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Wein, Weib und Gesang

Silvio Berlusconi feiert gerne Feste in seiner Villa in Arcore. Dass auf der Gästeliste in der Regel junge Frauen stehen, ist in ganz Italien bekannt. Der italienische Ministerpräsident beharrt allerdings darauf, dass zuhause jeder machen könne, was er wolle.

Von Kirstin Hausen | 26.01.2011
    17 Feste in einem halben Jahr. Zwischen dem 1. Januar und dem 12. Juli 2010 haben sich in Berlusconis Villa Dinge ereignet, die dem ehemaligen Polizeipräfekten von Neapel Carlo Ferrigno die Haare zu Berge stehen lassen. Sein Telefon wird abgehört, als er einem Freund Unglaubliches anvertraut. Die Ermittlungsakten der Mailänder Staatsanwaltschaft dokumentieren, was Ferrigno in diesem Gespräch sagte:

    "Was für ein Mistkerl, Berlusconi. Ich erzähl dir nur das: Orgien wurden da gefeiert. Keine Drogen, zumindest weiß ich davon nichts, aber gesoffen haben die ohne Ende. Berlusconi, der singt und Witze reißt, umringt von 28 Mädchen, die am Ende halbnackt da stehen, nur noch in Unterhosen, eine schöne Geschichte. Und weißt du, wer von den Mädchen da geblieben ist, um mit ihm, ja mit Berlusconi, ins Bett zu steigen? Diese Zwillinge, die anderen sind nach Hause gegangen."

    Die Zwillinge heißen Eleonora und Concetta De Vivo. Es sind Starlets, die sich mit Werbespots und erotischen Fotos ihr Geld verdienen. Sie sind, wie eine ganze Reihe anderer Mädchen, regelmäßig zu Gast in Berlusconis Villa in Arcore. Das geht aus den Ermittlungsakten der Mailänder Staatsanwaltschaft eindeutig hervor. Denn: Die Mädchen hatten ihre Handys dabei, und diese kann man orten. Auf Dutzenden von Seiten sind die Tage oder besser die Nächte, die sie in Berlusconis Villa verbrachten, protokolliert. Auch die hübsche Marokkanerin mit dem Spitznamen Ruby war im ersten Halbjahr 2010 mehrmals in Arcore. Damals war sie 17 Jahre alt, also noch minderjährig. Der Journalist Gianni Barbacetto:

    "Geschichten über junge Mädchen in Arcore kursierten schon lange. Irgendwann tauchte dann das Gerücht auf, dass bei diesen Partys auch eine Minderjährige mitmachte, eine gewisse Ruby. Da es sich um eine Minderjährige handelte, ergab sich nun die Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft ermitteln würde."

    Denn sollte Silvio Berlusconi Ruby für sexuelle Dienstleistungen bezahlt haben, wäre das nach italienischem Gesetz eine Straftat. Dass er so manchen Abend in Gesellschaft junger Frauen verbracht habe, hat Berlusconi inzwischen zugegeben:

    "Ich umgebe mich gerne mit jungen Leuten und einigen, von denen ich wusste, dass sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, habe ich geholfen", sagt er und betont, dass er dafür niemals sexuelle Gegenleistungen bekommen habe.

    Dass es diese Gegenleistungen sehr wohl gegeben hat, versucht die Mailänder Staatsanwaltschaft zu beweisen. In ihren Ermittlungsakten finden sich Abschriften von Telefongesprächen, die Berlusconis weibliche Gäste führten. Zum Beispiel dieses von Iris Berardi, 19 Jahre alt, geboren in Brasilien, Berufsangabe: Model.

    Ciro: "Ciao, hier spricht Ciro, ein Freund von Carlo. Ich wollte mal fragen, ob du heute Abend frei bist? Ich habe ein Geschäftsessen, aber so ab halb zehn könnte ich."

    Iris: "Ja, gut."

    Ciro: "Und wegen des Geschenkes ..."

    Iris: "Das macht 800."

    Ciro: "Für die ganze Nacht?"

    Iris: "Nein."

    Ciro: "Also, das ist ... nach dem, was ich weiß, was ich so gehört habe ..."

    Iris: "Da hat man Ihnen was Falsches erzählt, auf Wiederhören."


    Die Staatsanwälte in Mailand haben die Frauen einzeln vorgeladen und befragt. Einige gaben unumwunden zu, sich zu prostituieren.

    Frage: "Ist es vorgekommen, dass Sie sich für sexuelle Kontakte haben bezahlen lassen?"

    Diana Maria: "Ja, das ist vorgekommen."

    Die Befragte, eine Kolumbianerin, gibt auch zu Protokoll, Karima El Mahroug, genannt Ruby, zu kennen.

    Frage: "Kennen Sie El Mahroug Karima, genannt Ruby?"

    Diana Maria: "Ich habe sie im Sommer kennengelernt, gemeinsame Freunde haben uns vorgestellt und wir haben unsere Handynummern ausgetauscht."

    Frage: "Wir wissen, dass von Karima El Mahrougs Handy aus mehrfach auf Ihr Handy angerufen wurde. So meldete sie sich bei Ihnen beispielsweise mit der Frage: Kommst du nach Genua? Hier gibt es eine Menge Arbeit. Morgen habe ich mindestens fünf Kunden, das dauert ein paar Stunden, aber wir können an einem Abend 4000 Euro verdienen."

    Diana Maria: "Das Telefonat ist eindeutig. Ich erinnere mich genau, dass Ruby mir vorschlug nach Genua zu kommen, weil sie dort bereits Kunden hatte, die bereit waren, uns für Sex zu bezahlen."

    Die Mädchen, die fast alle in einem Mietshaus am Mailänder Stadtrand untergebracht sind, haben sich in Telefonaten, die von der Staatsanwaltschaft abgehört wurden und die in der 396-seitigen Anklageschrift dokumentiert werden, über die Partys in Arcore unterhalten. Es geht darum, wer wie oft eingeladen wird und wer über Nacht bleiben darf, wer wie viel Geld bekommt, und dass "ER" endlich zahlen solle. Ansonsten, so droht eine der Frauen, würde sie beim nächsten Mal etwas mitgehen lassen oder Fotos im Internet verkaufen. Silvio Berlusconi, das wird in diesen Passagen deutlich, ist durch seinen Lebenswandel erpressbar geworden. Vom Imageschaden für Italien ganz abgesehen. Der Ministerpräsident beharrt allerdings darauf, dass zuhause jeder machen könne, was er wolle.


    Weitere Beiträge der Serie "Das System Berlusconi" mit Auszügen aus Mailänder Staatsanwaltschaftsakten