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Mehr Ingenieure!

Die Ingenieurwissenschaften stecken in einer tiefen Krise: Eine hohe Zahl von Studienabbrechern braucht eine zu lange Zeit, um festzustellen, dass ein Ingenieurstudium nichts für sie ist. Die Erfolgsquote beispielsweise an der TU Berlin liegt bei mageren 60 Prozent, die zehn Semester Regelstudienzeit schafft kaum einer. Doch wie kann man den Studiengang attraktiver machen? Denn auf dem Arbeitsmarkt bieten sich für Absolventen nach wie vor gute Chancen.

Von Verena Kemna | 10.12.2008
    Jens Weibezahn aus Karlsruhe studiert im fünften Semester Wirtschaftsingenieurwesen. Überfüllte Hörsäle, überfüllte Tutorien und Professoren, die weit weg sind von den Fragen und Bedürfnissen der Studierenden, diese Defizite sind für den Studenten an der TU Berlin in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern Uni-Alltag.

    "Also der Professor scheint sich mit dem Fach nicht besonders auseinanderzusetzen. Der hält seine Vorlesung nach Folien, die er vorher scheinbar nicht gesehen hatte und beschäftigt sich überhaupt nicht mit den Problemen der Studenten und das ist natürlich für uns Studenten ein großes Problem. Man wird richtig ins kalte Wasser geworfen und wenn man nicht das Glück hatte, vorher schon mal einen Ingenieurskurs besucht zu haben, dann weiß man nicht wie man damit umgehen soll. "

    Die Erfolgsquote in seinem Studiengang an der TU Berlin liegt bei etwa 60 Prozent, die zehn Semester Regelstudienzeit schafft kaum einer, sagt Jens Weibezahn. In so genannten Massenfächern zu denen auch das Wirtschaftsingenieurwesen zählt, ist im Schnitt ein Professor für 400 Studierende zuständig. Das muss sich ändern, denn hohe Abbrecherquoten in allen ingenieurwissenschaftlichen Fächern von bis zu 35 Prozent sind eine Folge der schlechten Betreuung, sagt Volker Meyer-Guckel, vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.

    "Das schafft man durch bessere Betreuung, durch mehr Engagement in der Lehre aber vor allen Dingen auch durch mehr Beratung am Anfang eines Studiums, damit falsche Studienentscheidungen nicht realisiert werden. Die durchschnittliche Zeit bis zu einem Studienabbruch in den Ingenieurwissenschaften beträgt 7,4 Semester. Das heißt, die Leute studieren fast vier Jahre bis sie merken, dass es eigentlich nicht das richtige Fach war und da müssen wir ansetzen. "

    Zu den Herausforderungen der Zukunft zählt eine bessere Vernetzung von Schulen und Hochschulen. Sommercamps und Ferienkurse sollten das Interesse für die Naturwissenschaften wecken. In einem Wettbewerb des Stifterverbandes können die Hochschulen im nächsten Jahr ihre Zukunftsstrategien präsentieren.

    Eine bessere Beratung, das hätte sich auch Jens Weibezahn, TU-Student in Berlin gewünscht. Wer unvorbereitet vom Gymnasium ein ingenieurwissenschaftliches Studium beginnt, hat kaum eine Chance meint er, doch das merken viele eben erst nach einigen Semestern.

    "Wenn man direkt von einem normalen Gymnasium kommt und direkt in diese Fächer einsteigt, hat man schon große Probleme und kann schon mal gut dran scheitern. "

    Wer das Studium dennoch erfolgreich beendet, hat gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Bedarf an qualifizierten Ingenieuren ist groß, sagt Peter Clever von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Nicht jeder Ingenieur, der den Arbeitsmarkt verlässt, kann ersetzt werden. Die so genannte Ersatzquote liegt bei 0,7 Prozent.

    "Wir haben 30 Prozent weniger, die nachrücken als die, die ausscheiden. Bei steigendem Bedarf wird die Lücke enorm werden und deshalb ist es ganz wichtig viel mehr zu kriegen. "

    Doch der sprichwörtliche Fachidiot entspricht so gar nicht dem gesuchten Profil. Vielmehr seien die Unternehmen auf der Suche nach ausgebildeten Persönlichkeiten mit dem Sinn für praktische Probleme.

    "Dazu gehört Persönlichkeitsbildung genauso wie das fachliche Know-how, das gilt für den Physiker wie für den Geisteswissenschaftler und wenn das die Universitäten schaffen, dann schaffen sie es auch, die Studierenden noch besser zu motivieren. Wenn auch die Universität nicht so ein theorielastiger Elfenbeinturm ist, sondern wenn auch das praktische Leben mit Einzug hält, dann bekommen wir auch einen Motivationsschub in die Universitäten. "

    Dabei sollte die Werbung für naturwissenschaftliche Fächer schon im Kindergarten beginnen, das ist Konsens unter den Teilnehmern der Tagung.

    Auch die niedrige Frauenquote im Bereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften sei als Problem erkannt, meint Wilfried Müller, Rektor der Universität Bremen und Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz:

    "Die Ingenieurwissenschaften haben keine Zukunft ohne einen steigenden Anteil von Frauen, sie haben auch keine Zukunft ohne einen steigenden Anteil von Migrantinnen und Migranten. Es gibt besondere Sommerkurse für Frauen in diesen Fächern, gerade in der Informatik, aber nicht nur dort. Also das Problem ist erkannt. Ob jetzt die Lösungsstrategie zieht, das werden die nächsten Jahre zeigen. "