsrecht des Bundesjustizministers. Dennoch ist dieses Weisungsrecht sehr zurückhaltend auszuüben. Das ist nichts, was man jeden Tag ausübt. Man übt es aber aus, wenn, sage ich mal, hier politische Erwägungen im Raum stehen, die doch sehr grundsätzlich sind und die von der gesamten Regierung geteilt werden. Das war bei der Frage, ob man gegen Pressevertreter in einem solchen Fall ermitteln soll, der Fall. Sie wissen, die gesamte Regierung hat das für falsch gehalten, und man hat hier den Dialog mit dem Generalbundesanwalt gesucht. Man hatte den Eindruck, dass man sich verständigt hatte, und schlussendlich ist dann aber der Generalbundesanwalt jedoch wieder einen ganz eigenen Weg gegangen und hat auch einen offenen Affront gegenüber der Regierung gesucht in einer Pressekonferenz, mit dem Ergebnis, dass er entlassen werden musste. Ich sage mal so: Das Ergebnis ist jetzt, das Verfahren ist eingestellt. Das ist in jeder Hinsicht zu begrüßen, weil alles andere wäre völlig unverhältnismäßig gewesen.
    Kaess: Aber, Herr Flisek, wir wissen auch, dass die Regierungsstellen schon lange davon gewusst haben, vor allem das Justizministerium. Und Sie haben es jetzt gerade selber wieder betont: Diese Vorwürfe waren ohne jegliche Substanz. Deshalb noch mal die Frage: Warum hat eigentlich Justizminister Maas nicht früher eingegriffen?
    Flisek: Schauen Sie, ich kann mich nur noch mal wiederholen. Wir haben hier einen Spagat zwischen einerseits dem, was man die Unabhängigkeit der Justiz nennt, auch bei einer so nachgeordneten Behörde wie der Staatsanwaltschaft. Dazu gehört ja auch die Generalbundesanwaltschaft. Da haben Sie zwar Weisungsrechte. Sie können, wenn Sie so wollen, durchregieren, aber Sie tun es eben nicht, weil die Justiz ihre Verfahren unabhängig bearbeiten soll. Und das ist durchaus ein Spagat, den man hier leisten muss, jeden Tag, und deswegen habe ich dafür Verständnis eben, dass man hier grundsätzlich sich intern positioniert, eine Meinung kundtut und, ich sage mal, erst dann, wenn etwas völlig aus dem Ruder zu laufen droht, wie das hier bei den Ermittlungen gegen netzpolitik.org der Fall war, dass man dann auch in Form einer Weisung reagiert. Der Bundesjustizminister hat rechtzeitig reagiert, er hat gegenüber der Generalbundesanwaltschaft und der Öffentlichkeit klar gemacht, was er von den Ermittlungen hält. Er hat den konstruktiven Dialog gesucht mit dem Generalbundesanwalt und der Generalbundesanwalt hat sich hier an Vereinbarungen auch nicht gehalten, und das war der Grund, warum er entlassen wurde.
    "Pressefreiheit ist ein hohes Gut"
    Kaess: So wie Sie es darstellen, Herr Flisek, ist Harald Range der einzige Schuldige?
    Flisek: Wissen Sie, es geht darum, dass wir hier uns klar machen, die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, und gerade auch in dem Bereich, in dem wir unterwegs sind, wo es um Geheimnisse geht, um die Arbeit von Geheimdiensten, sind investigativ arbeitende Journalisten ein hohes Gut. Sie sind nicht in einem rechtsfreien Raum unterwegs. Das wissen die Journalistinnen und Journalisten alle auch miteinander. Aber wenn wir uns noch mal betrachten, was der Generalbundesanwalt bisher im NSA-Komplex getan hatte: Er hatte wegen dem Kanzlerinnen-Handy kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Er hat zu keinem Zeitpunkt wegen des erheblichen Verdachts, dass über Jahrzehnte hinweg deutsche Bürger, Unternehmen und Politiker ausspioniert worden sind, irgendwas unternommen, außer dass er Prüfungsverfahren durchgeführt hat. Und dann ausgerechnet gegen zwei Journalisten holt er die Keule des Ermittlungsverfahrens wegen Landesverrat raus. Das war überhaupt nicht mehr darstellbar und insofern...
    Kaess: Er hatte ja ein entsprechendes Gutachten auch im Hintergrund dazu.
    Flisek: Nun ja, er hatte ein Gutachten des Anzeigeerstatters. Das war das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das ist natürlich klar, was dann in einem solchen Gutachten drinsteht. Sonst würde es ja nicht zu einer Anzeige gekommen sein. Er selbst hat noch einen Gutachter in Auftrag gegeben, was mich persönlich sehr verwundert hat, weil ich davon ausgehe, dass in der Generalbundesanwaltschaft hoch und höchst qualifizierte Juristinnen und Juristen sitzen, die sich über die Frage, ob ein Staatsgeheimnis vorliegt, selber ein juristisches Urteil zu bilden haben, ohne Einschalten von externen Gutachtern. Ich fand die ganze Vorgehensweise sehr komisch. Das Ergebnis ist bekannt und dass das Verfahren heute eingestellt wird oder wurde, das begrüße ich sehr.
    Kaess: Aber, Herr Flisek, so wie Sie es jetzt darstellen, müsste es Ihnen eigentlich darum gehen, diese Affäre wirklich bis zum Ende aufzuklären. Deshalb die Frage: Es gab ja diese Vorwürfe auch an Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, jetzt gerade in den letzten Tagen verschärft, weil er alles ausgelöst hat. Muss da einfach noch weiter recherchiert werden?
    Flisek: Wir werden das tun im Untersuchungsausschuss. Das habe ich für meine Fraktion auch schon deutlich angekündigt. Ich vermute hinter dem Verhalten des Verfassungsschutzpräsidenten - das hatte er ja auch in einer berühmten Rede so angekündigt -, dass hier versucht wird, eine Abschreckungspolitik zu betreiben, sowohl gegenüber Journalisten, aber auch gegenüber Abgeordneten, aber auch gegenüber Mitarbeitern in den eigenen Reihen. Wir wissen, Edward Snowden war ein Whistleblower aus den Reihen der Geheimdienste, und das Gefährlichste, was einem Geheimdienst passieren kann, aus Sicht des Geheimdienstes sind Leute, die die Sachen verraten. Das was wir hier erlebt haben war ein Teil einer umfassenden Abschreckungspolitik. Nur: Ich kann jedem Verantwortlichen bei den Geheimdiensten davon nur abraten, weil dieser Schuss geht gründlich nach hinten los. Geheimdienste können nur auf der Grundlage von rechtsstaatlicher Legitimation und Kontrolle arbeiten und nicht dadurch, dass sie hier, ich sage mal, die schärfsten Waffen des Strafrechts herausholen und einen Rundumschlag gegen Journalisten und Abgeordnete betreiben, so wie das durch Herrn Maaßen geschehen ist.
    Flisek will im NSA-Untersuchungsausschuss aufklären
    Kaess: Abschreckungspolitik, sagen Sie. Welche Konsequenzen muss das denn dann haben?
    Flisek: Wir werden das umfassend nach der Sommerpause im Untersuchungsausschuss aufklären. Mehrere Aspekte der Arbeit des Verfassungsschutzes stehen hier auf der Agenda, auch der Bereich, und da werden wir uns umfassend drum kümmern. Das werden wir dann beurteilen und dann stellt sich die Frage nach Konsequenzen.
    Kaess: Und die Journalisten von Netzpolitik.org, die wollen wissen, ob sie überwacht werden. Muss das klargestellt werden?
    Flisek: Nach meiner Auffassung haben die Journalisten die Möglichkeit, durch entsprechende Informationsansprüche dort das Ganze geltend zu machen. Nur ich gehe davon aus, dadurch, dass keine Ermittlungen jetzt mehr laufen, das Verfahren eingestellt wurde, werden auch aktuell keine Überwachungsmaßnahmen stattfinden. Und ob das während der Ermittlungszeit der Fall war, das kann man durch entsprechende Auskunfts- und Informationsansprüche jetzt, glaube ich, geltend machen und die Journalisten können das natürlich tun. Das steht ihnen völlig frei.
    Kaess: Wenn wir beim Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen sind, dann müssen wir auch schauen auf Innenminister Thomas de Maizière. Hätte der schon früher einschreiten müssen, denn wir wissen, auch er war wesentlich früher schon informiert?
    Flisek: Na ja, ich habe die Information, dass hier das Ganze bis auf die Ebene der politischen, der beamteten Staatssekretäre im Innenministerium gegangen ist und man dort auch deutlich gemacht hat, dass es hier eine Anzeige gegen Unbekannt gibt, wegen der man jetzt tätig wird. Man hat dann erst im Nachgang erfahren, dass hier wohl ganz gezielt gegen zwei Journalisten, weil die namentlich in der Begründung der Anzeige genannt worden sind, ermittelt wurde. Das ist mein Informationsstand. Insofern ist dem Bundesinnenministerium hier auch kein Vorwurf zu machen. Der Bundesinnenminister hat sich ja, genauso wie die Kanzlerin, sehr deutlich nach Bekanntwerden der Ermittlungen gegen die beiden Journalisten positioniert und ich glaube, das war auch ganz deutlich, dass man das nicht unterstützt.
    Kaess: Das heißt, Sie sind nicht dafür, dass Thomas de Maizière jetzt auch noch beweisen muss, wie es zu dieser Anzeige gekommen ist? Das war ja ein Wunsch, der geäußert wurde.
    Flisek: Ich denke, die ganze Sache sollte man jetzt durchaus auch mal wieder ein wenig herunterfahren. Ich kann die gesamte Aufregung natürlich verstehen und es hatte ja auch erhebliche Konsequenzen gehabt. Nur ich glaube auch, das Ganze ist jetzt in einem vernünftigen Verfahren mit einem meiner Meinung nach befriedigenden Ergebnis zu Ende gegangen, und auf dieser Grundlage, denke ich, sollte man jetzt hier auch sehen, dass die politisch Verantwortlichen, der Justizminister, der Innenminister, die Kanzlerin, sich sehr frühzeitig und deutlich gegen Ermittlungen gegen Journalisten positioniert haben. Das sollte man auch zur Kenntnis nehmen.
    "Gründlich in ihren eigenen Reihen nachschauen"
    Kaess: Dann schauen wir, Herr Flisek, noch auf die andere Seite, denn es gab ja auch ganz andere Stimmen. Ist hier etwas zurechtgebogen worden, was politisch nicht opportun war?
    Flisek: Nein, das sehe ich nicht so, weil noch mal: Ich bewerte das Ganze aufgrund des Ursprungs der Anzeige aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz als einen Versuch, hier eine Abschreckungspolitik zu betreiben mit einem, ich sage mal, übersichtlichen Adressatenkreis. Wie gesagt, dazu gehören auch wir als Parlamentarier. Uns wird immer wieder vorgeworfen, wir würden Dinge unmittelbar nachdem wir sie als Akten bekommen sofort an die Presse durchstechen. Ich kann Ihnen das nur für den Untersuchungsausschuss versichern: Das ist mitnichten so. Oft erfahren wir geheimhaltungsbedürftige Tatsachen selber erst aus der Zeitung, noch bevor überhaupt ein Dokument uns als Untersuchungsausschuss zugeht. Und wir wehren uns gegen solche Pauschalen. Das sind zum Teil schon Verleumdungen, dass es Parlamentarier seien, die hier die Leaks seien.
    Die einzelnen Verantwortlichen bei den Behörden, beim BND und beim Verfassungsschutz, sollen bitte gründlich in ihren eigenen Reihen nachschauen, ob da nicht entsprechende Leaks sind. Die stehen zumindest genauso im Feuer wie jeder andere auch. Und es bleibt dabei: Ein Geheimdienst muss geheim arbeiten können, aber nicht jeder Sachverhalt, der einen Geheimdienst berührt, ist gleichzeitig ein Staatsgeheimnis. Deswegen muss man hier sehr vorsichtig sein.
    Kaess: Da haben Sie jetzt gerade zum Teil über die Parlamentarier gesprochen. Aber es gibt auch die Stimmen, die sagen, auch Journalisten dürfen nicht alles, und es gab sogar den Vorwurf an Justizminister Maas der Strafvereitelung, weil er das Gutachten, das Harald Range in Auftrag gegeben hatte, gestoppt hat.
    Flisek: Ja. Das sehe ich natürlich überhaupt nicht so. Es gibt hier überhaupt gar keine Anhaltspunkte für irgendeine Strafvereitelung. Noch mal aus meiner Sicht: Es handelt sich hier weder um Staatsgeheimnisse. Sie müssen sehen: Das was die Kollegen dort veröffentlicht haben, war zu diesem Zeitpunkt bereits umfassend Gegenstand einer öffentlichen Erörterung, eben nicht wegen der Veröffentlichung auf Ndetzpolitik.org, sondern weil bereits durch ganz andere Stellen Informationen über die neue Aufklärungsstrategie des Verfassungsschutzes an die Öffentlichkeit gelangt sind. Das war jetzt eher der untaugliche Versuch, hier noch einmal wie gesagt eine Abschreckung zu betreiben.
    Eins muss man doch mal deutlich machen. Man kann zwar schmunzeln oder lächeln, wenn man eine Anzeige wegen Landesverrat bekommt, oder wenn einem Geheimnisverrat überhaupt vorgeworfen wird. Aber Fakt ist, dass so etwas dann doch immer wieder im Unterbewusstsein die Arbeit der Menschen, die sich um Aufklärung bemühen, dass es diese Arbeit beeinträchtigt, weil man im Unterbewusstsein sich immer denkt, Mensch, was läuft jetzt da, was mache ich da eigentlich. Wir haben in einem Rechtsstaat das Interesse, dass das Parlament umfassend die Kontrolle über die Geheimdienste ausüben kann. Dazu müssen wir umfassend Informationen haben. Und wir haben auch eine Pressefreiheit und wir haben eine Presse, sei es im Internet, sei es gedruckt, sei es im Fernsehen oder im Radio, mit investigativ arbeitenden Journalisten, die Skandale ans Tageslicht fördern, und das ist gut so. Nur so funktioniert die Kontrolle in unserem Staat und deswegen, finde ich, haben wir jetzt hier ein gutes Ergebnis.
    Kaess: ... sagt Christian Flisek von der SPD und für die SPD Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, außerdem Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch.
    Flisek: Danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.